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Charlies POV

„Jetzt mach doch mal hinne!", fluche ich, als ich am frühen Nachmittag, eher gegen Feierabendverkehr durch die Oldenburger Innenstadt fahren will. Ich habe heute ein Shooting und bin jetzt schon fast eine Stunde zu spät. Und genau jetzt klingelt auch mein Handy. Genervt drücke ich den Knopf am Lenkrad meines BMWs.
„Schuster?", melde ich mich daher mit gereizter Stimmenlage.
„Wo bleiben Sie? Ich warte jetzt schon bald eine Stunde auf Sie", höre ich meinen Gesprächspartner sagen. Es ist eine tiefe Stimme, die wütend klingt. „Das tut mir auch sehr Leid, Herr Weiß! Ich bin sofort da! Das ist auch Norm... Hallo?" Im nächsten Moment höre ich auch nur noch das monotone Tuten meines Handys.
Er hat aufgelegt. Verdammt! denke ich jetzt und reihe mich in die nächste Linie ein, ehe ich im Parkhaus des Waffenplatzes einen Parkplatz suche.

Unser Treffpunkt ist Vapiano und dort wartet ein Mann auf mich, der mit vor der Brust verschränkten Armen, an der Hauswand lehnend zu mir sieht. Sein Gesicht ist hart und seine braunen Augen funkeln mich wütend an. Ich komme in schnellen Schritten auf ihn zu gelaufen. Bei ihm angekommen halte ich ihm meine Hand hin.
„Hey, mein Name ist Charlotte Schuster, aber nennen Sie mich doch einfach Charlie... Wäre das okay, wenn wir uns duzen? So mache ich das immer mit meinen Kunden." Der Mann mir gegenüber schüttelt mir nur verhalten, aber mit festem Druck die Hand. Als er es tut, muss ich leicht schlucken. Seine Hand fühlt sich rau und warm an. Und wie groß sie ist. Seine Hand verschlingt meine komplett. Ich kann sie nicht loslassen. Mein Herz schlägt so stark, als will es mir direkt aus der Brust springen. Schließlich räuspert er sich und lässt meine Hand los.
„Lässt du deine Kunden auch immer eine Stunde warten... Charlotte?" Mir schlackern die Augenlider. „Nein, ich kann dir versichern, dass ich sonst immer über pünktlich bin. Der Verkehr..." Er macht eine abweisende Handbewegung.
„Lass uns los. Ich habe nicht so viel Zeit. Wo wollten wir nochmal hingehen? Zum Schlossgarten?" Wow, der Typ ist ja richtig angepisst. Verdammt, aber ist das nicht verständlich?
„Wincent, es tut mir wirklich leid. Ich bin sonst wirklich nicht so. Das ist das erste Mal und auch das letzte Mal." Er dreht sich zu mir um, da er schon bereit war, loszugehen.
„Charlotte, ich will keine Entschuldigungen hören. Ich möchte jetzt einfach nur die Bilder machen lassen. Ich arbeite nämlich sonst mehr mit bekannteren Fotografen und da kommst du daher, schreibst mich über Instagram an. Du kannst froh sein, dass ich dem Shooting hier zu gestimmt habe."

Natürlich hat Wincent recht mit dem was er sagt, aber dennoch stört mich sein Ton mir gegenüber. „Ich heiße Charlie, bitte nenne mich Charlie. Das reicht. Und ja, ich verstehe deine Wut, und ich bin dir für deine kostbare Zeit auch sehr dankbar, aber ich verbitte mir diesen respektlosen Ton mir gegenüber. Du bist genau so ein Mensch wie ich, auch wenn du ein größeres Bankkonto besitzt, aber diese Macho-Allüren werde ich mir nicht geben." Jetzt sieht mich mein Gegenüber verblüfft an. Mit so einer Reaktion hat er wohl nicht gerechnet.
„Wo müssen wir denn lang zum Schlossgarten? Ich habe nur eine knappe Stunde Zeit." Mehr sagt er nicht. Nicht mal eine Entschuldigung seiner Seite? frage ich mich in Gedanken, belasse es aber dabei.

„Wenn du mir bitte folgen würdest..." So gehe ich vor und den Weg verbringen wir schweigend. Wincent der sich seine Cap tief ins Gesicht gezogen hat, um inkognito zu sein, geht neben mir her.
„Hat man dich hier heute schon erkannt?", frage ich schließlich, während wir an der Ampel warten. Wincent räuspert sich.
„Nein, aber ich sollte schon vorsichtig sein. So, grüner wird es nicht." Mit diesen knappen Worten geht er vor mir her, über die Straße. So einen Kunden wie heute habe ich wirklich noch nicht zuvor erlebt.

„Wollen wir gleich hier ein paar Bilder machen? Ich finde diese Brücke ist eine sehr schöne Kulisse, die ich auch oft bei meinen Shootings verwende", erkläre ich.
„Jaja, wo auch immer du willst. Wie soll ich mich hinstellen?" Ich atme tief aus, als er so abweisend ist, wie vorhin. tief Luft holen, Charlie. Beruhige dich, er ist noch wütend, weil du zu spät warst. Es ist doch verständlich, oder? rede ich mir zu.
„Also, vielleicht kannst du dich einfach etwas entspannt an die Brüstung lehnen und in die Ferne sehen. So als würdest du nachdenken. Und spiel auch gerne mit der Kamera. Ich kommandiere meine Models ungern. Tu einfach so, als wäre ich gar nicht hier. Es gibt nur die Kamera und du.", so weise ich ihn ein, woraufhin Wincent mich so ansieht, als hätte ich einen an der Klatsche, es dann aber mit einem Schultern zucken abtut und sich so hinstellt wie ich es will.

Jemanden vermissen  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt