Es ist Freitag. Gerade sitze ich in der letzten Stunde in Englisch, doch ich bin mir sicher, dass unser Lehrer auch noch die letzten fünf Minuten vollends auskosten wird.
Leider sitze ich nicht am Fenster, sondern an der gegenüberliegenden Seite des Raumes, sonst könnte ich vielleicht sehen, ob Leyan schon draußen auf mich wartet. Ich hätte es gerne gewusst, es hätte mich irgendwie beruhigt.
Als es klingelt, vergesse ich ganz die Hausaufgaben, die unser Lehrer an die Tafel schreibt, in mein Heft zu notieren, sondern packe sofort alles ein. Wala neben mir seufzt und schreibt sich auf die Hand, dass sie es mir noch schicken wird. Sie hat generell die Angewohnheit, sich alles auf die Hand zu schreiben.
Vor dem Klassenzimmer hält sie mich davon ab, gleich nach unten zu Leyan zu rennen. Wir warten wie sonst auch immer auf Julie, die gerade Chemie hatte. Ich verstehe nicht, wie man Chemie weiterwählen kann, was aber vielleicht auch an unserem unfähigen Lehrer liegt, wegen dem uns alle Grundlagen fehlen. Da geht es Julie schon besser, denn da sie erst vor zwei Jahren hier her gezogen ist, hat sie nie Bekanntschaft mit ihm gemacht.
Endlich sehe ich sie, wie sie mit wild hin und her schwingendem blonden Pferdeschwanz auf uns zukommt. »Worauf warten wir noch, ich will deinen Lover unbedingt kennenlernen«, sagt sie, kaum dass sie bei uns ist.
»Bitte hört auf, ihn meinen Lover zu nennen«, erwidere ich ein wenig genervt, als wir uns zu dritt auf den Weg nach unten durch die drängelnden Schülermassen bahnen.
Zwischen uns läuft doch nichts, oder? Wir haben uns doch erst zweimal gesehen, da kann Leyan nicht mein Lover sein. Er ist nett und ich habe ihn unfassbar gerne, aber da ist noch so viel Ungeklärtes zwischen uns.
Trotzdem muss ich schlucken, als wir dem Schulhof betreten und ich mich nach ihm umschaue. Ich freue mich wirklich, ihn zu treffen.
»Da ist er.« Wala zeigt in eine Ecke des Schulhofs, wo ich ihn tatsächlich auf einer Steinbank neben einer der Tischtennisplatten sitzen sehe.
Auf einmal schießt die Aufregung durch meine Adern und ich spüre, wie meine Finger zittrig werden. Was ist nur los mit mir? Ich sollte ruhig bleiben, es ist doch nur Leyan.
Wir steuern auf ihn zu und Julie flüstert mir ein „Er sieht echt gut aus“ zu. Beim Näherkommen entdeckt auch er uns und ein Lächeln erscheint auf seinem Gesicht, während er aufsteht.
Die Sonne scheint auf seine dunklen Locken und lässt sie glänzen. Er hat eine schwarze Jacke und eine Jeans an, nichts Besonderes.
Als wir bei ihm sind zieht er mich kurzerhand in einer Umarmung, wie er es auch schon auf der Party gemacht hat. Wieder umhüllt mich sein Geruch und ich muss mir ein Seufzen verkneifen.
Viel zu schnell endet seine warme Umarmung und er löst sich von mir. »Schön dich wiederzusehen, Engel«, begrüßt er mich mit einem Lächeln. Seine sturmblauen Augen funkeln.
Wala entfährt ein leises „aww“, weshalb er sich zu ihr wendet und sie angrinst. »Auch schön dich wiederzusehen.« Er zieht sie in eine kurze Umarmung.
»Und du bist dann Julie?«, fragt er, als er meine verbliebene Freundin ansieht. Sie nickt kurz und umarmt ihn, bevor er es tut.
Erst als er wieder vor uns steht sehe ich die Krücken, die an die Steinbänke gelehnt sind und dass er sich mit einer Hand an der Tischtennisplatte abstützt.
»Was hast du gemacht?«, frage ich ihn bestürzt.
Leyan zuckt mit den Schultern. »Wir hatten gestern Sport und ich hab mir 'ne echt fiese Bänderdehnung am Knie zugezogen. Deswegen hab ich jetzt für ein paar Tage Krücken, aber danach sollte es wieder gehen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Aber wie man sagt: Sport ist Mord.«
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Absturznächte [abgebrochen]
Teen Fiction[ Und jeden Abend habe ich Angst, dass du nicht bei mir sein wirst ] Beginn: 11.08.2020 Ende/abgebrochen: 05.01.2021 Cover by @ariethene © all rights reserved