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Ian

Mein Leben ist elend und allein ich trage Schuld daran. Denn ich habe dafür gesorgt, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben möchte. Ich habe ihr schreckliches angetan, für das ich mich sehr schlecht fühle. Ein furchtbarer Fehler, den ich begangen habe. Und ich kann es nicht rückgängig machen, aber das ist ja meistens so. Sie sollte Teil meines Lebens sein, doch ich habe es durch meine Torheit vergeigt.

Als ich das erste Mal Summers Emotionen beeinflusste, spürte ich, dass sie die Auserwählte ist, ihre Gefühle waren klar und intensiv und etwas strahlte aus ihr heraus, etwas, das nicht mit Worten fassbar ist. Dass sie mir die Hose nass machte, verzieh ich ihr sofort, da ich noch so euphorisch war, weil ich sie endlich gefunden hatte. Ich.

Nach so vielen Generationen. In meiner Familie wurde schon seit mehr als fünfhundert Jahren die Prophezeiung von Sohn zu Sohn weitergegeben, dass eines Tages eine kommen wird, durch die die Kraft des Schicksals fließt. Alle männlichen Mitglieder der ‚de Florence‘ - Familie hatten dieselbe Fähigkeit: das Erspüren und Manipulieren der Gefühle anderer Personen. So würde es uns möglich sein, zu bemerken, wer die Besondere war. Und ich hatte es geschafft. Ich erinnerte mich noch genau an den Tag, an dem mein Vater mir von unserer Aufgabe erzählte. Die Außergewöhnliche finden, sie geleiten und beschützen. Wenn ich ehrlich bin, glaubte ich ihm nicht, hielt das für ein verstaubtes Märchen, durch das sich unsere Familie besser fühlen wollte. Aber es war wahr.

Summer wusste es selbst noch nicht wirklich, aber bald würde sie die Bedeutung ihrer Kraft erkennen und ich dann auch. Denn was es genau war, war leider im Laufe der vielen Jahre verloren gegangen. Es war ein großes Rätsel, dem mein Vater schon sein Leben lang nachging. Er studierte alte Schriften, fuhr zu Vorträgen und verbrachte Stunden in unserer Bibliothek. Nur um Hinweise auf die Kraft des Schicksals zu finden. Erfolg hatte er noch keinen, aber es würde nicht mehr lange dauern, bis diese sich entfaltete und dann würden wir es ohnehin wissen.

Was es aber so schlimm macht, dass ich sie verloren habe – durch meinen dummen Fehler – ist, dass ich ihr Beschützer sein sollte. Beziehungsweise bin ich es. Aber ich darf mich ihr nicht nähern. Dabei sollten wir uns nahe sein. Damit ist noch nicht einmal eine romantische Beziehung gemeint, sondern eher eine Verbindung wie von Bruder und Schwester. Denn seit ich nach ihren Emotionen getastet und sie als die erkannt habe, die sie ist, ist ein Teil von Summer in mir. Anders kann man es nicht sagen.

Ich merkte es zum ersten Mal am Abend des Balls. Der Tag war ganz gut gelaufen und ich hatte viel Spaß mit meinen Kumpels. Aber plötzlich war da so ein Gefühl unbeschreiblicher Wärme und Glücks in meinem Bauch. Mein Kopf sagte mir aber, dass ich das nicht empfand. Und da Gefühle mein Spezialgebiet waren, war ich mir auch ziemlich sicher, dass das stimmte. Ich hatte die Emotionen der anderen um mich herum abgetastet, aber das, was ich spürte, kam nicht von ihnen.

Da war mein Blick auf Summer gefallen, die gerade von diesem Liam von der Tanzfläche geführt wurde. Ihre Augen strahlten vor Glück, als sie ihm nachsah. Sie war die Besondere. Und ich teilte ihre Gefühle. Außerdem stellte ich fest, dass ich eifersüchtig wurde. Ich wollte, dass sie mit mir Zeit verbrachte. Unsere Schicksale waren miteinander verwoben. Da sollten wir auch Freunde sein. Oder mehr. Ich fand sie unglaublich faszinierend. Aber sie hatte andere Interessen, mich würde sie nie beachten.

Tja und daher war ich so frustriert, dass ich mich auf das nicht ganz legale Trinkspiel meiner Freunde hinter der Halle einließ. Ich ignorierte die Tatsache, dass ich einfach fast nichts vertrage und zockte sie alle ab. Leider war ich danach nicht mehr ganz ich selbst und es kam zu dem Vorfall. In meinem Zustand erschien es mir eine gute Idee, Summer mit mir zu nehmen aber dann lief alles aus dem Ruder und ich halte mich deswegen für widerwärtig. Ehrlich gesagt, bin ich Spring und Travis dankbar, dass sie mich unterbrochen haben, auch wenn sie mich seitdem verachten, was ich aber verstehe.

Jedenfalls lässt mich Summer nun wohl nie wieder in ihr Leben und ich mache ihr keinen Vorwurf, aber ich weiß fast zu jedem Augenblick, was sie empfindet. Und das ist so, weil ich ihr Beschützer bin, wenn sie Angst hat, da sie sich in Not befindet, werde ich immer zu ihrer Seite eilen. Denn das ist meine Bestimmung.

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