13.

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Lend

Bisher war der Morgen ganz in Ordnung gewesen, aber wenn ich an das dachte, was mir jetzt bevor stand, wurde mir übel. Ich erzählte den anderen, dass ich noch etwas zu klären hätte, was in gewisser Weise stimmte, und begab mich zum ausgemachten Treffpunkt. Eine Bank hinter den Turnhallen. Es war zwar kalt und auch regnerisch, aber hier würde hoffentlich niemand vorbei kommen. Ich fröstelte. Zum Glück hatte ich an Schal und Handschuhe gedacht. Zehn Minuten würde ich noch warten müssen, aber das hatte ich ja selbst so gewollt. Es war mir lieber, immer etwas früher zu erscheinen und heute war es noch wichtiger.

So saß ich eine Viertelstunde auf der eiskalten Bank und fror mir den Hintern ab, da Francesco ganz gemäß seiner südländischen Abstammung zu spät kam. „Hallo!“, rief er vergnügt und nahm neben mir Platz. Ihm schien kein bisschen kalt zu sein. Er sah genauso gut aus, wie immer. Seine pechschwarzen, verwuschelten Haare ragten aus seiner Mütze hervor und in seinen olivgrünen Augen war das gewohnte schelmische Funkeln zu erkennen. Und dazu noch diese gebräunte Haut. Es war als wollte er es mir besonders schwer machen.

„Was ist los?“, fragte Francesco besorgt, als ich seine Begrüßung nicht erwiderte. Ich starrte geradeaus und hasste mich für alles, was ich in den nächsten Minuten sagen würde. Sagen musste. „Le-end! Hörst du mich? Ich bin hier!“, seine Hand bewegte sich vor meinem Gesicht hin und her. Ganz langsam drehte ich mich zu ihm, mein Herz fühlte sich auf einmal so schwer an wie einer der Riesenkürbisse, die meine Oma züchtete, oder einfach gesagt: verdammt schwer. Francesco musterte mich eingehend: „Irgendwie machst du mir Angst…“ Für ein paar Sekunden schloss ich die Augen und seufzte tief.

Als Francesco nach meiner Hand griff, öffnete ich sie und schaute ihm in die Augen. Tief ein und aus atmend sammelte ich mich, ehe ich anfangen konnte zu sprechen. „Francesco. Wir beide… Wir beide sind ja kein richtiges Paar“, ich musste schlucken, „Deshalb weiß ich nicht genau, wie ich die Situation beschreiben soll.“ Er hörte aufmerksam zu und schwieg. „I-Ich will das eigentlich nicht, aber es wäre unehrlich, es nicht zu sagen…“ Meine Stimme zitterte leicht. Francescos Augen verdunkelten sich: „Du… Warum?“ Sanft zog ich meine Hand aus seiner, aber er fasste sie erneut und Verzweiflung machte sich auf seinem Gesicht breit. Mein Kürbisherz wurde bei diesem Anblick zu Matsch. Ich konnte es nicht ertragen. Tränen liefen plötzlich über meine Wangen, ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich angefangen hatte zu weinen.

„Francesco, du bist süß und nett und lustig und wir haben viele Gemeinsamkeiten. Du bist perfekt, aber wir haben mal über wahre Liebe geredet, weißt du noch?“ „J-Ja, aber da haben wir doch über ein Buch geredet“, auch er weinte inzwischen, „Das ist doch im echten Leben unmöglich!“ Es tat so weh, ihn leiden zu sehen. Ich hatte ihn nie verletzen wollen und nun war es doch geschehen. „Ich mag dich wirklich. Aber ich muss nach dem Einen suchen. Und mein Bauchgefühl sagt mir, dass du es nicht bist. Es tut mir so leid. Das musst du mir glauben!“, antwortete ich und stand auf, „Es hätte keinen Sinn, einfach weiter zu machen. Du verdienst jemanden, für den du die wahre Liebe bist, Francesco.“

Wie ein Häufchen Elend sackte Francesco auf der Bank zusammen. Entsetzt drehte ich mich um und ging davon. Wie hatte ich ihm nur so etwas antun können? „Lend!“, rief er mir nach, „Ich werde dich nicht aufgeben!“ Das klang nach etwas, das der Held in einem Buch auch sagen würde, aber ich befürchtete, dass es für uns – im Gegensatz zu einem Roman – kein Happy End geben würde. „Du wirst mich aufgeben müssen“, meinte ich leise zu mir selbst, wischte die Tränen fort und beschleunigte meine Schritte.

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