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Mrs. Collins

,,Was machen Sie da?" Erschrocken fuhr ich herum. Ich hatte mich zweimal vergewissert, dass niemand im Büro war, ehe ich mir Zugang zu dem Safe hinter dem Gemälde verschafft hatte. Zweimal war allem Anschein nach einmal zu wenig gewesen. Überrascht über die abrupte Störung, schaffte ich es nur mit Mühe die Balance, auf der von mir improvisierten Stuhlkonstruktion, zu halten. ,,Mr. Darian...ich wollte nur...", stammelte ich vor mich hin, während ich vorsichtig von dem Stuhl herunter stieg. ,,Ich weiß, was Sie vor hatten! Sparen Sie sich Ihre Lügen!" Schlagartig fühlte ich mich in meine Schulzeit zurück versetzt. Ich war das Schulmädchen, das nun mit schuldbewussten Blick auf den Boden krampfhaft nach einer plausiblen Ausrede für ihr unerlaubtes Aufhalten im Büro des Direktors suchte.

 ,,Cornelia, denken Sie wirklich ich wäre so dumm, ihn hier in der Schule zu verstecken?", er lachte mit einem spöttischen Grinsen. Auf einmal spürte ich das große Verlangen ihm sein Lächeln mit meinen Fingernägeln aus dem Gesicht zu kratzen. Warum wollte er mir den goldenen Kompass nicht zurückgeben? Schließlich wurde er schon von Generation zu Generation in unserer Familie weiter gerreicht. Ich fühlte mich unfair behandelt und hintergangen. ,,Sie wissen genau, dass ich nicht aufgeben werde. So oder so werde ich ihn mir wieder holen. Es ist an ihnen, ob es auf die sanfte oder die harte Tour geschieht!", drohte ich ihm mit bösem Blick an. Das naive Schulmädchen von damals war verschwunden! Ich war nun die Konrektorin der Schule und musste solches Verhalten längst nicht erdulden. ,,Cornelia, Cornelia, Sie lernen wohl nie dazu?" Er sammelte ein paar Unterlagen vom Boden auf und legte sie ordentlich auf seinen Schreibtisch, ehe er ein paar Schritte auf mich zukam. Ich ließ mich nicht von ihm einschüchtern. Nicht mehr! ,,Ich kann ihnen den Kompass unter keinen Umständen aushändigen, selbst wenn ich es wollte", sagte er in einem sanfteren Ton und schenkte mir ein tröstendes Lächeln. Eins musste man ihm lassen: Er war ein perfekter Schauspieler! Nur zu Schade, dass ich Schauspieler noch nie hatte ausstehen können. ,,Das werden wir sehen...", flüsterte ich mehr zu mir selbst, als ich zornerfüllt den Raum verließ. Wie konnte er es wagen meinen Besitz zu beschlagnahmen? Nur weil er der weiße Erzmagier und noch dazu der Direktor der Schule war, hieß das lange nicht, dass er sich alles erlauben durfte! ,,Es ist zum Wohle der Schule!", äffte ich seinen Standardspruch in seiner affektierten Stimme nach, die mich jedes Mal, wenn ich sie hörte, fast zum Kotzen brachte. Natürlich hätte ich ihm das nie ins Gesicht gesagt - dazu war mir mein Job zu viel wert. Trotzdem hoffte ich inständig, dass ihm irgendwann einmal jemand eine Lektion erteilen würde, denn die hatte er wirklich nötig! Noch immer fragte ich mich, wo er meinen geliebten Kompass versteckt haben könnte. Hatte er ihn wirklich nicht in der Schule versteckt, oder war das nur eine Lüge? In seinem Safe war jedenfalls nichts von meinem Kompass zu sehen gewesen. Ich stellte mir vor, wie er in die Zeit zurück reiste, um mich ein für alle mal zu eliminieren. Zugegebenermaßen war diese Vorstellung etwas weit her geholt, aber möglich war sie alle mal. Auf einmal kam mir ein anderer Gedanke: Was, wenn er ihn nicht in der Schule, sondern in seiner Wohnung im Lehrertrakt versteckt hält? Da würde niemals jemand nachschauen! Ich wollte mich sofort auf den weg dorthin machen, aber eine Collins zog nie unvorbereitet in den Kampf. Also beschloss ich mir erst einen Plan auszudenken, damit mir nicht wieder so ein gravierender Fehler, wie vorhin im Büro, passierte. Ich rechnete mir aus, um wie viel Uhr Franco Darian sein Büro verlassen würde, um in der Zeit davor in seine Wohnung einbrechen zu können. 

Als ich im Lehrertrakt auf seine Tür zusteuerte, fand ich sie mysteriöserweise offen vor. Plötzlich war ich unsicher und zog die Möglichkeit in betracht, einfach unverrichteter Dinge zu gehen, aber meine innere Stimme zwang mich die Tür einen Spalt aufzuschieben. Franco saß in seinem Sessel, eine Zeitung in der Hand und eine Lesebrille aufgesetzt. Gedanklich fluchend, wollte ich umdrehen, doch da viel mir etwas ins Auge: Blut. Ganz eindeutig waren es Blutstropfen, die langsam aber sicher durch die Zeitung sickerten. ,,Oh mein Gott! Geht es Ihnen gut?", rief ich und ließ schnurstracks auf ihn zu. Keine Antwort kam. Ich schaute in seine starren, weit aufgerissenen Augen, die einem Serienkiller ähnlich sahen. Mein Impuls wegzurennen oder in Ohnmacht zu fallen, musste ich unterdrücken. Stattdessen quälte mich eine Frage: Wer hatte ihn ermordet? Ich suchte nach irgendwelchen Hinweisen, aber seine Wohnung war nicht mal verwüstet. Einzig seine Pulsadern waren aufgeschnitten worden. Ich bekam es mit der Angst zu tun: Natürlich hatte ich Franco Darian nie gemocht, aber das bedeutete nicht, dass ich mir seinen Tod gewünscht hätte. Wenn der weiße Erzmagier tot war, wer würde dann seinen Platz einnehmen? Zitternd sank ich auf dem beigen Packettboden zusammen. Für kurze Zeit rückte die Suche nach meinem Kompass in den Hintergrund. Jetzt hatte ich weitaus größere Probleme...

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