3.

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Rosalie

,,Mum?", fragte ich vorsichtig in den dunklen Raum hinein. Langsam ging ich ein paar Schritte vorwärts. ,,Hast du sie?", hörte ich die strenge Stimme meiner Mutter, die wenige Meter vor mir in einem dunkelblauen Seidenkleid dastand und sich argwöhnisch in einem kleinen bronzenen Handspiegel betrachtete. Ich hatte Angst vor dem Gespräch, welches mir nun bevorstand, aber diese Angst durfte ich mir natürlich nicht anmerken lassen. ,,I-Ich fürchte, wir haben unsere Aufmerksamkeit auf die falschen Personen gelenkt", ich tat mir schwer das Zittern in meiner Stimme zu verbergen und biss mir auf meine bebende Unterlippe. ,,Was soll das heißen? Ich BRAUCHE diese Karte!", schrie sie mich mit zornerfüllter Stimme an. ,,Ich weiß", gab ich in einem unsicheren Ton zurück. ,,Dann besorg sie mir gefälligst! Du darfst mir erst wieder unter die Augen treten, wenn du mir entweder die Karte oder den silbernen Spiegel bringst! Hast du das verstanden?", sie warf ihren bronzenen Handspiegel kraftvoll gegen die Wand, sodass tausend kleine Scherben auf den weiß gefliesten Boden fielen und wie glitzernde Schneeflocken darauf liegen blieben. ,,Ich werde ihn dir bringen!", rief ich mit neu gewonnener Entschlossenheit, die meine Furcht zu überspielen schien. ,,Braves Mädchen", sagte sie mit einer etwas sanfteren Stimme, während sie mir eine meiner blonden Strähnen aus dem Gesicht strich. ,,Du sollst wissen, dass ich keinesfalls an deinen Fähigkeiten zweifle, trotzdem wäre es besser, wenn du mich nicht noch einmal enttäuschst!" Mit diesen Worten wandte sie sich wieder von mir ab und stolzierte hocherhobenem Hauptes aus dem Zimmer.

,,Jason? Du hast doch gesagt, dass du mir bei allem helfen würdest. Jetzt ist die Zeit gekommen, deine Treue zu beweisen!", mit einem siegessicheren Lächeln trat ich auf den schwarz gekleideten Jungen zu, dessen Augenfarben zugegebenermaßen etwas gewöhnungsbedürftig waren, und nahm ihn bei der Hand. ,,Sicher, alles, was du willst, Rosie", antwortete er mit einem Blick, der einem verliebten Gockel ähnelte. ,,Mit keiner anderen Antwort hätte ich mich zufrieden gegeben", flüsterte ich ihm zu. ,,Was soll ich für dich tun?", fragte er entschlossen. Seinem Ton nach zu urteilen, war er bereit alles für mich zu tun, solange es mich glücklich machte. Genau diese Art von männlichen Wesen verabscheute ich so sehr. Noch nie hatte ich verstanden, was es hieß blind vor Liebe zu sein, aber als ich Jason jetzt in die Augen blickte, meinte ich die wahre Bedeutung dieser Redewendung zu erfassen. Liebe machte die Menschen schwach und Schwäche war erbärmlich. Das hatte mir meine Mutter schon von klein auf gepredigt. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum sie niemals Gefühle zuließ. Sie wollte mit aller Macht stark sein und nichts bedeutende Emotionen standen ihr dabei nur im Weg. ,,Du könntest mir da bei einer wichtigen Sache helfen...", begann ich in einem verschwörerischen Ton. Ich wusste, ich hatte ihn am Haken. Das machte die Sache umso einfacher. ,,Es gibt da zwei Mädchen auf meiner Schule, die mir ein Dorn im Auge sind. Wärst du so nett und würdest diesen Dorn ein für alle mal vernichten? Da wäre noch eine Sache: Sie haben mir etwas gestohlen, genauer gesagt zwei wertvolle Dinge: Zum einen eine Karte, die schon seit langer Zeit im Besitz meiner Mutter ist, zum anderen einen Spiegel, der zwar unscheinbar aussieht, aber mir dennoch sehr am Herzen liegt. Ich weiß wirklich nicht, wie ich mit diesem Verlust umgehen soll", seufzte ich und ließ mich theatralisch in seine Arme fallen. Fast wäre ich dazu bereit gewesen eine Krokodilsträne abzusondern, aber meine Tränen wollte ich mir noch aufsparen. ,,Oh Rosie, natürlich werde ich das so schnell wie möglich für dich erledigen! Ich kann es nicht ertragen dich so leiden zu sehen! Schon bald wirst du mit deiner Karte und deinem Spiegel wiedervereint sein! Ich verspreche es dir!", antwortete er und machte Anstalten mich zu küssen. Schnell wand ich mich aus seinem Griff, sodass er mir nur einen sanften Kuss auf die Wange geben konnte. ,,Danke Jason. ich wusste, auf dich ist Verlass!" 

Ich schaute ihm noch nach, als er durch das blaue Portal verschwand, um seinen neuen Auftrag auszuführen. Zufrieden machte ich mich auf den Weg zurück zu meinen Gemächern. Jason war in der Tat leicht zu manipulieren - man musste noch nicht einmal Magie anwenden! Aber ein verliebter Trottel war zu allem fähig und das musste ich mir zu Nutze machen. Ein böses Lachen konnte ich nicht unterdrücken, als ich mir vorstellte wie Jason für mich von einer Klippe sprang, nur weil ich es so wollte. Liebe machte nicht nur schwach, sondern auch dumm. Ich hoffte ich war, genauso wie meine Mutter, immun gegen alle Art von Annäherungsversuchen seitens des männlichen Geschlechts. Die Chance dafür stand aber ziemlich gut. 

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