Ich wartete an dem selben Grabstein. Madeleine Roosevelt, geboren 1835, gestorben 1855. Geliebt und nicht vergessen. Ich fragte mich, ob sie sich umgebracht hatte oder an einer Krankheit gestorben war.
Sie war in das schwarze Loch gefallen.
Ich muss Stunden zu früh da gewesen sein, denn ich starrte eine Ewigkeit in den schwarzen Nachthimmel und noch eine Ewigkeit auf meine hässlichen, dürren Finger und die schmalen Knöchel.
Ich dachte an die Rasierklingen in meinem Rucksack und fragte mich, ob ich dieses Mal gekommen war, um zu sterben. Als Ungeziefer.
Kane Wellington war pünktlich zum Glockenschlag da. Die Haare wild und zerzaust, über dem Pullover eine verwaschene Armeejacke.
Ich starrte ihn an, als wäre er ein Geist. Eine Fata Morgana der letzten Tage. Ein Hilfeschrei aus meinem Inneren. Aber er war echt. Ich hätte diese blonden Haare oder den kantigen Kiefer berühren können und sie wären echt gewesen.
"Hey du", begrüßte er mich lächelnd. Es waren die gleichen Worte wie Sonntag. "Hast es dir gemerkt."
Ich war starr. Ich hab irgendwie nicht damit gerechnet, dass er auftauchen würde. Ich bin an Enttäuschungen gewöhnt. Alles ist eine verfickte Enttäuschung.
"Bist wieder zum sterben gekommen?", wollte er wissen, zündete sich eine Kippe an und lehnte sich an den Grabstein mir gegenüber.
Die Frage war taktlos. Ich glaube, das ist so seine Art. Er macht sich seinen Spaß daraus.
"Meintest doch, Sterben wär nur was für Alte, Tote und Ungeziefer", erwiderte ich. Dabei war ich die Ratte. Die Kakerlake. Und er vielleicht nur ein weiterer Stiefel.
Kane grinste. "Ja, meinte ich."
Der Rauch stieg zum Himmel, wo er im Dunkel verschwand. Ich wusste nicht, warum ich da war. Was mich dazu bewegt hatte, auf ihn zu hören. Daran zu glauben, dass es nicht nur leere Worte waren.
"Was willst du?", fragte ich. Ich traute ihm nicht. Ich hatte keinen Grund, ihm zu vertrauen.
Seine Mundwinkel zuckten. "Satan anpreisen und Gedichte schreiben."
Ich weiß nicht, ob das, was wir hatten, ein Flirt war. Ich weiß nichts vom Flirten und interessiere mich auch nicht dafür. Es war die Art, wie er mit mir sprach, was ich an Kevin so sehr schätze. Als wäre ich normal. Nur irgendwie tiefer.
Er zündete noch eine Zigarette an und reichte sie mir. Er fragte nicht.
Jetzt waren wir auf einem Planeten. Der selbe Boden unter unseren Füßen.
Warum hatte ich ihn nie zuvor auf diese Art bemerkt?
"Was hasst du am meisten, Moore?", wollte er nach einer Weile wissen.
Ich spürte wieder die Leere in mir. Diesen Schmerz, den man nur abgedroschen oder gar nicht beschreiben kann. Der Schmerz, die falsche Person zu sein.
Mich selbst. Ich hasse mich selbst. Ich hasse meinen Körper. Ich hasse, dass alle nur den Körper sehen.
Ich zuckte mit den Schultern und log ihn an. Kane durchschaute mich.
"Ich hasse Ungeziefer", meinte er und zog an der Kippe. "Und Regeln, vielleicht."
Ich beineide ihn darum, wie lässig er das sagen konnte. Und ich schäme mich dafür, dass meine Angst die Wahrheit überschattet.
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Amokpoesie
General FictionWir gehen jetzt mal morden, du und ich. Denn alle hier sind Ratten, nur wir zwei Wir sind Götter. Komm, schieß die Schüler nieder Und alle Lehrer tot. Moore zeichnet Spiegel - Kane zerschlägt sie. (Vorab: Ich will Amokläufe nicht verherrlichen. Die...