Prolog I

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Das Erste, was das Mädchen sah, als es nach seiner Geburt die Augen öffnete, war das Lächeln seiner Mutter. Es war warm und liebevoll und das Mädchen würde sich für den Rest seines Lebens an dieses Lächeln erinnern. Selbst, wenn es nur das Gefühl war, dass es bei dem Anblick dieses Lächelns empfand.
Die Tür flog auf und die Mutter hob den Blick. Sie lag in ihrem Bett, Kissen stützten ihren Rücken, damit sie aufrecht sitzen und ihr Kind halten konnte.
"Thorin", begrüßte sie den Neuankömmling lächelnd.
Dieser trat an ihre Seite. Im Gegensatz zu nach der Geburt ihres ersten Kindes, waren seine Schritte selbstsicher und in seinem Schritt lag ein freudiger Schwung.
Die Mutter erinnerte sich noch genau, wie er damals, als sie ihr erstes Kind geboren hatte, zögerlich und vorsichtig eingetreten war und sich kaum getraut hatte, einen Ton von sich zu geben, aus Angst, er könne sie und ihr Kind stören.
"Darf ich vorstellen: unsere Tochter", sprach sie mit sanfter Stimme.
Thorin sagte eine ganze Zeit lang gar nichts, zu eingenommen von der Schönheit seines Kindes und seiner Frau.
"Hast du ihr schon einen Namen gegeben?", fragte er schließlich, ohne seinen Blick von dem Neugeborenen abzuwenden.
Die Frau lächelte und antwortete: "Ich dachte, wir überlassen die Wahl des Namens unserem Sohn. Ich vertraue darauf, dass du ihn nicht daheim gelassen hast?"
Thorin lachte.
"Selbst wenn ich es versucht hätte, hätte ich ihn nicht vom Mitkommen abhalten können", erwiderte er.
Er ging zur Tür und öffnete sie.
"Frerin, du darfst hereinkommen", sagte er zu dem jungen Zwerg, der vor der Tür stand, "Aber sei vorsichtig, deine Mutter und deine Schwester müssen sich noch ausruhen."
Schleichend trat der Junge an das Bett heran.
"Sie ist so klein...", flüsterte er andächtig.
Die Erwachsenen verbissen sich ein Lachen.
"Möchtest du sie halten?", bot die Mutter an.
Frerin schüttelte heftig den Kopf.
"Ich möchte ihr nicht weh tun."
"Von mir hat er das nicht", kommentierte Thorin.
Seine Frau verdrehte belustigt die Augen.
"Welchen Namen möchtest du ihr geben?", fragte sie ihren Sohn.
Die Augen des Jungen begannen zu leuchten.
"Ich darf ihr ihren Namen geben? Darf ich wirklich?"
Thorin legte ihm eine Hand auf die Schulter und bestätigte: "Ja, das darfst du."
Der junge Zwerg wurde still und dachte nach.
Eine ganze Weile blieb es ruhig im Zimmer. Die Eltern tauschten belustigte Blicke, ob der Nachdenklichkeit ihres Sohnes. Der Junge lief mittlerweile leise im Zimmer auf und ab. Immer mal wieder schüttelte er den Kopf.
"Lumiel...", flüsterte er plötzlich und sah seine Mutter an.
"Schattentochter?", übersetzte Thorin.
Er gab sein Bestes, sich seine Zweifel nicht anmerken zu lassen, doch seine Frau kannte ihn gut genug.
Frerin nickte.
Fast beschämt senkte er dann den Kopf und erklärte: "Ich weiß auch nicht, wieso, aber ich habe das Gefühl, der Name passt zu ihr."
"Naira-"
Naira brachte ihren Mann mit einem Blick zum Schweigen. Sie winkte ihren Sohn zu sich.
"Das Gefühl habe ich auch", pflichtete sie ihm bei und damit legte sie ihre Tochter in die Arme des Jungen.

Thorin und Frerin mussten bald nach Hause zurückkehren. Dort warteten wichtige Regierungsgeschäfte auf den König und seinen Sohn, der ihm eines Tages auf den Thron folgen sollte.
Naira und Lumiel blieben noch etwa eine Woche im Waldlandreich, damit sich die Mutter von der Geburt erholen konnte.
Thranduil, der König unter Buche und Eiche, hatte seine helle Freude daran, den Babysitter für die Prinzessin des Erebors zu spielen, damit seine Freundin sich ausruhen konnte: Er las ihr vor; erklärte ihr die Länder Mittelerdes und - was er für ganz wichtig hielt - führte sie in die hohe Kunst des Erkennens eines guten Weines ein. Natürlich ließ er sie das Gebräu nicht probieren. Erschöpft oder nicht, täte er es, hätte Naira noch genug Kraft in sich, um ihn von allen Seiten extra knusprig zuzubereiten.
Doch auch für Naira und Lumiel kam der Tag, an dem sie zum Erebor zurückkehren mussten.
Der Abschied fiel vor allem Thranduil schwer und Naira musste versprechen, bald zu Besuch zu kommen und ihre Tochter ja nicht zu vergessen.
Da die Königin des Erebors noch immer zu erschöpft war, um die Reise mit ihrer Tochter allein bewältigen zu können, hatte man ihr eine Eskorte zur Seite gestellt.
Doch auch diese nützte nicht viel: Bei einer der zahlreichen Pausen, die eingelegt werden mussten, da entweder Lumiel Hunger hatte oder gewickelt werden musste oder Naira zu müde wurde, um sich noch viel länger auf ihrem Pferd halten zu können, wurden sie von einer Horde Orks überfallen.
Naira, zu schwach, um sich und ihre Tochter zu verteidigen, stürzte vor Erschöpfung von ihrem Pferd. Die Eskorte wurde von den Angreifern erschlagen und Lumiel... Ja, was mit Lumiel geschah, wusste niemand.

Von Maerwyn und Lumiel (Der Herr der Ringe Fan-Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt