Kapitel 18

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Maerwyn und Gimli betraten die Halle.
Der Zwerg verzupfte sich sofort zu dem Tisch, an dem Aragorn saß, und nahm sich etwas zu Essen.
Legolas stand hinter Aragorn an eine Säule gelehnt und beäugte Maerwyn argwöhnisch, was diese ignorierte.
Théoden saß auf seinem Thron, Gandalf neben ihm, und hatte die Hand über die Augen gelegt, als litte er furchtbare Qualen.
Éowyn hockte neben zwei Kindern, die Suppe und Brot verspeisten. Es schien, als hätten sie seit Tagen nichts mehr gegessen.
Ehe Maerwyn fragen konnte, was geschehen sei und warum sie benötigt würde, erhob sich Éowyn und sprach: "Sie wurden nicht gewarnt. Sie hatten keine Waffen. Jetzt ziehen die wilden Menschen durch die Westfold und brennen alles auf ihrem Weg nieder."
"Stall, Schober und Baum", fügte sie hinzu, während sie eine Decke um die Schultern des Mädchens legte.
"Wo ist Mama?", fragte es.
Ein Stich ging durch Maerwyns Brust. 
Éowyn beruhigte das Kind, bevor sie ihrer Base einen besorgten Blick zuwarf. Sie erinnerte sich nur allzu gut an den Tag, an dem die Prinzessin selbst diese Frage gestellt hatte.
Maerwyn atmete tief ein und wandte sich wieder dem König und Gandalf zu. Der Zauberer erklärte, dass Saruman noch schlimmeres anstellen würde, da er durch die Angst vor Sauron getrieben würde.
"Reitet und bietet ihm die Stirn", empfahl er. "Lockt ihn weg von Euren Frauen und Kindern."
Théodens Blick wanderte zu dem Sprecher.
"Ihr müsst kämpfen."
Maerwyn stellte sich neben Legolas.
"Geht es dir gut?", fragte dieser.
Sie nickte nur und starrte auf den Boden. 
Aragorn erhob jetzt die Stimme: "Ihr habt zweitausend gute Männer, die nach Norden reiten, während wir sprechen. Éomer ist Euch treu. Seine Männer werden zurückkehren und für ihren König kämpfen."
Théoden stand auf.
Er widersprach: "Sie werden mittlerweile dreihundert Meilen von hier entfernt sein."
Er ging zu dem Tisch, an dem die Kinder saßen, ehe er sich wieder umdrehte und mit Grabesstimme erklärte, Éomer könne ihnen nicht helfen.
Maerwyn hob den Blick. Sie wollte so vieles sagen, doch sie konnte nicht.
Wie konnte er die Hoffnung auf Unterstützung aufgeben, wenn er nicht einmal versucht hatte, sie zu bekommen? 
Sie wollte schreien, er solle trotz alledem einen Reiter losschicken, um nach Éomer zu suchen. 
Doch sie blieb still. Sie wusste, wenn sie jetzt auch nur ein Wort sagte, würde alles aus ihr herausbrechen; alle Wut und Trauer und Verzweiflung; jedes noch so kleine Geheimnis, das sie je vor ihm bewahrt hatte. Manches davon war wirklich nicht für fremde Ohren geeignet, deshalb blieb sie still und ballte nur die Fäuste.
Eine warme Hand schloss sich um ihre Faust, doch sie entzog sich ihr.
Sie wagte nicht, Legolas anzusehen. Sie wusste, dass sie ihn verletzt hatte. Doch dies war nicht der Ort, um sich von ihm trösten zu lassen.
"Ich weiß, was Ihr von mir wollt", lenkte Théoden ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich. "Doch ich werde nicht mehr Tod über mein Volk bringen. Ich werde keinen offenen Krieg riskieren."
Oh, da fühlte sich einer ganz schlau: Zieh den Kopf ein und tu, als seist du nicht da, dann verschwindet das Problem von allein. Weil das, vor allem im Krieg, immer so gut funktionierte.
Doch bevor Maerwyn die Sicherungen durchbrennen konnten, sprach Aragorn ihre Gedanken aus, wenn auch ruhiger und mit gewählteren Worten.
Théoden war nicht beeindruckt.
"Als ich das letzte Mal schaute, war Théoden, nicht Aragorn, König von Rohan", schoss er zurück.
Maerwyn knirschte mit den Zähnen.
Dieses Mal ließ Legolas sich nicht abschütteln.
Bevor die Situation eskalierte, fragte Gandalf nach des Königs Entscheidung.
"Wir ziehen nach Helms Klamm."
Maerwyn schloss die Augen. Unbeschreibliches Grauen überkam sie. Das würde kein gutes Ende nehmen. Bis auf einen Gebirgspfad, der so schmal war, dass er eigentlich nicht einmal als Pfad bezeichnet werden dürfte, führte kein Weg aus dieser Schlucht heraus. Sie säßen in der Falle.
Doch Théoden war in der Tat der König und nicht einmal sie, als Prinzessin, würde etwas an seinem Willen ändern können.
Sie wusste, es drängte ihren Vater mit ihr zu sprechen, doch sie folgte Gandalf, Legolas, Aragorn und Gimli zu den Ställen, ohne sich auch nur ein Mal umzudrehen.
Gimli schimpfte darüber, dass sie lieber in Edoras bleiben und kämpfen sollten.
Er hatte nicht unrecht. In Edoras säßen sie wenigstens nicht gefangen zwischen einer Armee und einem Gebirge.
Aragorn nahm den König in Schutz: "Er tut nur, was er als das Beste für sein Volk erachtet. Helms Klamm hat sie in der Vergangenheit gerettet."
"Aus dieser Schlucht führt kein Weg heraus", sprach Gandalf der Prinzessin Zweifel aus. "Théoden läuft in eine Falle. Er glaubt, er führt sie in Sicherheit. Was er bekommen wird, ist ein Gemetzel."
Der Zauberer betrat Schattenfells Box und drehte sich zu Aragorn und Maerwyn um.
"Théoden hat einen starken Willen, doch ich fürchte um ihn", gab er zu. "Ich fürchte um das Überleben Rohans. Er wird euch beide vor dem Ende brauchen, also lege deine Zwistigkeiten zur Seite, Maerwyn, das Volk von Rohan, wird dich brauchen. Ihre Verteidigung muss standhalten."
Maerwyn wandte den Blick ab.
Wie konnte Gandalf von ihr glauben, dass die Menschen, die sie jahrelang als ihr Volk angesehen hatte, dem Tod überlassen würde, weil sie mit ihrem Regenten ein Hühnchen zu rupfen hatte?
"Sie wird halten", versicherte Aragorn.
"Ich bin kein kleines Kind, Gandalf", bemerkte Maerwyn. "Ich weiß meine Prioritäten durchaus zu setzen."
Gandalf wandte sich seinem Pferd zu.
"Der Graue Pilger", redete er vor sich hin, während er Schattenfell streichelte. "So wurde ich einst genannt. Dreihundert Menschenleben lang bin ich auf dieser Erde gewandelt und jetzt habe ich keine Zeit mehr."
Aragorn öffnete die Boxentür.
"Mit Glück wird meine Suche nicht umsonst sein", fügte Gandalf hinzu, während er sich auf den Rücken seines Reittieres schwang. "Erwartet mein Kommen beim ersten Licht des fünften Tages, bei Sonnenaufgang schaut nach Osten."
Maerwyn und Aragorn nickten.
"Geh", forderte der Waldläufer ihn auf.
Gandalf gab Schattenfell die Sporen und sie schossen aus der Box. Auf dem Weg hinaus, rannten sie fast Legolas und einige Soldaten über den Haufen.
Maerwyn kicherte, bevor sie sich ebenfalls Richtung Ausgang begab.
"Wo gehst du hin?", wollte Aragorn wissen.
"Gandalf hat gesagt, ich solle meine Zwistigkeiten beilegen", antwortete sie  "Also werde ich ein kleines Gespräch mit meinem Vater führen."
"Meinst du, das ist eine gute Idee?"
Legolas, der sich zu ihnen gesellt hatte, zweifelte daran.
Maerwyn legte eine Hand auf seinen Arm.
"Wenn ich es jetzt nicht mache, bricht es zu einem noch ungünstigeren Zeitpunkt aus mir heraus."
"Ich könnte mich täuschen", kommentierte Gimli altklug. "Aber dies ist ein sehr ungünstiger Zeitpunkt."
Die Prinzessin sah jeden einzelnen ihre Gefährten an.
"Es gibt nie einen guten Zeitpunkt um die Person, die man jahrelang für seinen Vater gehalten hat, zu fragen, warum er einem nie gesagt hat, dass er es nicht ist."
Sie nutzte den entstandenen Moment der Stille, um aus den Ställen zu huschen und zurück zur Goldenen Halle zu gehen.

Von Maerwyn und Lumiel (Der Herr der Ringe Fan-Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt