3. Anruf

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"Guten Abend! Sie sprechen mit dem Heimwegtelefon. Ist alles-"

"Wie kann es eigentlich sein, dass ich jedes Mal mit dir spreche?"

"Oh, hallo. Ich denke das liegt daran, dass ich immer als Erstes abnehme."

"Wie viele arbeiten denn gerade gleichzeitig?"

"Insgesamt sind wir um die 35 Ehrenamtliche. Allerdings arbeiten nicht immer alle an allen Wochentagen."

"Du schon?"

"Nein, ich arbeite nur freitags und samstags. An diesen Tagen gibt es auch die meisten Anrufer."

"Und mein Anruf wird dann an alle Mitarbeiter weitergeleitet?"

"An alle, die samstags arbeiten."

"Und warum nimmst du meinen Anruf jedes Mal so schnell an?"

"Das ist mein Job."

"Du bekommst nicht einmal Geld dafür."

"So ist das bei ehrenamtlichen Beschäftigungen."

"Und was ist, wenn ich auch mal mit einem anderen Mitarbeiter sprechen will?"

"Ich kann dich zu einem durchstellen."

"Oh ja!"

– – –

"Guten Abend! Sie sprechen mit dem-"

"Günther ist ein ziemlich schlechter Mitarbeiter."

"Günther?"

"Mit dem musste ich gerade sprechen. Er ist mitten im Gespräch eingeschlafen."

"Es ist ja auch schon halb drei."

"Aber das ist sein Job."

"Er bekommt doch nicht einmal Geld dafür."

"Du bist echt doof. Ich glaube hätte Günther damals statt dir abgenommen, hätte ich nie wieder hier angerufen."

"Ist das ein Kompliment?"

"Herzlichen Glückwunsch. Du schläfst während deines Jobs nicht ein. Solch eine herausragende Leistung muss belohnt werden. Dafür wirst du befördert."

"Und was bekomme ich jetzt?"

"Da du ein solches Talent hast, was Gesprächeführen angeht, bist du nicht mehr auf deine Liste mit den vorgedruckten Sätzen angewiesen. Schmeiß diese Liste nun weg und führe echte Gespräche – fern vom Nachnahmen von programmierten Ansagen."

"Die Existenz dieser Liste hat schon seinen Grund."

"Aber bringen tut sie auch nichts, wenn Günther seine Lesebrille verlegt hat und kein Wort lesen kann."

"Worüber habt ihr euch unterhalten?"

"Er hat mir von seinen Enkeltöchtern erzählt. Dass er es sich nicht verzeihen könnte, wenn denen etwas passiert. Deshalb arbeitet er beim Heimwegtelefon, um potentielle Übergriffe zu verhindern."

"Das ist ja süß."

"Warum arbeitest du eigentlich hier?"

"Ich wollte das einfach mal auspobieren. Ich bin am Wochenende sowieso immer viel zu lange wach. Und es ist ganz interessant, mit so vielen verschiedenen Menschen zu reden."

"Ich stelle mir das ziemlich langweilig vor."

"Aber du rufst trotzdem jeden Samstag hier an und tust das selbe wie ich."

"Ich bin ja auch auf dem Heimweg. Was viel Besseres habe ich gerade nicht zu tun."

"Du musst hier auch nicht anrufen, wenn es dich so langweilt."

"Ach, ich ärgere dich gerne."

"Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass Günther das Schlafen vielleicht nur gespielt hat, um nicht mehr mit dir sprechen zu müssen?"

"Also so gemein bin ich auch wieder nicht."

"Nicht so gemein wie ich gerade zu dir war!"

"Oha. Du lernst schnell dazu. Vielleicht sollte ich wirklich über eine Beförderung nachdenken."

"Denk dran, du hättest jetzt auch Günthers Schnarchen zuhören können, aber du hast die Ehre mit mir höchstpersönlich sprechen zu dürfen."

"Stimmt. Da kann ich mich wirklich glücklich schätzen. Ich bin jetzt übrigens zu Hause."

"Okay. Vielen Dank, dass-"

"Was habe ich dir gesagt?"

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