16. Anruf

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"Hallo?"

"Auf einer Skala von Regenwurm bis Elefant, wie sehr hattest du damit gerechnet, dass ich jetzt anrufe?"

"Ameise."

"Oh, störe ich?"

"Immer."

"Wirklich?"

"Ja, aber ich mag das."

"Was hast du denn gerade gemacht?"

"Ach, bloß abgewaschen. Aber meistens schaue ich Netflix oder lese mir Dinge für die Uni durch."

"Aber ich rufe doch meistens erst spät abends an."

"Ja, aber ich schiebe Dinge gerne auf. Und bleibe immer viel zu lange wach."

"Das kommt mir bekannt vor. Ich muss dir noch von dem Doppel Date erzählen."

"Lief es gut?"

"Total. Meine Freundin ist völlig hin und weg. Die beiden haben sich so gut verstanden, das hätte besser gar nicht laufen können."

"Und bei dir und seinem Halbbruder?"

"Es ist fast unmöglich, aber da lief es noch besser. Meine Freundin hatte Recht, er sieht so verdammt gut aus! Wir haben die beiden nach zwei Stunden allein gelassen und sind in eine Bar gegangen. Und zum Abschied haben wir uns sogar geküsst."

"Cool. Freut mich, dass es so gut lief. Dann seht ihr euch sicherlich bald wieder?"

"Auf jeden Fall! Ich kann es kaum erwarten, ihn wieder zu sehen."

"Das kann ich mir vorstellen."

"Und was ist bei dir so passiert?"

"Nicht viel. Die Jury hat ihre Favoriten bestimmt. Aber das solltest du ja schon erfahren haben."

"Stimmt, das ist ja auch noch passiert! Ich habe die Mail beim Date bekommen. Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich gefreut habe!"

"Auch das kann ich mir ganz gut vorstellen."

"Ist alles okay mit dir? Du wirkst schon wieder so kühl."

"Alles so wie immer."

"Oh Mann, ich halte es nicht mehr aus."

"Was meinst du?"

"Das war eine Lüge. Ich wollte dich verarschen, mit dem Doppel Date. Aber jetzt fühle ich mich schlecht und wünschte, ich hätte einfach die Wahrheit erzählt."

"Was war eine Lüge?"

"Dass der Halbbruder und ich uns gut verstanden haben."

"Also habt ihr euch schlecht verstanden, seid dann aber trotzdem in die Bar gegangen und habt euch geküsst?"

"Nein, natürlich nicht, Blödmann. Da war keine Bar und auch kein Kuss."

"Ich weiß nicht, ob ich jetzt erleichtert oder wütend sein soll."

"Eine Mischung aus beidem?"

"Du bist so blöd! Als hättest du mich nicht schon genug verarscht!"

"Würdest du dabei nicht lachen, würde ich mir jetzt echt Gedanken machen."

"Solltest du auch so, haha."

"Also, habe ich die Wette gewonnen?"

"Natürlich nicht!"

"Schade."

"Ich frage mich nur, ob du jemals ehrlich zu mir sein kannst."

"Du willst wirklich, dass ich ehrlich bin?"

"Ja."

"Ich habe, seit du mir First day of my life gezeigt hast, das Lied ungefähr hundert Mal gehört, und jedes Mal muss ich dabei an dich denken. Ich bin aufgeregt wegen Samstag. Nicht nur weil ich fünf Minuten auf der Bühne vor lauter Leuten stehen werde. Sondern vor allem, weil ich dir dort höchstwahrscheinlich begegnen werde. Und weil ich nicht weiß, was ich anziehen soll und was du von mir denkst und ob ich dafür überhaupt bereit bin."

"..."

"Ich vermisse meinen Onkel. Er hätte mir jetzt gesagt, was ich tun soll."

"Mai. Höre das Lied einmal kurz bevor du beim Theater ankommst und einmal kurz bevor du auf die Bühne gehst. Ziehe das dunkelgrüne Kleid an, das du den einen Tag in der Bar anhattest. Mache dir keine Gedanken darüber, was ich von dir denke. Du bist bereit, sowas von bereit."

"Wow."

"..."

"Danke. Das bedeutet mir so viel."

"Immer gerne. Auch, wenn du dich manchmal wie ein Arsch verhältst."

"Vielleicht habe ich auch einfach Angst vor meinen Gefühlen und was diese auslösen könnten. Deshalb fällt es mir schwer, ehrlich zu sein."

"So schwer war das doch gerade gar nicht, oder?"

"Nein. Danke, Milo. Ich kann es kaum erwarten, dich in vier Tagen zu sehen."

"Ich freue mich auch auf dich, du Trottel."

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