"Guten Abend! Sie sprechen mit-
"Ich weiß, mit wem ich spreche. Sonst hätte ich ja nicht die Nummer gewählt."
"Oh, du schon wieder."
"So sehr hat sich noch nie jemand gefreut mit mir zu sprechen!"
"..."
"Immerhin kriegst du Geld dafür."
"Ich? Nein. Ich mache das ehrenamtlich."
"Du lässt dich ehrenamtlich von mir ärgern? Cool. Andere würden das nicht mal für Geld tun."
"Bist du gerade auf dem Heimweg?"
"Würde ich sonst anrufen?"
"Letztes Mal warst du ja auch schon zu Hause, als du noch mit mir geredet hast."
"Aber fünf Minuten zuvor war ich nachts alleine draußen."
"Kommst du von einer Party?"
"Aus dem Club. Schon lustig, dass manche Leute nachts feiern sind, während du zu Hause sitzt und mit betrunkenen Leuten redest. Freiwillig."
"Du bist betrunken?"
"Nicht mehr."
"Was ist denn am Feiern besser als am Helfen anderer Menschen?"
"Wer sagt, dass ich nicht auch helfe? Meine beste Freundin ist seit zwei Wochen Single. Ich helfe ihr dabei, auf andere Gedanken zu kommen und neue Leute kennenzulernen."
"Ich bezweifle, dass man sich bei der lauten Musik gut mit anderen Menschen unterhalten kann."
"Gehst du gerne feiern?"
"Ich feiere gerne Geburtstage von Freunden oder Familie. Sich in einem stickigen Raum eng an anderen schwitzigen Körpern zu bewegen, meide ich."
"Also sitzt du lieber jeden Abend alleine bei dir zu Hause und redest mit fremden Menschen?"
"Mit wie vielen Menschen hast du denn im Club heute geredet?"
"Mit wie vielen Menschen hast du denn heute überhaupt so geredet?"
"Du hast meine Frage nicht beantwortet."
"Da waren nur komische Leute in dem Club. Das konnten wir ja vorher nicht wissen."
"Außerdem ist es nicht die beste Idee, seine Trauer mit Alkohol zu bekämpfen. Das wirkt vielleicht schnell, aber nicht lange."
"Aber es macht Spaß."
"Du hast mir übrigens immer noch nicht deinen Standort mitgeteilt."
"Du auch nicht."
"Ich tue es nicht, um nicht überfallen zu werden. Du hingegen solltest es tun, um nicht überfallen zu werden."
"Ich bin gerade am Stadtpark vorbei gelaufen."
"Du wohnst also im Westen der Stadt?"
"Möglich."
"Ich habe auch mal im Westen gewohnt. Am Theater. Beziehungsweise darüber."
"Das Theater, wo man mit der Schule immer war? Bei deren Vorstellungen man immer fast eingeschlafen ist?"
"Die Improvisationsstücke dort sind ganz gut. Der Rest eher weniger. Mein Vater arbeitet da."
"Ist er Schauspieler?"
"Er arbeitet als Putzfrau."
"Ehrlich?"
"Nein. Er kümmert sich um die ganzen organisatorischen Dinge. Wann welche Stücke laufen, welche Schauspieler wann gebraucht werden und all sowas."
"Und ihr wohnt genau über dem Theater?"
"Meine Familie. Mein Vater hat das Grundstück und das Theater damals geerbt."
"Es ist also eine Familientradition?"
"Nein, das Theater gehörte einem guten Freund."
"Vielleicht sollte ich bald mal wieder zu einer der Veranstaltungen gehen. Vielleicht fanden wir die früher nur so scheiße, weil wir noch zu jung dafür waren."
"Vielleicht waren sie auch einfach schlecht."
"Wer weiß das schon."
"..."
"Und du bist also ausgezogen?"
"Ja, vor einem Jahr."
"Cool. Apropos Zuhause, ich bin jetzt da."
"Bei mir?"
"Natürlich nicht. Ich wüsste doch nicht mal, wo du wohnst."
"Stimmt. Es ist schon echt spät, mein Gehirn arbeitet nicht mehr richtig."
"Na dann, schlaf gut."
"Vielen Dank, dass Sie unsere Nummer gewählt haben! Wir wünschen-"
"Ich bin echt enttäuscht von dir."
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Heimwegtelefon
Storie brevi"Guten Abend. Sie sprechen mit dem Heimwegtelefon. Ist alles in Ordnung bei Ihnen?" Ein Anruf. Zwei Menschen. Unendlich viele Möglichkeiten, das Gespräch weiterzuführen. Und ehe sie es wissen, verändern sie mit jedem weiteren Wort immer mehr das Leb...