9. Anruf

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"Hallo?"

"Ist es jetzt schon Tag?"

"Es ist fünf Uhr morgens."

"Also nein?"

"Ich habe nicht mal sechs Stunden geschlafen. Du glaubst gar nicht wie müde ich bin."

"Ich bin seit zwanzig Stunden wach."

"Du hast nicht geschlafen?"

"Nö."

"Was hast du die ganze Zeit gemacht?"

"Ich hab eine Geschichte geschrieben."

"Das hätte ich mir denken können."

"Mir fehlt nur noch das letzte Kapitel. Stehst du lieber auf Happy End oder Sad End?"

"Kommt drauf an. Worum geht's denn?"

"Ums Heimwegtelefon."

"Du hast eine Geschichte über meinen Job geschrieben?"

"Ich dachte es wäre kein Job."

"Wie auch immer. Ich frage mich, ob du jemals eine Frage direkt beantworten wirst oder ob du immer erst ausweichst."

"Es geht um verschiedene Anrufe, die jemand erhält, der ehrenamtlich beim Heimwegtelefon arbeitet. Jedes Kapitel ist ein Anruf."

"Und was wäre das Happy End?"

"Dazu muss ich dir erst die grobe Handlung erzählen. Immer mal wieder ruft ein Mädchen, nennen wir sie mal Ina, bei einem Mädchen an, das beim Heimwegtelefon arbeitet. Das heißt Sue. Beide verstehen sich sofort und Sue verliebt sich ein bisschen in Ina. Eines Abends ruft Ina wieder an. Sie wird auf dem Nachhauseweg von einem Typen verfolgt und hat Angst nach Hause zu gehen, weil er dann weiß, wo sie wohnt. Sue ruft natürlich die Polizei. Sie telefoniert weiter mit Ina, während sie darauf warten, dass die Polizei eintrifft. Bevor die Polizei eintrifft, bricht Ina den Anruf einfach ab."

"Das heißt Sue weiß nicht, ob jemals die Polizei kam oder nicht?"

"Genau. Sie informiert sich dann bei der Polizei und versucht, die Route zu Ina zu verfolgen, um sicherzustellen, dass es ihr gut geht. Dabei findet sie ein paar sehr interessante Dinge raus. Ach so, und ihre Fortschritte erzählt sie immer den Leuten, die beim Heimwegtelefon anrufen. Also kann man die Geschichte über die verschiedenen Telefonate mitverfolgen."

"Und was passiert am Ende?"

"Es stellt sich heraus, dass Ina von dem Typen angegriffen und gezwungen wurde, das Telefonat zu beenden. Der Typ schlägt Ina daraufhin und sie verliert schnell ihr Bewusstsein. Bevor der Typ irgendwas mit Ina anstellen kann, kommt ein Polizeiauto um die Ecke und er verschwindet. Sue findet irgendwann heraus, dass Ina im Krankenhaus liegt, wo sie sie besucht. Und jetzt ist die Frage, was dort passieren soll. Entweder das Happy End: Sie sehen sich, verlieben sich, alles wird gut. Oder das Sad End: Sue betritt das Krankenzimmer und sieht sich selbst im Bett liegen. Sie realisiert, dass sie sich die ganze Geschichte bloß ausgedacht hat und es nie eine Ina gab, die angerufen hat. In Wahrheit ist Sue nämlich das passiert, was Ina passiert ist."

"Ich verstehe das nicht ganz. Sue wurde von dem Typen verfolgt?"

"Genau. In der Vergangenheit. Und sie hat damals nicht das Heimwegtelefon angerufen, weil sie davon nichts wusste. Deshalb stellt sie sich vor, wie alles gewesen wäre, hätte sie eine Sue gehabt, die die Polizei gerufen hätte."

"Das heißt in echt hat der Typ sie vergewaltigt?"

"Das wird nicht gesagt. Nur, dass es eben niemanden gab, der den Typen aufgehalten hat."

"Krass. Das wäre eine richtig gute Werbung für das Heimwegtelefon, haha. Also ich muss sagen, ich finde beide Ideen cool. Du bist so kreativ!"

"Ich muss zugeben, ich habe mich irgendwie in das Sad End verliebt. Oh, mir ist gerade noch eine Idee gekommen! Ich muss unbedingt weiter schreiben!"

"Aber vergiss nicht, irgendwann auch schlafen zu gehen."

"Oh Mist! Ich muss heute Abend eine Schicht im Milo übernehmen! Das habe ich ja ganz vergessen."

"Dann geh sofort schlafen und schreibe das Kapitel später."

"Du weiß nicht, wie das ist, eine Geschichte zu schreiben, oder?"

"Nein."

"Dann wirst du auch nicht nachvollziehen können, warum ich erst schlafen gehen kann, wenn ich mit der Geschichte fertig bin."

"Na dann hoffe ich, dass du sie schnell fertig schreibst."

"Ich auch."

"Ich würde sie gerne lesen, wenn ich das darf."

"Klar. Das würde mich freuen."

"Cool! Also, schreib schnell und schlaf gut!"

"Ach, wenn du jetzt schon mal wach bist, könntest du dich auch gleich um deine Abgabe kümmern."

"Erinnere mich bloß nicht daran!"

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