"Guten Ta-"
"Hi Milo."
"Hi Mai."
"Wieso hast du mir eigentlich nicht gesagt, dass das Theater zu verkaufen ist?!"
"Ich wusste nicht, dass du an einer Immobilie interessiert bist."
"Ich bin gestern zufällig daran vorbei gelaufen und war geschockt, als ich das Schild gesehen habe. Ich wollte doch nächste Woche zu einem Improvisationsstück gehen!"
"Tja, Theater werden eben immer unattraktiver."
"Das ist doch total schade! Findest du das nicht auch?"
"Ach, keine Ahnung. Das Geschäft lief schon die letzten Jahre nicht mehr wirklich gut. Es war eher eine Last für meinen Vater."
"Aber ihm liegt doch bestimmt viel daran!"
"Ja, schon, aber was soll man schon machen?"
"Es nicht einfach so aufgeben, sondern überlegen, wie man die Besucherzahlen wieder steigern kann."
"Denkst du nicht, dass wir alle Möglichkeiten schon probiert haben?"
"Nach Kampfbereitschaft sieht euer Verhalten jedenfalls nicht aus."
"Wir haben alles versucht... Wie sieht das eigentlich bei dir aus? Steht nächste Woche ein neues Praktikum an?"
"Nein."
"Du hast wirklich keine Idee, was du machen willst?"
"Nein."
"Was machst du denn gerne in deiner Freizeit?"
"Die typischen Dinge, die man als Jugendlicher so macht."
"Feiern, Musik hören, Freunde treffen?"
"So in etwa, ja."
"Damit könntest du Barkeeper werden."
"Ich schreibe gern."
"Geschichten?"
"Ja, auch."
"Ich schätze mal ein Literaturstudium käme bei dir nicht infrage?"
"Nein, auf keinen Fall. Ich möchte meine Zeit nicht damit verschwenden, Hauptsache nur irgendetwas zu tun, egal was es ist. So groß ist mein Interesse an Literatur nicht."
"Und Naturwissenschaften sind auch nichts für dich, richtig?"
"Können wir bitte das Thema wechseln? Ich werde zurzeit nichts anderes mehr gefragt, alles dreht sich nur darum. Meine Mutter hat mir sogar verboten, feiern zu gehen, solange ich nicht weiß, was ich machen will."
"Du bist doch schon volljährig, oder?"
"Ja. Aber wenn ich trotzdem feiern gehe, muss ich mir einen Nebenjob suchen, damit ich wenigstens etwas Sinnvolles mache."
"Tu das doch. Dann verdienst du immerhin etwas Geld, das du beim Feiern wieder ausgeben kannst."
"Das ist ja auch nicht der Sinn. Und irgendwie genieße ich es gerade ziemlich, zu Hause zu sein und nichts zu tun."
"Weil du mehr Zeit zum Schreiben hast?"
"Genau."
"Reichst du deine Geschichten auch irgendwo ein?"
"Ich habe bisher mit ein paar meiner Gedichte bei Wettbewerben gewonnen."
"Das ist ja cool!"
"Ja, aber Geld verdienen kann man damit auch nicht."
"Das macht es nicht weniger bewundernswert."
"Und du, hast du dich schon Mal an etwas Kreatives gewagt?"
"Ich spiele seit ich vier bin ein Instrument."
"Oh, welches denn?"
"Die Triangel."
"Du bist doof."
"Du auch. Weil du alles glaubst, was ich sage."
"Hey! Das stimmt gar nicht. Außerdem kann ich dich einfach nicht einschätzen. Am Anfang warst du so ruhig und langweilig und jetzt-"
"Hey! Das ist echt fies. Aber... eigentlich wollte ich dich gar nicht unterbrechen. Vergiss, was ich gesagt habe. Rede einfach weiter."
"Naja, jetzt bist du so anders, machst Witze auf meine Kosten, bist manchmal fast genauso gemein wie ich. Wer bist du?"
"Ich bin Milo. Und weil ich weiß, dass du dich mit dieser Antwort nicht zufrieden geben wirst und wahrscheinlich gerade deine Augen verdrehst, führe ich meine Antwort etwas aus. Ich war seit 20 Jahren immer der Gleiche. Aber bei den Heimwegtelefonaten kann ich sein, wer ich will. Das klingt irgendwie bescheuert, aber mich kennt am Telefon niemand, wodurch mich niemand beurteilen kann. Ich kann mich irgendwie verhalten, ohne darüber nachdenken zu müssen, wie das bei anderen ankommen würde."
"So mache ich das schon mein ganzes Leben lang."
"Das ist schön. Ich hätte das schon viel früher so machen sollen."
"Lieber spät als nie."
"Genau. Sag mal, wäre es unhöflich von mir, das Gespräch jetzt zu beenden und schlafen zu gehen?"
"Unhöflicher als ich kannst du sowieso nicht mehr werden."
"Ist das ein ja?"
"Leg schon auf."
"Vielen Dank, dass Sie-"
"Ich hab gesagt du sollst auflegen!"
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Heimwegtelefon
Short Story"Guten Abend. Sie sprechen mit dem Heimwegtelefon. Ist alles in Ordnung bei Ihnen?" Ein Anruf. Zwei Menschen. Unendlich viele Möglichkeiten, das Gespräch weiterzuführen. Und ehe sie es wissen, verändern sie mit jedem weiteren Wort immer mehr das Leb...