Ein Fehler? [Taekook]

Teil 5

Langsam hockte Jungkook sich auf den Boden, hielt sich aber trotzdem an dem Stuhl fest, um nicht ganz das Gefühl zu haben, eingeknickt zu sein.

Plötzlich hörte er, wie die Tür hinter ihm aufging. Hilfe? Rettung? Er sprang auf und fuhr herum. Das hätte er lieber lassen sollen; ihm wurde schwindelig, alles drehte sich und er sah nichts mehr. Kookie presste die Handfläche gegen die Schläfe und riss überrascht die Augen weit auf. Immer noch konnte er nichts sehen außer den herumwirbelnden Raum. Er keuchte auf.

„Jungkook?", fragte eine Stimme hinter ihm. Oder vor ihm? Er hatte keine Ahnung. Alles drehte sich. Es gab gar kein Oben und Unten mehr.

„Jungkook. Hey. Alles in Ordnung?", fragte die Stimme, die wohl zu der Person gehörte, die gerade hereingekommen war. „Panikattacke", brachte der Junge hervor. „Oh verdammt", murmelte die Stimme. Jungkook spürte Hände, die ihn bei den Schultern packten. Mit einem Ruck blieb alles stehen, nichts drehte sich nicht mehr. Jungkook schnappte nach Luft und versuchte,  seinen Blick auf einen Punkt zu fixieren. „Du suchst dir jetzt einen Gegenstand, auf den du schaust", sagte die Stimme ruhig, „Das machst du gut. Nicht alle zwei Sekunden woanders hinsehen. Kein Wunder, dass dir schwindelig ist." Jungkook nickte, doch eine Hand packte sanft aber bestimmt von hinten sein Kinn. „Vorsicht. Kein Nicken oder Kopfschütteln, das macht es nicht gerade besser." Jungkook brachte ein leises „Mh-hm" zustande, ohne zu nicken.

Die Stimme schwieg eine Weile, als wartete sie. „Schwindel weg?", hörte Jungkook sie dann fragen. „Mh-hm", wiederholte der Junge schwach, „besser." Er merkte, wie sich die Hand von seinem Kinn löste. „Besser ist nicht weg... aber in Ordnung. Jetzt versuch, ruhiger zu atmen. Okay? Atme ein." Jungkook holte tief Luft. „Perfekt. Jetzt atme wieder aus." Jungkook tat, wie ihm geheißen. „Du machst das prima. Nochmal."

Zwei Minuten vergingen, bis Kookie wieder normal Luft holen konnte und die Panik sich gelegt hatte. Auch der Raum hatte nun vollständig aufgehört, sich zu drehen. Der Jüngere traute sich endlich, einen Blick auf seinen Retter in der Not zu riskieren. Langsam drehte er sich in seine Richtung und schielte über seine Schulter. Sein Herz machte einen Satz.

„Tae!"

Der sah ihn mit besorgt gerunzelter Stirn an. „Jungkook. Ich bringe dich jetzt zu einem Arzt, okay?" Der Jüngere schüttelte vergnügt den Kopf – und bereute es sofort, denn mit einem Mal kam der Boden näher. Er spürte, wie Taehyung ihn geistesgegenwärtig packte und aufrecht hielt. „Jungkook! Mach keinen Blödsinn! Arzt! Jetzt sofort!" Jungkook, der wieder geradestehen konnte, fasste sich kurz an die Stirn, ließ die Hand aber wieder sinken. „Quatsch. Ich brauche keinen Arzt. Du hast doch das Schlimmste abgewendet! Außerdem geht das jetzt wirklich nicht. Nach den Verleihungen vielleicht." Tae verdrehte die Augen, musste aber ein wenig lächeln. „Du bist manchmal so ein Kind." Jungkook grinste. „Und du bist manchmal zu erwachsen." Der Ältere seufzte nur als Antwort. Jungkook betrachtete ihn ehrfürchtig. „So wie jetzt... Der Anzug steht dir richtig gut", murmelte er verlegen. Tae steckte in einer schwarzen Hose und dunklen Lackschuhen. Er trug ein weißes Hemd und eine Fliege, die ein wenig verrutscht war, wohl von seiner spontanen Rettungsaktion. Das schwarze Jackett hielt er in der Hand. Ungläubig sah er Jungkook an. „Danke", meinte er knapp. Ihm war gar nicht bewusst, dass er Jungkook noch im Arm hielt, wohl aus Sorge, er könne wieder von Schwindelgefühlen überwältigt werden. Doch das Einzige, von dem Jungkook tatsächlich überwältigt wurde, war Vs Vollkommenheit und seine Eleganz. Der Jüngere streckte die Hand nach der Fliege aus und begann, sie zu richten. Dabei schmiegte er sich leicht an den Älteren. Der realisierte, dass er ihn noch festhielt und wich schnell vor ihm zurück. Jungkook blinzelte verblüfft. „Du bist sicher, dass du keinen Arzt brauchst?", hakte Tae nach und wich Kookies Blicken aus. „Ja", sagte der lächelnd und zupfte ein letztes Mal an Taes Fliege. Dann legte er sachte seine Hände auf Taehyungs Oberkörper. Der atmete scharf aus und trat einen Schritt zurück. „In Ordnung", meinte er und bewegte sich in Richtung Ausgang, ohne Jungkook aus den Augen zu lassen, „Jetzt komm. Die anderen warten schon. Sie haben mich nur geschickt, um dich zu holen, nicht um dich noch länger aufzuhalten." Dann drehte er sich weg und öffnete die Tür. Doch Kookie griff nach seiner Hand und zog ihn zu sich. „Warte", sagte er leise. Tae seufzte und entzog seine Hand Jungkooks Griff, während er die Tür wieder schloss. Dann baute er sich mit verschränkten Armen vor dem Jüngeren auf. „Was ist denn noch?", fragte er genervt. Seine Blicke wanderten immer wieder nervös zum Ausgang, wie ein unruhiges Tier in einem kleinen Käfig. Jungkook schenkte ihm sein bezauberndstes Lächeln. „Danke", sagte er liebevoll, „für das gerade eben. Und auch danke..." Er trat einen Schritt näher an Tae heran und beugte sich zu ihm herüber. „... für die letzte Nacht..." Jungkooks Lippen berührten sanft die von Tae, doch der drehte den Kopf weg und senkte den Blick. Jungkook taumelte zurück und sah ihn mit großen Augen an. Sein Herz raste, ihm war plötzlich sehr kalt. In ihm baute sich eine böse Ahnung auf, die ihm ganz und gar nicht gefiel.

„Pass auf", seufzte Taehyung mit undurchdringlicher Miene und fasste mit Daumen und Zeigefinger an seine Nasenwurzel, „Diese Begegnung gestern... die ist nie passiert. Da waren wir uns doch einig."

Jungkook schüttelte verstört den Kopf. Großer Gott, nein. Bitte nicht. Das konnte gerade nicht passieren. Dem tragischen Helden einer schlechten Geschichte vielleicht, aber nicht ihm, nicht hier, nicht jetzt. Nicht danach. Wenn Tae jetzt das sagen wollte, was er vermutete... Es wäre alles verloren. Sein Leben wäre vorbei. Doch seine stummen Stoßgebete gen Himmel wurden ignoriert. Tae sagte leise:

„Die Nacht gestern, okay, die hätte auch nicht passieren dürfen, das war alles ein riesengroßer Fehler. Es hatte keine Bedeutung. Vergiss die ganze Sache!"