Teil 12

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Taehyung spürte nicht, wie ihm die Tränen aus den Augen traten und unaufhaltsam über sein Gesicht liefen. Was hatte er getan? Er spürte nicht, wie sein Körper von lautlosen Schluchzern erbebte. Was hatte er angerichtet? Er fühlte sich, als würde er überhaupt nichts mehr fühlen.

Wie in Trance drehte er sich von Jungkook weg und stützte sich mit einer Hand am Türrahmen ab, weil er fürchtete, sonst sein Gleichgewicht zu verlieren. Dieses Geständnis hatte ihn aus der Bahn geworfen. Die andere Hand schlug er sich vor den Mund, um seine Klagelaute zu dämpfen. Er ließ alles raus, was er die letzten Stunden hatte unterdrücken müssen. Und das war eine Menge an Gefühlen.

Jungkook sah ihn mit einer Mischung aus Überraschung und Sorge an. „Tae... Was ist mit dir?", fragte er irritiert und streckte vorsichtig die Hand nach ihm aus, bis seine Fingerspitzen Taes Rücken berührten. Dessen rasante Atmung ließ seinen ganzen Körper erzittern. Jungkook hatte Angst, dass der Ältere hyperventilierte. Wenn das geschah, hatte er keine Ahnung, wie er reagieren sollte. Herzdruckmassage? Stabile Seitenlage? Mund-zu-Mund-Beatmung? Ja, gerne, dachte er. Warte, was!?, gleich danach.

Eine ganze Weile weinte Tae nur stumm vor sich hin. Jungkook fühlte sich unwohl, wie immer, wenn jemand in seiner Umgebung weinen musste. Er wusste nie, was man tun konnte, um fremde Personen glücklicher zu machen. Aber schlimm war es, wenn eine Person weinte, die ihm nahestand. Denn dann war sein Kopf wie leergefegt und er hatte genauso wenig Ahnung, was zu tun war. Und dass er jedes Mal, wenn irgendjemand seiner geliebten Menschen weinte, vergaß, was ihnen gut tat, fand er selbst erbärmlich. Und jetzt? Es war Tae, der hier weinte. Es war ein ungewöhnliches Bild, er hatte ihn noch nicht allzu häufig weinen gesehen. Warum tat der Ältere das? Bereute er es nun doch, es als Fehler angesehen zu haben, angesichts der Tatsache, dass es für Jungkook eine so große Sache war? Hatte er sich erweichen lassen?

Der Jüngere beschloss, dass Tae eine tröstende Umarmung brauchte, auf der Stelle. Er trat einen Schritt auf ihn zu, breitete ein wenig die Arme aus und murmelte: „Beruhig dich. Komm her." V jedoch streckte abwehrend eine Hand nach ihm aus. „Komm nicht näher. Kookie. Bitte." Jungkook hätte sich normalerweise nicht darum gekümmert, wenn ihn jemand etwas zu befehlen versuchte. Er war wie ein Kind und Kinder ließen sich selten etwas sagen. Aber nach den ganzen Abweisungen, den Beschimpfungen und Worten des Streites hatte Tae ihn bei seinem Spitznamen gerufen. Wie sonst immer. Es war, als wäre mit den Tränen ein Dämon aus ihm herausgespült worden. Jetzt war Tae wieder wie immer. Er hielt inne.

„Was? Warum?", fragte er verblüfft. „Überwachungskameras", schniefte Tae und versuchte, sich zu beruhigen, „Ich stehe genau im toten Winkel der Kameras, aber mehr als eine Person passt nicht da rein, dafür ist der Raum zu klein." Wie automatisch wanderte Kookies Blick zu der Überwachungskamera, die oben in einer Ecke des Zimmers hing. Der rot blinkende Punkt neben der Linse bestätigte ihm, dass jemand in einem anderen Raum vor einem Bildschirm saß und jede seiner Bewegungen beobachtete. Jungkook erschauderte und wandte den Blick ab. „Genau. Nicht so auffällig hinsehen bitte." Taehyungs Stimme war nicht mehr gebrochen. Er erholte sich so langsam.

„Tae... Was ist hier los? Warum... Ich verstehe das alles nicht." Jungkook sah ihn verzweifelt an. „Warum hast du vorhin... solche Sachen gesagt? Warum weinst du? Warum versteckst du dich vor den Kameras? Ich habe so viele Fragen, bitte..." Tae seufzte leise und wischte sich die Tränen fort, ohne sein Make-Up zu verwischen. Jungkook sah ihn bewundernd an, er selbst musste aussehen wie ein Zombie. „Pass auf. Ich stelle mich jetzt gleich wieder auf die andere Seite des Waschbeckens, von da sieht man mein Gesicht nicht und ich muss nicht die ganze Zeit wütend oder erschöpft aussehen. Kein Schauspielern mehr. Ich erkläre es dir – obwohl ich es auch nicht ganz verstehe." Jungkook nickte. Tae stürmte an ihm vorbei und rempelte ihn dabei sanft mit der Schulter an. Jungkook versuchte, möglichst gekränkt auszusehen, schaffte es aber nicht ganz. Er war zu neugierig. Auf diese Erklärung war er sehr gespannt.

Als V lange Zeit schwieg, drehte Jungkook sich zu ihm um und sah ihn an. „Tae. Was ist hier los?" Der Ältere ließ den Kopf senken. „Okay, Kookie. Du musst mir zuhören. Egal, was ich dir sage, du musst so aussehen, als würde ich dich immer noch abweisen und anschreien, okay? Guck traurig, schockiert, bestürzt – du darfst dir nichts anmerken lassen. Die Kameras laufen ohne Ton. Aber die Bilder sind gestochen scharf, wie bei einem HD-Fernseher." Jungkook sagte: „Ja", runzelte aber die Stirn. Tae musste lächeln. „Ausgezeichnet. Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann." Jungkook verkniff sich ein Lächeln. Das war der Tae, den er kannte! Er war so unendlich froh, ihn wiederzuhaben.

Ein Fehler? [Taekook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt