𝒆𝒊𝒈𝒉𝒕𝒆𝒆𝒏

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❀ ANNA MAGDALENA | 16. März 2020 ❀


Still schaue ich aus dem Fenster, betrachte die Bäume, Häuser und Autos, an denen wir vorbeifahren. Die Stille macht mich fertig, aber zum Reden habe ich keinen hier und telefonieren möchte ich jetzt auch nicht. Die Leute um mich herum würden sich sicherlich auch gestört fühlen. Irgendwie verständlich. Ich würde mich auch gestört fühlen, wenn ich versuche unterwegs zu arbeiten und dann jemand laut telefoniert und ihren Kummer raus lässt. Aber zum Glück sind es nur noch um die dreißig Minuten, dann bin ich hier endlich raus und hab die lauten Geräusche der Bahnhofshalle um mich herum, die mich hoffentlich alles vergessen lassen werden. Schweigend bleibe ich sitzen und warte, bis wir endlich ankommen, dann nehme ich mir meine Handtasche. Das einzige, was ich die letzten Tage dabei hatte. Meine Klammotten sind auch noch die gleichen, wie am Samstag, aber das ist mir im Moment egal. Genauso wie die Blicke der Leute, die mir auf dem Weg aus der Bahnhofshalle und auch auf dem Weg nach Hause begleiten. Der Portier, der Tagsüber immer bei mir im Haus in der Eingangshalle ist, schaut mich bemitleidend an als ich reinkomme, dann reicht er mir schnell meine Post. Sagen tut er nichts, er kennt mich so. Er hat ziemlich schnell bemerkt, wann ich meine guten Tage habe und hat nur dann mit mir lange Gespräche geführt. Vielleicht hat Erik ihm das auch geraten, das ist mir aber eigentlich auch egal. Auf jeden Fall ist es ziemlich aufmerksam von ihm. Im Fahrstuhl bin ich allein. Wie immer spielt leise die Musik, heute Adele. Der jeweilige Portier, der den Tag hier startet, sucht sich immer einen Künstler aus, von dem läuft dann den ganzen Tag die Musik im Fahrstuhl. Manchmal versüßt es mir den Start in den Tag, wenn Musik läuft, die ich privat sehr gerne höre. Heute interessiert es mich aber nicht wirklich. Zum einen, weil ich gerade nicht in der Stimmung bin, zum anderen, weil ich Adele nicht allzu oft höre, nur wenn ihre Lieder mal im Radio laufen.

„Wow, Anni wie siehst du denn aus? Was ist passiert?", werde ich von Erik überrumpelt, gerade als ich auf meiner Etage aus dem Fahrstuhl austeigen möchte. Er hat eine Jacke an und einen Stoffbeutel in der Hand, wahrscheinlich wollte er einkaufen gehen.

„Hm, ehm nichts. Alles ist gut. Ich will dich auch gar nicht aufhalten, Erik.", sage ich und versuche mich an ihm vorbei zu schlängeln, dabei schaue ich konstant auf den Boden.

„Hey, komm. Verarschen kann ich mich allein.", seufzt er und folgt mir in die Wohnung, nachdem ich die Tür aufgeschlossen habe. „Was hältst du davon, wenn ich Mara schreibe, dass ich jetzt bei dir bin und wir zwei uns einen schönen Abend machen, hm? Mit Lieferando und allem, was du willst."

„Du bist der beste Erik.", gebe ich nach und hole mein iPad, auf dem wir gleich unser Essen bestellen können, und geh dann mit Erik ins Wohnzimmer, währenddessen schreibt er Mara.

„Also, dann fang mal an. Was war los und wo warst du die letzten Tage überhaupt? Ich dachte, dass du spätestens Samstagabend wieder hier gewesen wärst.", fängt Erik an, nachdem ich das iPad beiseitelege. Seufzend sehe ich ihn an, überlege, was ich ihm sagen sollte und was nicht. Ich beschließe aber ihm alles zu sagen, er ist nicht um sonst mein bester Freund, der mich im letzten halben Jahr schon durch alle möglichen Situationen begleitet hat.

„Ich war noch bei Julian. Beziehungsweise nicht bei ihm, wir waren in einem Hotel.", flüstere ich und spiele mit den Fingern von Erik, der mir auf dem Sofa gegenüber sitzt, ebenfalls im Schneidersitz.

„Ach, ich hätte nicht gedacht, dass du jemand bist, der extra ins Hotel fährt, um es mit jemanden zu treiben.", lacht mein bester Freund, wofür ich ihn schockiert ansehe und leicht an den Arm schlage.

„Erik, so meine ich das doch gar nicht. Wir hatten nichts, du weißt, dass ich sowas nicht so gerne mag. Wir waren in so einem Wellnesshotel, war eigentlich echt schön.", kläre ich ihn auf.

„Okay, das freut mich für dich. Aber warum bist du dann so hier angekommen, wie du es gerade bist?", fragt er verwirrt und deutet dabei auf meine Klammotten, die ich nun schon mehrere Tage trage, und auf mein Gesicht. Meine Augen müssen rot und angeschwollen sein, als ich in den Zug gestiegen bin, flossen tatsächlich einige Tränen.

„Wir haben uns gestritten.", murmel ich und muss schlucken, als ich an seine Worte denke.

„Worüber?", fragt Erik leise und zieht eine von seinen Händen aus meiner, um den Arm um meine Schulter zu legen und mich an sich heran zu ziehen. Mit Tränen in den Augen lege ich meinen Kopf an seine Brust.

„Er hat aus Spaß was gesagt und dann meinte ich, dass er nicht normal ist, dann meinte er, immer noch aus Spaß denke ich, dass ich es wäre, weil ich auf dem Internat war und dann auf der Uni und das wäre nicht normal. Es hat sich so angefühlt, als würde er mich für das Reichtum meiner Familie kritisieren und sagen, dass ich eine von diesen abgehobenen Tussen bis. Das hat mich innerlich so sehr verletzt, dass ich gleichzeitig auch wütend geworden bin. Dann hab ich gesagt, dass Bildung mir sehr wichtig ist und, dass ich es nicht gut finde, wenn man die Schule abbricht, nur weil man in dem Moment gerne Fußball spielt. Dann... Er hat es aufgenommen, als hätte ich gesagt er ist dumm. Er meinte, er -ein normaler Mensch- musste eben für seinen Traum kämpfen und andere Sachen vernachlässigen."

„Ist das alles?", harkt er leise nach und sieht mich besorgt an, als ich kurz nichts sage. Tränen strömen über mein Gesicht, als ich zitternd den Kopf schüttele.

„Er hat gesagt, ich würde sowas nicht kennen, da wir uns alles kaufen könnten und für nichts mehr kämpfen müssten. Dass ich alles in den Arsch gesteckt bekomme. Als ich einfach gehen wollte, hat er gefragt ob wir dadurch unser Geld verdienen, indem wir uns von anderen was bezahlen lassen und dann abhauen. Dann hat er gefragt, ob ich mir das bei Mama abgeschaut habe, weil es ja für Menschen wie uns typisch ist, wenn wir die Männer zahlen lassen oder sowas.", erzähle ich und als ich fertig bin, kommen einige Schluchzer aus mir.

„Hey, wenn er sowas sagt, dann kennt er dich nicht. Du bist ein wundervoller Mensch, du brauchst dir über sowas gar keine Gedanken machen. Ich find's echt schade das jetzt zu sagen, weil er dich ja anscheinend ziemlich glücklich gemacht hat, aber wenn er so drauf ist, dann vergesse ihn lieber. Er ist ein Arschloch, wenn er sowas sagt."


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guten abend :)

ich war heute mal das erste mal seit corona bei ikea und das war so anstrengend, man musste einen termin fürn einlass machen, sonst hätte man safe eine halbe stunde anstehen müssen... uff. aber wenigstens kann man wieder was machen, auch wenn alles anders ist. lebt ihr wieder "normaler"?


don't let it break your heart  ❀  julian brandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt