Kapitel 1 ~ Die Ankunft #2

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Sahra hielt den riesigen Wagen vor einem weißen Reihenhaus an. Alles hier wirkte sauber und penibel, aber auch steril wie in einer Arztpraxis. Ich lud meinen Koffer aus, bevor Sahra das tun konnte und stellte ihn neben mir ab. „Ein wirklich schönes Haus", meinte ich höflich.

Tatsächlich war es eher unscheinbar und schlicht, doch was hatte ich auch erwartet? Nicht jeder hatte einen Pool, auch wenn das ziemlich cool wäre. „Danke Liebes. Wir sind erst vor kurzem hierher gezogen und haben großen Wert auf eine saubere Umgebung gelegt. Keine Angst, das Haus ist größer, als es aussieht."

Mit diesen Worten zwinkerte sie mir zu und bedeutete mir, ihr zu folgen. Bis ich mit meinem Koffer bei ihr ankam, hatte sie die Tür längst aufgeschlossen und lotste mich in den Eingangsbereich. Wenn auch kurz, war er etwa drei Meter breit und schon wesentlich unordentlicher, als es von außen den Anschein machte.

Etwa auf Brusthöhe war ein breiter, hellgrüner Streifen, der dem Zimmer Farbe verlieh. Ein wenig ärgerlich blickte Sahra auf das Chaos am Boden, denn dort lagen Schuhe, kreuz und quer darüber verteilt. „Entschuldige, ich habe Jason zwar gebeten ein wenig aufzuräumen, doch du weißt ja sicher Jungs und Ordnung."

Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern und schob einige Schuhe aus dem Weg. Das wäre jetzt sicher nicht der richtige Zeitpunkt, um ihr zu beichten, wie unordentlich ich war. „Jaja, Jungs und Ordnung", pflichtete ich leise bei.

„Heute Abend wirst du meinen Mann Tanner und meinen Sohn Jason kennenlernen, wenn er sich denn blicken lässt. Zoey wird um kurz nach drei von der Schule kommen. Du kannst dich ja schon mal umschauen und auspacken. Dein Zimmer ist oben, die Erste links. Ich muss jetzt leider gehen, die Arbeit ruft!"

Mit einem aufmunternden Lächeln ließ sie mich alleine im Flur stehen. Wie sollte ich nur den Koffer dort hinauf bringen? Ich unterdrückte ein Gähnen und beschloss, mich erst einmal umzuschauen. Das, was in meinen Augen das Wohnzimmer war, war in einem angenehmen Apricot-Ton gestrichen.

Ein Fernseher füllte nahezu die komplette Nordwand aus, wobei der Tisch, auf dem er stand den meisten Platz wegnahm. Zwei Sofas standen um einen Glastisch, beide auf den Bildschirm ausgerichtet. Hier war nichts mehr von der Unordnung, die in dem kleinen Eingangsbereich herrscht, zu sehen. Eine blühende Pflanze zierte das Fensterbrett, das direkt hinter dem Sofa lag.

Die helle Morgensonne warf Strahlen in das Zimmer und beleuchtete es. Das Sofa sah ganz schön bequem aus, darauf könnte man sicher gut schlafen. Wie ferngesteuert lief ich darauf zu und legte mich hin. Ich war so müde, doch ich konnte doch jetzt nicht schlafen. Nur ganz kurz, versprach ich mir, doch da war ich auch schon eingeschlafen.

*~*~*~*~*~*~*~*~*

Entgegen meiner Erwartung wachte ich nicht in meinem gemütlichen Bett daheim auf, sondern auf dem Sofa in einem fremden Haus. Es dauerte einige Sekunden, bis ich mich an den Auslandsaufenthalt erinnerte und in denen ich Panik bekam.

Es war kein schönes Gefühl, in einem völlig fremden Haus aufzuwachen, noch dazu ganz alleine. Ich schlug die rotkarierte, flauschige Decke zurück, die über mir ausgebreitet war. Bestimmt hatte ich jetzt überall rote Fusseln, aber das störte mich nicht. Langsam wurden meine Gedanken klarer und ich betrachtet die Decke eingehend.

Ich konnte mich nicht daran erinnern, mich zugedeckt zu haben, wieso war ich es also? Sie war wohl kaum auf mich geflogen und hatte sich von selbst zu Recht gezogen. Wie also, kam sie dort hin? Entweder, ich wurde langsam verrückt oder aber jemand hatte mich doch tatsächlich zugedeckt.

Aufmerksam lauschte ich in die allgemeine Stille, doch da war niemand. Oder zumindest hörte ich niemanden, was ja nichts zu bedeuten hatte. Ärgerlich, über meine eigene Paranoia legte ich die Decke schnell zusammen und räumte sie in den Schrank, wo sie vermutlich hergekommen war.

Bestimmt wurde ich einfach verrückt. Trotzdem war ich mir eigentlich ziemlich sicher, keine Decke gesehen zu haben. Aber es gab ja keine Geister, also bildete ich mir das sicher nur ein. Um mich abzulenken, beschloss ich, mich ein wenig umzusehen und meinen Koffer auszupacken.

Konnte nicht schaden, mich schon einmal ein bisschen einzurichten, immerhin würde ich das nächste Jahr hier leben. Bis heute war es Dessy ein Rätsel, wie ich alle benötigten Sachen in einen Koffer bekommen hatte. Das lag wahrscheinlich daran, dass ich keinen Beautysalon mit mir herumschleppte und ich mich auf fünf Kleidungsstücke pro Jahreszeit beschränkt hatte.

Es war ja nicht so, dass ich mir hier nichts Neues kaufen würde oder meine Wäsche nicht gewaschen würde. Das war eines dieser Mysterien, die mich irgendwie an Dessy faszinierten; sie hatte so viele Sachen und schaffte es trotzdem, immer dieselben zu tragen.

Nicht, dass sie jeden Tag dasselbe anhatte, aber sie hatte einen geregelten Ablauf, was ihre Kleidung betraf. Immer montags war Rock-Tag, an dem sie wirklich ausnahmslos einen marineblauen Faltenrock trug. Dazu ein weißes Top und ebenfalls blaue Schuhe. Wirklich jeden Montag, ob es nun regnete, die Sonne schien, oder schneite!

Wie sie das durchziehen konnte, ohne regelmäßig krank zu werden, war mir schleierhaft. Ein wenig ratlos stand ich im Wohnzimmer herum und versuchte mein Zimmer zu finden. Sahra hatte, glaubte ich zumindest, gesagt: „Oben, die erste Tür links." Und so ging ich durch den breiten Eingangsbereich die Treppe hoch, wo mich ein weiteres Wohnzimmer empfing, dieses war jedoch um einiges kleiner.

Aus dem Wohnzimmer führten neben der Eingangstür noch vier weitere Türen. Allerdings gab es nur eine auf der linken Seite, also betrat ich diesen Raum. Unter einer Dachschräge stand ein dunkel bezogenes Bett, direkt unter einem Fenster. Der Schreibtisch stand links davon und war vollkommen leer geräumt. Auf der anderen Seite des Zimmers stand ein breiter Schrank, der sichtlich viel Platz einnahm.

Auch er war dunkel, was ihn groß und bedrohlich wirken ließ. Der Rest des Zimmers wurde größtenteils von einem Sofa eingenommen, von dem aus man auf den Fernseher schauen konnte. So ein Gästezimmer würde sich bei mir Zuhause sicher super eignen. Ich würde es nämlich sofort als mein Zimmer beschlagnahmen und dort einziehen.

Dieses Zimmer hier war wie für mich gemacht; dunkel und schlicht, aber großzügig, was den Platz betraf. Irgendwie roch es nach Junge, allerdings auch nach Leder, aus dem das Sofa bestand. Ja genau, Jungs haben einen Eigengeruch. Man merkte beim Betreten eines Zimmers meistens sofort ob es einem Mädchen, oder einem Jungen gehörte. Allerdings wies nichts in der restlichen Einrichtung wirklich auf den Besitzer dieses Zimmer hin. Keine persönlichen Sachen, oder sonstiges, die auf das Geschlecht des Bewohners hindeuten könnten. Vielleicht würde ich ja noch fündig werden, während ich den Schrank einräumte.

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