Kapitel 6 ~ Alleinzeit und umgesetzte Pläne #3

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„Alter, das war meine Oma. Die hätte uns hundertprozentig bei meinen Eltern verpetzt, die alte Schrulle. Sie kann mich nämlich nicht leiden, aber sie und Jason verstehen sich echt super, deshalb hat sie ihn auch aufgenommen, als er wegen dir ausziehen musste."

Sollte das heißen, ihre Eltern hatten ihn rausgeschmissen, bevor er eine neue Wohngelegenheit gefunden hatte? Meine wenige Sympathie für Sahra und Tanner wurde immer geringer.

Was waren die beiden nur für schreckliche Eltern? Inzwischen hatte ich ja so einige miese Aktionen mitbekommen, aber ich hätte nie gedacht, dass sie wirklich so schrecklich waren.

Jedes Kind hatte mal eine Phase, in der es die eigenen Eltern als absolut schrecklich empfand, aber Jason musste das Gefühl ja seit Jahren haben. Was hatte er ihnen nur getan, dass sie ihn so behandelten, als sei er nicht ihr eigenes Fleisch und Blut.

Und selbst völlig Fremden gegenüber waren sie wesentlich freundlicher, als ihm. „Sie sah doch gar nicht so schlimm aus", beschwichtigte ich sie. Tatsächlich sah Zoeys Oma genauso aus, wie jede andere alte Dame auch, nur dass ihre ziemlich sportlich gekleidet war.

„Ja, von außen ist sie vielleicht nicht so schlimm, aber dafür kann sie ein wahrer Drache sein. Dauernd rennt sie durch die Gegend, macht wirklich bei jedem Verein mit und wie gesagt, sie kann mich nicht leiden, obwohl ich nicht einmal weiß, warum.

Das war einfach schon immer so." Ich war mir ziemlich sicher, dass ihre Oma nicht völlig grundlos auf Jasons Seite stand. Sie teilte vermutlich meine Meinung über das Unrecht, dass Sahra und Tanner ihrem Sohn taten und versuchte dieses ein wenig auszugleichen.

„Ist sie die Mutter deines Vaters, oder die deiner Mutter?" Sie sah keinem von Beiden ähnlich, aber ich hatte sie auch nicht wirklich betrachten können. Inzwischen waren wir vor der Haustür angekommen und Zoey kramte nach ihrem Schlüssel.

Wir hatten zuhause keine Schlösser, sondern Zahlencodes, mit denen sich die Tür öffnen ließ. Ich persönlich fand das viel praktischer, da einem das nervige Suchen erspart blieb und ich somit Zeit sparen konnte.

Außerdem konnte ich einen Zahlencode wenigstens nicht irgendwo verlieren, wo ihn jemand anderes finden könnte.

„Meiner Mum, aber das merkt man kaum. Ich habe ja lange angezweifelt, dass die beiden überhaupt verwandt sind, aber nachdem mein Großvater gestorben ist, konnte ich doch eine gewissen Ähnlichkeit feststellen. Ich war gerade fünf und wollte fernsehen und beide ließen mich nicht, weil sie ja so in ihrer Trauer versunken waren."

Sie verdrehte die Augen, als wäre dieses Verhalten tatsächlich völlig unverständlich, wenngleich ich es nur zu gut nachvollziehen konnte. Andererseits konnte Zoey nichts dafür, dass ihr so wenig Einfühlungsvermögen anerzogen worden war.

Es hatte allerdings den Vorteil, dass sie äußerst schwer aus der Bahn zu werfen war und das brauchte es sicherlich, um Kyle auf Dauer zu mögen. Nicht, dass er in irgendeiner Weise unsympathisch war, aber sie mochte ihn schon seit Jahren, während er nicht einmal bemerkt hatte, dass sie ihn gern hatte.

Um da nicht wirklich deprimiert zu werden, hatte sie sicher viel Selbstvertrauen gebraucht. Dafür bewunderte ich sie, vor allem, da sie ja niemanden gehabt hatte, mit dem sie über solche Dinge hätte reden können.

Ich umarmte sie spontan, weshalb sie erschrocken den Schlüssel losließ, der klappernd auf der obersten Treppenstufe landete. Dennoch erwiderte sie die Umarmung und hob anschließend den Schlüssel auf und schloss die Tür auf.

Als wir endlich den leeren Hausflur betraten, kam uns schon die drückende Stille des verlassenen Hauses entgegen. Zoey wirkte einen Moment geknickt, doch sie fing sich schnell wieder.

„Wir machen uns jetzt an die Kleiderwahl! Es muss schick sein, aber unauffällig genug, dass es ihnen nicht sofort auffällt", beschloss sie und kickte sich die Schuhe von den Füßen.

Ich tat es ihr gleich, oder versuchte es zumindest, denn mein erster Schuh flog in einem schönen Bogen gegen die Wand, während der zweite Zoey nur knapp verfehlte. „Na dann viel Glück in meinem Kleiderschrank."

Um ehrlich zu sein, war ich nicht der Typ, der in schicken Klamotten gut aussah. Wie sie sich das vorstellte, das auch noch unauffällig zu gestalten, wusste ich nicht. Aber ich würde es ja demnächst herausfinden.

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

„Wo bleiben die denn?" Zoey tigerte ungeduldig in ihrem Zimmer auf und ab, während ich nur regungslos auf ihrem Bett saß. Ein kurzer Blick auf die Uhr, die auf ihrem hellbraunen Schreibtisch stand, sagte mir, dass die Jungs schon ganze zwei Minuten Verspätung hatten.

Man beachte die Ironie in dieser Feststellung. „Beruhig dich mal Zoey! Und wenn sie drei Minuten zu spät sind, wäre das auch noch kein Weltuntergang." Ich selbst war meistens auch ziemlich spät dran, deshalb war ich nie sauer, wenn jemand unpünktlich war.

Zoey dagegen schien es sehr genau zu nehmen, was Pünktlichkeit betraf. Als es schließlich klingelte, fiel sie fast in Ohnmacht und stürmte, beziehungsweise fiel, die Treppen hinunter.

Zurückhaltend folgte ich in einiger Entfernung und konnte gerade noch sehen, wie Zoey die Tür öffnete. Plötzlich war sie wie ausgewechselt und war die Ruhe in Person, während sie die Jungs begrüßte.

Ich kam mir vor, wie ein Alien, als ich die Treppe betont langsam hinunterlief, weil alle drei mich anstarrten. Sah ich echt so scheiße aus? Unsicher wollte ich schon den Blick abwenden, als ich beschloss, dass es mir egal war und sie weiter direkt anblickte.

„Hi Cora, Tagchen Zoey." Kyle sagte als erster etwas, indem er uns einfach begrüßte. Damit hatte er so ziemlich den einfachsten Weg gewählt, um die Stille zu brechen.

„Hey", antworteten ich und Zoey gleichzeitig. Jason sagte gar nichts, zog aber grinsend die Nase kraus. Sein Lächeln war wirklich umwerfend, da musste man einfach mit lächeln, doch ich verkniff es mir.

Die Aussicht auf Zoeys Plan machte mich jetzt ziemlich nervös; wollte ich wirklich, dass sie sich in mein Liebesleben einmischte? Allerdings war es jetzt schon ein Wenig zu spät, um sie davon abzuhalten, also musste ich da jetzt wohl wirklich durch.

Dabei sollte ich die Augen aber lieber auflassen, sonst würde ich wieder eine weniger schöne Begegnung mit der Wand haben und darauf konnte ich getrost verzichten.

„Ich geh kurz aufs Klo, ihr könnt ja schon mal anfangen." Mit diesen Worten ließ Jason uns im Gang stehen und endlich kam Bewegung in die Sache. Kyle und Zoey liefen gemeinsam ins Wohnzimmer und breiteten dort ihre Bücher und Hefte aus, während ich nur nutzlos in der Gegend herumstand.

„Wärst du so gut, und würdest die Kekse aus dem Keller holen, Cora?", bat mich Zoey und ich nickte, da ich ja ohnehin nichts Besseres zu tun hatte. Bei der Erinnerung an Zoeys Warnung vom Anfang, achtete ich darauf, dass die Tür auch ja offen blieb.

Selbst wenn man mich von da unten möglicherweise schreien hören würde, wollte ich kein Risiko eingehen. Ich hatte zwar keine Ahnung, wo genau ich die Kekse finden sollte, aber so groß war der Keller sicher nicht.

Far awayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt