Kapitel 6 ~ Alleinzeit und umgesetzte Pläne #2

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Ihre Vergangenheit ging mich nichts an, weshalb ich nicht weiter bohren würde, außerdem hatten wir noch einen Tag zu planen.

Ein schneller Themenwechsel war also angesagt: „Da ich ja nicht weiß, was du morgen mit mir vor hast, werde ich jetzt duschen gehen, damit ich zumindest frisch bin. Danach wäre es vielleicht ratsam, sämtliche Hausaufgaben zu machen, damit wir morgen nichts mehr zu tun haben. Außerdem werde ich früh ins Bett gehen, damit ich morgen auch fit bin."

Grinsend zwinkerte ich Zoey zu, entknotete meine Beine und machte mich auf den Weg ins Bad. Dort angekommen musste ich feststellen, dass mein Schlafanzug zusammengefaltet auf meinem Bett lag und das es vielleicht klug wäre, ihn mit ins Bad zu nehmen.

Immerhin war das hier nicht mein zuhause, da konnte ich wohl kaum nur mit einem Handtuch bekleidet durch die Gegend rennen. Deshalb lief ich nochmal zurück, holte alles, was ich brauchte und war nun endlich fertig, für eine ausgiebige, warme Dusche, während der ich nachdenken konnte.

Ich hatte Heimweh, doch wenn ich nicht alleine war, konnte ich es gekonnt verdrängen. Dennoch war es kein schönes Gefühl, zu wissen, wie lange ich noch fort sein würde.

Ich war zwar so gut wie erwachsen, aber das machte es nicht wirklich besser, immerhin hatte ich die letzten 18 Jahre mit diesen Menschen zusammengelebt. Würde ich nach dem Jahr vielleicht dieses Haus hier als mein Heim betrachten und es ebenso vermissen, wie meinen Bruder und meine Eltern?

Vermutlich nicht, denn die einzigen Leute, die ich hier mochte, waren Zoey, Jason und Kyle. Von diesen drei Personen ignorierte mich eine und wenn ich Zoey und Kyle tatsächlich verkuppeln würde, hätten sie sicher keine Zeit mehr für mich.

Vielleicht war das alles keine gute Idee gewesen. Aber für einen Rückzieher war es schon zu spät und Zoey im Stich lassen, wollte und konnte ich auch nicht. Ich würde einfach die Zähne zusammenbeißen, ihren Plan über mich ergehen lassen und danach mein Leben so normal wie möglich weiterleben.

Vielleicht konnte ich danach ja wenigstens noch Schadensbegrenzung betreiben und wenn nicht, würde ich in einem Jahr ohnehin nie wieder etwas von Jason hören.

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

Quälend langsam verstrichen die ellenlangen Schulstunden, die schier kein Ende finden wollten. Zugegebenermaßen lag das möglicherweise auch daran, dass ich gespannt auf Zoeys Plan war und da ich von Natur aus ziemlich neugierig war, fiel es mir noch schwerer, sie nicht andauernd danach zu fragen.

Schon gestern Abend hatte ich mir den Kopf darüber zerbrochen, was sie wohl vorhatte. Zu einem befriedigenden Ergebnis war ich allerdings nicht gekommen, weshalb ich es schließlich aufgegeben hatte.

Zoey war zum Glück genauso hyperaktiv, wie immer, was die Wartezeit wenigstens ein bisschen interessanter machte. „Mir ist langweilig", stöhnte ich genervt, als die Lehrerin uns den Rücken zuwandte, um etwas an die dunkle Tafel zu schreiben.

Zoey blickte mich grinsend an, wirkte aber nicht weniger gelangweilt: „Glaubst du etwa, mir nicht?" Obwohl ich gestern wirklich sehr früh ins Bett gegangen war, und deshalb so gut wie ausgeschlafen war, musste ich gähnen.

„Was weiß ich denn?" Ich rieb mir die Augen und setzte mich aufrecht hin, damit ich nicht hier und jetzt wieder einschlief. Zoey dagegen ließ sich soweit nach unten sinken, dass ihre Nase schon fast auf der Tischplatte lag, fischte sich mit den Füßen einen Stuhl heran und machte es sich bequem.

Die Lehrerin schrieb immer noch ihren Text an und schien von alledem nichts mitzubekommen. „Hunger?" Zoey hatte doch tatsächlich eine Schachtel Kekse auf ihrer Tasche gezaubert und hielt mir einen entgegen.

Ich sah mich gezwungen, ihn zu nehmen und stopfte ihn mir schnell in den Mund, damit es ja nicht auffiel. Ich hätte mir allerdings keinen ungünstigeren Zeitpunkt aussuchen können, denn just in diesem Moment drehte sich die Lehrerin wieder um und blickte mich direkt an.

Wie ein Hamster hatte ich beide Backen voll und ich war überzeugt, dass es ihr auffiel, doch sie sagte nichts dazu. Erleichtert schluckte ich den Keks hinunter und konzentrierte mich fortan sogar einigermaßen auf den Unterricht.

Einige Male wäre ich zwar fast eingeschlafen, doch ich überstand den Unterricht unbeschadet. Bei Zoey sah das etwas anders aus, denn sie schaffte es doch tatsächlich einzuschlafen und fiel mitten im Unterricht vom Stuhl.

Innerhalb einer Sekunde saß sie wieder brav auf ihrem Platz, was die Lehrerin wieder nicht mitzubekommen schien. Entweder, sie war blind und taub, oder es interessierte sie schlichtweg nicht.

Erst gegen Ende der Stunde stellte ich fest, in welchem Fach ich mich überhaupt befand, was meine Laune auch nicht zu verbessern vermochte. „Man Zoey, ich habe keine Lust mehr!"

Gemeinsam trotten wir nebeneinander aus dem Klassenzimmer an die frische Luft. Zoey massierte sich gähnend die Nase und schielte mich an. „Wie wäre es, wenn du einen kleinen Rückfall von deiner Gehirnerschütterung bekommst und wir beide leider nach Hause müssten?"

Sie grinste mich teuflisch an und verschränkte die dünnen Arme vor der Brust. Daheim hätte ich sowas nie gemacht, doch ich war nicht daheim und in diesem Moment war ich zu praktisch allem bereit, um hier weg zu kommen.

„Jetzt wo du es sagst, ist mir plötzlich wieder übel." Ich machte eine theatralische Pause und fasste mir an den Kopf: „Und mein Kopf erst!" So langsam wir konnten, schob sie mich in Richtung Sekretariat, wo mir nur die Aufgabe zufiel, so schlecht wie möglich auszusehen.

Darin hatte ich Übung, weshalb uns die junge Frau hinter den Tresen auch nicht lange aufhielt. Ohne Umwege fuhren wir nachhause, denn zu unserem Glück erwischten wir gerade noch so den nächsten Bus.

Zoey hatte, genau wie ich, noch keinen Führerschein, weshalb uns morgens entweder ihr Vater, oder ihre Mutter fuhr. Auf dem Rückweg könnte Jason uns zwar mitnehmen, aber wir fuhren dennoch fast immer mit dem Bus.

Laut Zoey wollte sie nicht abhängig von ihrem Bruder sein, aber ich war mir sicher, dass sie es nur tat, weil Kyle gelegentlich im Bus saß. Sie musste wirklich in ihn verschossen sein, wenn sie sogar den wesentlich längeren Weg nachhause nahm, nur um ihn zu sehen.

Heute allerdings war der Bus menschenleer und wir ließen uns in die Polster fallen. „Was wollen wir daheim machen?", fragte ich, während unser Transportmittel für eine alte Dame hielt.

Die Gegend kam mir ziemlich bekannt vor und ich glaubte, dass Jason und seine Oma hier in der Nähe wohnten. Als Zoeys Blick auf die alte Dame fiel, verkrampfte sie sich neben mir und machte sich ganz klein.

Sie legte das Kinn auf die Brust und verdeckte so ihr Gesicht mit ihren Haaren, außerdem suchte sie hinter mir Sichtschutz. Ich verstand zwar nicht, was das sollte, ließ sie aber machen und hoffte nur, dass, was immer sie tat, von Erfolg gekrönt war.

Als wir schließlich unsere Haltestelle erreichten, sprintete sie förmlich aus dem Bus und ich folgte ihr, etwas langsamer. „Was ist denn jetzt schon wieder los?" Ich war von Zoey schon so allerhand gewohnt, doch diesmal hatte sie sich selbst übertroffen. Inzwischen konnte ich sogar einige ihrer Verhaltensweisen richtig deuten, diese allerdings weniger.

Far awayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt