Kapitel 4 ~ Mathe am Montag #2

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„Alter, was wird das hier?“ Laute Stimmen weckten mich aus meinem erholsamen Schlaf, dennoch blieb ich einfach so liegen und lauschte den zwei tiefen Stimmen. „Sei leise, du weckst sie noch!“, antwortete jemand, dessen Mund wohl nicht sonderlich weit weg von meinem Ohr war.

Die zweite Person lachte nun: „Wir wollten Mathe lernen, schon vergessen? Das hier sieht mir weniger nach lernen aus, Jase.“ Woran auch immer ich lehnte, es vibrierte leicht, als der Angesprochene antwortete: „Komm schon Kyle, ich kann auch nichts dafür, dass sie mich nicht loslässt!“

Augenblicklich versteifte ich mich und löste meinen Griff von dem Etwas, von dem ich bisher angenommen hatte, es sei ein Kissen. Ein sehr, sehr warmes und nicht besonders flauschiges Kissen.

Offensichtlich hatte ich falschgelegen und mich stattdessen an Jason geklammert. Meine Wangen wurden feuerrot, während ich mein Gesicht prophylaktisch von den beiden Stimmen wegdrehte. Hoffentlich sahen sie nicht, wie rot ich geworden war.

„Ich sehe schon, sie kann gar nicht ihre Finger von dir lassen!“, lachte nun wieder die Stimme, die aus Richtung der Tür kam. Das dürfte dann wohl Kyle sein, wenn ich Jasons Worten glauben durfte.

Ich unterdrückte die Neugier und kämpfte gegen den Zwang an, ihn anzusehen. Dennoch war ich total gespannt, an wen Zoey ihr Herz verloren hatte. „Liegt wahrscheinlich daran, dass sie jetzt wach ist. Dabei sieht sie so niedlich aus, wenn sie schläft, total friedlich.“

Es war zwar zu erwarten gewesen, dass sie es merkten, aber dennoch ärgerte ich mich darüber. Und wie nicht anders zu erwarten wurde ich bei dem Kompliment butterweich.

Demnächst würde ich anfangen, in der Sonne zu schmelzen. „Komm schon Cora, wir wären blind, wenn wir es nicht sehen würden, also tu nicht so.“ Der nächste Schritt war jetzt ganz unauffällig aufzuwachen und so zu tun, als hätte er mich erst gerade eben geweckt.

Ich grummelte etwas Unverständliches und versuchte meine Gesichtsfarbe zu regulieren, indem ich an zuhause dachte. Beim Gedanken an Simon musste ich sogar lächeln, weil er für mich seine Freundin versetzt hatte, um sich von mir zu verabschieden.

Eigentlich sollte ich sowas ja nicht gutheißen, aber trotzdem freute ich mich darüber, wie ein Honigkuchenpferd. „Was ist denn los?“, fragte ich und blinzelte einige Mal, um mich an das Licht zu gewöhnen.

Während ich meine Arme dehnte, gähnte ich einmal ausführlich und musterte Kyle unauffällig. Er hatte rotbraune Haare, die ihm wild vom Kopf abstanden, allerdings keine allzu helle Haut.

Auf die Entfernung konnte ich nicht wirklich viel erkennen, vor allem, weil ich immer noch schlaftrunken war. Unmittelbar nach dem Aufstehen sah ich immer eine Weile lang verschwommen. „Hallo Cora, ich bin Kyle.“

Er streckte mir seine Hand entgegen, grinste breit und trat drei Schritte näher. Jetzt konnte ich auch seine leuchtenden grünen Augen sehen, die schadenfroh funkelten. Immer noch gähnend ergriff ich seine Hand und schüttelte sie schnell: „Hi!“

Normalerweise war ich ja eher schüchtern, aber er hatte mich gerade in den Armen seines besten Freundes erwischt, den ich selbst erst seit drei Tagen kannte. Da konnte es ja wohl nicht mehr viel peinlicher werden.

„Du kannst uns nicht zufällig beim Mathelernen helfen?“ Eigentlich bräuchte ich da eher selbst Hilfe, aber vielleicht konnte ich ja trotzdem mal behilflich sein, auch wenn ich das für eher unwahrscheinlich hielt.

„Wirklich gut bin ich auch nicht, deshalb kann ich nichts versprechen.“ Nachdem ich ein letztes Mal die gemütliche Wärme des Bettes abgeschüttelt hatte, stand ich auf und versuchte meine zerknitterten Klamotten zu glätten.

Bei einem Blick in den Spiegel wurde mir klar, dass ich ja auch noch Haare hatte, die unnatürlich zerzaust waren, als hätte jemand darin herumgewühlt. Kritisch musterte ich Jason, was ihm selbst zwar nicht auffiel, aber Kyle nicht entging.

„Bring mal wieder in Ordnung, was du da auf ihrem Kopf angestellt hast!“ Sofort wandte ich den Blick ab und fand den Boden plötzlich viel interessanter. Jason fand das zum Glück ebenfalls weniger lustig, obwohl das ja im Grunde mein Verdacht gewesen war.

Aber was sollte er schon mit meinen Haaren machen wollen? Sie waren wirklich nichts besonderes, trotz all den Versuchen, sie zu stylen. Nicht, dass ich es übermäßig häufig oder ausdauernd versuchte, aber leider waren sie auch nur dem Aufwand entsprechend.

Schnell versuchte ich mit den Fingern den größten Schaden zu beheben, gab es aber schließlich auf und machte mir einfach einen Zopf. Das sah zwar nicht wirklich besser aus, aber wenigstens sah man das Vogelnest auf meinem Hinterkopf nicht mehr.

„Komm schon Jase, einfacher Einstieg in unser heutiges Thema: Cora hat wegen dir 50 Knoten in den Haaren. Alle 20 Sekunden hast du einen rein gewühlt. Wie lange also, hast du mit ihren Haaren gespielt?“

Obwohl gerade ich das vielleicht nicht finden sollte, war er wirklich lustig und versuchte wenigstens, etwas gegen die angespannte Situation zu tun. „1000 Sekunden, also rund 16,7 Minuten“, kam es wie aus der Pistole geschossen von Jason.

Stirnrunzelnd blickte ich ihn an; dafür hätte ich sicher das Zehnfache an Zeit gebraucht, hätte ich es denn überhaupt versucht. Um ehrlich zu sein, war es einfach zu früh, um Mathe zu machen, vor allem, weil wir hier ja nicht in der Schule waren.

Aber das alles im Kopf in  dieser Zeit zu rechnen zeugte definitiv nicht von Dummheit. Die Meinung seiner und Zoeys Eltern konnte ich deshalb auch immer weniger nachvollziehen.

Möglicherweise war er nicht perfekt, oder ein Musterschüler, aber er war nett und gab sich wenigstens Mühe. Ich an seiner Stelle wäre unglaublich wütend auf meine Eltern und meine Schwester.

Allerdings konnte man das vermutlich nicht so pauschalisieren, denn es verletzte ihn sicher mehr, als er zugeben würde. „Ich hasse es, wenn du meine wunderbaren Aufgaben so schnell löst, aber jetzt lass uns wirklich einmal anfangen. Wie ich uns kenne, werden wir sowieso genug Pausen machen.“

Schweigend gingen wir nach unten in die Küche, wo die Jungs sich mit Papieren an den Esstisch setzen und ich mich auf die Ablage schwang. Beinebaumelnd wartete ich auf eine ihrer Pausen, denn wie erwartet, waren sie mir mit dem Stoff um einiges voraus.

Ich hätte zwar gerne etwas Produktives zu ihren Gesprächen beigetragen, aber ich hatte keine Ahnung, also hielt ich lieber die Klappe. Wie sollte Zoey den Beiden bitte Nachhilfe geben können?

War sie wirklich so gut, dass sie schon den Stoff aus einer höheren Klasse konnte? Beleidigt stellte ich fest, dass heutzutage wohl jeder intelligenter war als ich. Das betonte mein Lehrer zwar auch stets, aber bisher hatte ich den Lehrern ohnehin keine wahren Aussagen zugetraut.

Nicht, dass ich sie dumm fand, aber ich hatte einfach kein sonderlich großes Glück, wenn es um Lehrer ging. Entweder ich mochte sie nicht, sie mochten mich nicht, oder das Fach war allgemein einfach schrecklich.

Deshalb war es auch eine richtige Quälerei gewesen, mich zwischen einigen Fächern entscheiden zu müssen. Biologie, Chemie, oder Physik… nur eines konnte ich loswerden, woraus zu meinem Leidwesen folgte, dass ich zwei behalten musste.

Schließlich hatte ich mich dafür entschieden, Chemie und Physik zu behalten, auch wenn ich in keinem dieser Fächer wirklich glänzen konnte. Viel lieber hatte ich Sprachen, denn obwohl ich auch dort keine brillanten Noten hatte, kam ich einfach besser damit zurecht. In Englisch lag das vermutlich überwiegend daran, dass mein Vater Amerikaner war, weshalb mein Familienname auch Stone war.

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Far awayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt