Mein brummender Schädel brachte mich schließlich dazu, aufzustehen, wenn auch eher unfreiwillig. Es kam mir vor, als hätte ich etwas vergessen, doch als ich das Zimmer mit meinen Augen durchsuchte, war da nichts.
Stöhnend griff ich mir an den Kopf und schüttelte mich unwillkürlich. Ein Stechen zuckte hinter meinen Augenliedern, also ließ ich die Bewegung lieber ganz sein. Mühsam schlurfte ich ins Bad, wo ich mich erst mal im Spiegel betrachtete. Leider sah ich genauso aus, wie ich mich fühlte, nämlich beschissen.
Meine Haare hingen in wirren Zotteln von meinem Kopf, was aussah, wie eine Neandertalerfrisur, vielleicht auch noch schlimmer. Eine kleine Wunde zierte meine Schläfe, aber sie sah nicht allzu beunruhigend aus. Im Gegensatz zu mir.
Meine ausdruckslosen und milchigen Augen schauten mich aus dem Spiegel zurück an und musterten mich entsetzt. Ich sah aus wie ein Drogenopfer mit meinen tiefen Augenringen, die praktisch schon schwarz waren.
Zuerst versuchte ich mein Aussehen mit kaltem Wasser ein wenig aufzufrischen, scheiterte aber kläglich. Stattdessen war da wieder dieser nahezu unerträgliche Schmerz in meinem Kopf, der mich das Gesicht verziehen ließ. Plötzlich wurde mir unglaublich schlecht, weshalb ich zur Toilette stürzte und mich röchelnd übergab.
Was war gestern nur passiert? Ich hatte keine Erinnerungen, nur verschwommene Fetzen ohne Zusammenhang, die ich nicht einordnen konnte. Obwohl ich mich bisher kaum bewegt hatte, fühlte ich mich, als wäre ich einen Marathon gerannt, weshalb ich zurück in mein Zimmer wankte.
Sollte ich mich nochmal übergeben müssen, gab es einen Mülleimer im Zimmer, der ja auch irgendwie gefüllt werden musste. Wach lag ich im Bett und fühlte mich mies, obwohl selbst das noch eine Untertreibung war.
Für mich stand ziemlich sicher fest, dass ich eine Gehirnerschütterung hatte. Am liebsten hätte ich mir einen nassen Waschlappen auf das Gesicht geklatscht, aber nochmal aufstehen konnte ich nicht.
Also versuchte ich zu schlafen, was gar nicht so einfach war, weil ich regelmäßig hochschreckte, in der Angst mich erneut übergeben zu müssen. Beim kleinsten Geräusch brachten mich die Kopfschmerzen praktisch um und auch nur der kleinste Lichtstrahl ließ mich schwer schlucken.
Keine Ahnung, wie lange ich so dalag, aber schließlich kam eine weniger gutgelaunte Zoey ins Zimmer: „Willst du vielleicht…“ Sie beendete den Satz nicht, denn mein Aussehen schien Antwort genug.
„Was ist denn mit dir passiert?“, fragte sie schließlich geschockt. Danke, diese Art der Aufmunterung hatte ich jetzt wirklich gebraucht. Da fühlte ich mich doch gleich viel besser. „Mein Kopf und eine Wand“, erklärte ich knapp und ignorierte den Schmerz beim Sprechen.
„Scheiße Cora! Meine Eltern sind beide nicht da und ich hab einen wichtigen Auftritt mit meiner Tanzgruppe, aber ich kann dich wohl kaum alleine hier lassen.“ Ich leckte mir über die trockenen Lippen, bevor ich leise antwortete: „Geh ruhig.“
Kurz blinzelte ich, um ihr zu signalisieren, dass es okay sei, doch sie schüttelte entschlossen den Kopf: „Nein, was denkst du denn von mir?“ Geschockt kam sie zu mir hinüber und wirkte ziemlich überzeugt, dass sie hierbleiben müsste.
„Frag doch jemanden, ob er herkommen kann, bis du wieder da bist“, schlug ich vor und griff panisch nach dem Mülleimer. Zoey verzog angeekelt das Gesicht, ließ sich aber nicht abschrecken. „Und wen?“, sie wirkte wenig überzeugt.
„Deinen Bruder zum Beispiel.“ Fast hoffte ich, dass sie ihn tatsächlich fragen würde. In meiner Erinnerung tauchte er nämlich mit ziemlicher Sicherheit auf. Vielleicht könnte ich ihn ja fragen, was genau gestern passiert war.
„Jason? Nein, der ist in sowas überhaupt nicht gut.“ Ich hatte so das Gefühl, dass Zoey ihren Eltern viel zu viele Dinge nachmachte. Aber wenn sie das für richtig hielt, konnte ich ihr da wohl kaum reinreden.
Ach Quatsch, natürlich konnte ich das. „Hab Vertrauen in ihn, er ist immer noch dein Bruder!“, flüsterte ich heiser. Sprechen war anstrengender, als ich gedacht hatte, aber ich wollte ihr ja nicht den Auftritt versauen, auf den sie sicher viel geprobt hatte.
Zoey zögerte lange mit ihrer Antwort, dann nickte sie langsam: „Also gut, aber wenn irgendetwas ist, rufst du mich an!“ Ich hob meine Hand, als Zeichen, dass ich es verstanden hatte und sie ging aus dem Zimmer.
Kurz darauf verabschiedete sie sich schnell und meinte, dass Jason bald hier wäre. Ich antwortete nichts, vor allem, weil ich es nicht wirklich konnte. Nach etwas, das sich anfühlte wie Stunden, wurde die Zimmertür wieder geöffnet und ein ausgeschlafener Jason betrat den Raum: „Zoey meinte, ich könnte hier jemanden babysitten.“
Ich hätte jetzt gerne eine schnippische Antwort gegeben, aber dazu war ich schlichtweg nicht fähig. Da sollte noch einmal jemand behaupten, es gäbe keine lebenden Leichen.
„Wow, du siehst schlimmer aus, als ich erwartet habe!“ Schon zum zweiten Mal heute, wurde ich mit Komplimenten nur so überhäuft, als ob es mir nicht schon schlecht genug ging. Ich wollte ihn zwar wütend anfunkeln, aber nicht einmal dazu war ich in der Lage.
Stattdessen blickte ich ihn einfach nur unverwandt an. Er grinste, aber ich konnte nicht zurücklächeln, weil ich damit beschäftigt war, den Kotz-Reiz zu unterdrücken, um mich nicht völlig vor ihm zu blamieren. Andererseits sah ich sowieso aus, wie eine Untote, viel zu retten gab es also ohnehin nicht mehr.
„Hi Jason“, presste ich hervor. Meine Lieder flatterten und ich hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden, soweit kam es dann zum Glück allerdings doch nicht. „Brauchst du vielleicht irgendetwas?“, fragte er, endlich doch noch ein wenig besorgt.
„Wasser“, keuchte ich und schloss die Augen, weil meine Sicht sowieso nur noch schwarz war. Kurz darauf hielt mir jemand eine Flasche an den Mund, weil ich es nicht mal schaffte, sie alleine zu halten, da ich so zitterte.
Gierig trank ich die Flasche leer, woraufhin es mir tatsächlich etwas besser ging. Allerdings war immer noch alles schummerig und undeutlich. „Was ist gestern Nacht passiert? Ich kann mich an dich erinnern, aber alles ist so verschwommen“, gab ich zu und versuchte, ihn abwartend anzusehen.
„Du bist über meinen Koffer geflogen und mit dem Kopf gegen die Wand gestoßen. Daraufhin habe ich deine Wunde gesäubert und dich wieder ins Bett verfrachtet.“ Erleichtert atmete ich auf: „Und ich war nicht irgendwie peinlich?“
Bisher verhielt er sich normal mir gegenüber, also konnte ich nicht allzu peinlich gewesen sein. „Nein, du warst ganz ruhig und hast alle meine Anweisungen brav befolgt.“ Ich konnte das Lächeln in seiner Stimme hören, glaubte seinen Worten aber trotzdem. Einerseits wollte ich nicht peinlich gewesen sein, andererseits gab es keinen Grund für ihn, mich anzulügen.
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Far away
RomanceEin Auslandsjahr ist ja an sich schon total spannend. Neue Leute, neue Schule und neue Cora. Jedenfalls war das Ganze in Coras Vorstellung irgendwie anders. Es war einfacher. Das ist es in der Vorstellung wahrscheinlich immer. Es war leichter, vor a...