Kapitel 1 ~ Die Ankunft #5

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„Das schmeckt wirklich super, Sahra“, meinte Tanner zum gefühlt tausendsten Mal. Ich und Zoey verdrehten gleichzeitig die Augen und bejahten, ebenfalls zum tausendsten Mal. Auch Sahra schien langsam genervt: „Ich hab jetzt langsam verstanden, dass es euch zu schmecken scheint, könnten wir also endlich über etwas anderes reden?“ Erleichtert atmete ich auf, denn offensichtlich war ich nicht die Einzige, die von dem Thema etwas genervt war.

„Wie war eigentlich dein Flug, Cora?“, richtete Sahra ihre nächste Frage an mich. Ich schluckte schwer und versuchte die wenigen positiven Dinge an meinem Flug zu finden. „Ich konnte vor Aufregung kaum schlafen, deshalb habe ich das vorhin auf dem Sofa nachgeholt. Außerdem hab ich die meiste Zeit mit zwei wirklich süßen Kinder gespielt.“

Sie hatten eigentlich nur gegen meinen Sitz getreten und mir ins Ohr geschrien, aber „spielen“ hörte sich da wesentlich freundlicher an. „Du bist also ebenso kinderlieb wie unsere Zoey. Jason dagegen kann überhaupt nichts mit Kindern anfangen!“ Ging das jetzt schon wieder los? Bei diesen Gören hätte sogar ich fast die Geduld verloren und das sollte was heißen, aber Jason war nicht kinderlieb?

Er war ein Junge, vermutlich kaum älter als ich. Welcher Junge in meinem Alter war schon kinderlieb? Kein normaler Mensch in unserem Alter war bereit Kinder großzuziehen! Wir sollten rausgehen, Partys feiern und uns verlieben, nicht auf Kinder aufpassen. Wozu also kinderlieb sein? „Wie alt ist Jason denn genau?“ „18. Er sollte sich endlich mal eine Freundin suchen, aber stattdessen hängt er den ganzen Tag nur mit seinen Freunden rum! Die haben überhaupt keinen guten Einfluss auf ihn.“

„Ach komm schon Dad! So schlimm sind sie echt nicht“, warf Zoey nun ein. Überrascht sah ich die Brünette an. Was hatte sie für die Kumpels von ihrem Bruder übrig? Sie würde sie wohl kaum ohne Grund verteidigen, das wäre nicht ihre Art. Okay, ich kannte die erst seit heute, aber das vermochte ich dennoch zu sagen. Ich sollte sie nachher danach fragen, allerdings erst, wenn wir alleine waren. Ansonsten könnte das für sie nämlich ziemlich peinlich werden. Zum Glück konnte Dessy mich vor meinen Eltern nie fragen, warum ich so begeistert von einem Jungen redete. Das war einer der wenigen Vorteile, wenn man kaum mit Jungs redete.

„Vor allem dieser Kyle, der ständig hier abhing. Der ist der Schlimmste von allen!“ Zoey nahm einen gesunden Rotton an. So war das also. Sie hatte was für diesen Kyle übrig und versuchte ihn deshalb ihren Eltern gegenüber als gut darzustellen. Konnte man ihr nicht verübeln, immerhin wollte man ja ihre Zustimmung zu der Beziehung. Wäre irgendwie blöd, wenn meine Eltern meinen Freund nicht leiden könnten.

Allerdings hatte ich noch nie einen Jungen getroffen, den ich meinen Eltern gerne als meinen Freund vorgestellt hätte, also musste ich mir da nicht allzu viele Sorgen machen. Außerdem wäre dieser Junge sowieso so herzlich und nett, dass man ihn gar nicht, nicht mögen konnte! „Kyle ist wirklich nett und er schreibt gute Noten, Dad.“

Als wäre sowas wichtig, um jemanden mögen zu können. Was interessierten mich seine Noten? Solange er liebevoll und freundlich wäre, konnte man sich auch in jemanden verlieben. Da brauchte es doch keine guten Noten. Wenn ein Junge mich mit seinem Lächeln sprachlos machen konnte, dann wäre er perfekt. Eine äußert kitschige Vorstellung aber so stellte ich mir nun mal meinen Traum-Typ vor.

Andere wollten, dass er gut aussehe oder durchtrainiert wäre, aber für mich wäre das nur ein netter Bonus, gegen den ich zwar nichts hatte, aber auch nicht unbedingt brauchte. „Mäuschen, du weißt genau, dass diese Jungs ein schlechter Umgang sind. Ich möchte, dass du von nun an nicht mehr mit diesem Kyle oder überhaupt einen von Jasons Freunden sprichst.“

Wie konnte ein Vater seiner Tochter denn bitte sowas verbieten? Als ob Zoey das jetzt so protestlos hinnehmen würde! Sie sah einen Moment auf ihren Teller und ich konnte sehen, dass sie die Tränen unterdrückte. „Ich werde mich von ihnen fernhalten, Dad.“ Das hatte sie doch jetzt nicht wirklich gesagt, oder? Entsetzt blickte ich zwischen ihr, ihrem Vater und ihrer Mutter hin und her.

Keiner bemerkte, wie schockiert ich davon war, dass Zoey das tatsächlich zuließ. Ich musste wirklich alleine mit ihr reden! Immer noch mit den Tränen kämpfend trug Zoey ihren Teller nach draußen und ich folgte ihr kurz darauf. Wie konnte sie das nur zulassen? Am liebsten hätte ich sie umarmt und getröstet, allerdings kannte ich sie ja erst seit heute Mittag und wollte sie nicht überrumpeln. Ihre ganze Fröhlichkeit war vergangen und sie wirkte nicht im Mindesten so lebhaft, wie noch vor kurzem.

Sie war jetzt still und vollkommen ruhig und dennoch schienen ihre Eltern keinerlei Veränderung an ihr zu bemerkten. Entweder waren sie blind, oder ich hatte einfach eine gute Menschenkenntnis, was ich stark bezweifelte. „Lass uns hoch gehen“, schlug ich vor, um sie aus dieser Situation zu retten und sie nickte dankbar. Wie konnte man sowas nur mit sich machen lassen? Sie war 16, da sollte sie doch selbst entscheiden können, mit wem sie redete und mit wem nicht. Wenn es ihr so weh tat, ihn nicht mehr sehen zu dürfen, dann sollte sie ihn definitiv wiedersehen.

Das war doch völlig logisch in meinen Augen. Nicht, dass ich ein Liebesexperte war, aber ich erinnerte mich an ein Zitat, dass meine Meinung nur zu gut vertrat. „You can’t help who you fall in love with.“ In Deutsch also: „Du kannst nichts daran ändern, in wen du dich verliebst.“

Das stimmte absolut, denn wenn Zoey diesen Kyle wirklich mochte, dann sollte das niemand zu ändern versuchen. Es sei denn, er erwiderte ihre Gefühle nicht, was ich nicht sagen konnte, weil ich ihn ja nicht einmal kannte. Aber es war einfach, zu sagen, dass Zoey ihn sehr mochte, immerhin war sie kurz davor, anzufangen zu weinen. Schnell gingen wir nach oben, wo ich ihr wortlos eine Packung Tempos reichte und sie bitterlich zu schluchzen begann.

Wow, es schien ihr noch mehr an ihm zu liegen, als ich gedacht hätte.

--------------------------------------------------- Danke für mehr als 100Reads ;*

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