Kapitel 8 ~ Uneinsichtigkeit tut weh #1

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Ich würde Jason ganz direkt danach fragen, was das jetzt mit uns war. Wenn er mir jetzt sagen würde, dass da nie mehr sein würde, würde es zwar immer noch wehtun, aber wenigstens hätte ich Gewissheit.

Abwimmeln lassen würde ich mich sicher nicht, dafür war ich zu bissig, wenn es um Antworten ging. Dennoch pochte mein Herz übertrieben schnell, als ich auf der Schwelle des Hauses stand, genau wie damals, als er auf mich aufgepasst hatte.

Es wäre zwar nicht nötig gewesen, aber dennoch war ich froh, dass er es getan hatte, auch wenn ich jetzt vielleicht verletzt werden würde. Immerhin wusste ich jetzt, wie sich Verliebtsein anfühlte und dieses Gefühl war mir nicht mehr völlig fremd und mit etwas Pech würde ich bald auch noch erfahren, wie sehr ein gebrochenes Herz schmerzte.

Wer wusste außerdem schon, ob wir uns je so gut kennengelernt hätten, wenn er sich nicht mitten in der Nacht in sein Bett hätte legen wollen und mich damit aus dem Schlaf gerissen hätte.

Noch immer hatte ich kaum Erinnerungen an die Nacht, aber ich vertraute einfach darauf, nichts allzu Peinliches getan zu haben. Sollte ich mich allerdings doch blamiert haben, war ich dankbar für den Gedächtnisverlust und wollte mich wahrscheinlich auch lieber gar nicht daran erinnern.

Es wäre typisch für mich, wenn ich mich völlig blamiert hatte, aber ich wollte lieber nichts heraufbeschwören. Am Ende würde ich mir damit sicher mein eigenes Grab schaufeln. „Wer bist du und was kann ich für dich tun?“

Die ältere Dame, die ich bereits aus dem Bus kannte, aus dem wir geflohen waren, öffnete mir freundlich lächelnd die Tür. Ich hätte schon fast wieder vergessen, dass Jason mit seiner Großmutter zusammen wohnte, da ich sie bei meinem ersten Besuch hier nicht kennengelernt hatte.

Im Gegensatz zu mir wusste sie allerdings auch nicht, mit wem sie es zu tun hatte, weshalb ich schüchtern zurücklächelte. Meine Eltern hatten mich gut genug erzogen, dass ich mich höflich vorstellte und ihr die Hand reichte.

„Hallo, mein Name ist Cora und ich bin wegen Jason hier.“ Ihr Lächeln wurde gleich noch eine Spur breiter, als sie meine ausgestreckte Hand annahm: „Bist du dann das Schnuckelchen, von dem er erzählt hat?“

Schamesröte stieg mir ins Gesicht und ich schüttelte verlegen den Kopf. Er hatte mich hoffentlich nicht Schnuckelchen vor seiner Oma genannt. Dennoch war es ein berauschendes Gefühl, dass er ihr überhaupt von mir erzählt hatte, sollte überhaupt ich gemeint sein.

Dessen war ich mir nicht einmal zu hundert Prozent sicher, aber seine Oma war nicht die richtige Person, um es mit jemandem zu besprechen. „Bei mir brauchst du nicht so schüchtern sein, Kindchen.

Wir alten kennen das alles schon aus unserer eigenen Jugend und wollen euch das natürlich nicht ersparen. Außerdem sind eure Gesichter einfach zum Schießen, wenn ihr vor Verlegenheit ganz rot werdet“, erklärte sie mir, während sie die Tür weit öffnete und mir mit einer einladenden Bewegung signalisierte, das Haus zu betreten.

Zögerlich trat ich ein, nachdem ich meine Schuhe an der Fußmatte gesäubert hatte. Nachdem ich schließlich wirklich im Eingangsbereich stand und soweit bereit wäre, Jason aufzusuchen, wandte sie noch einmal das Wort an mich: „Soso, du bist also wegen Jason hier.“

Sie wackelte mit den Augenbrauen und grinste mich breit an. Ihr doch recht runzliges Gesicht verzog sich dabei, weshalb ich mir ein Lachen verkneifen musste. Ich mochte alte Menschen einfach, da sie nach außen zwar immer total ruhig wirkten, es aber nicht im Geringsten waren.

Schweigend griff sie nach einem paar abgenutzter Sportschuhe, die auf dem Boden lagen und wohl sehr oft benutzt wurden. Ich fand es bewundernswert, dass sie noch in ihrem hohen Alter so sportlich war und sich offensichtlich nicht an ihrer Altersgruppe orientierte, was Bewegung betraf.

„Na dann will ich euch mal eine Weile alleine lassen. Aber in zwei Stunden bin ich wieder da und ich möchte wirklich bei nichts stören, also achtet ein Wenig auf die Zeit. Andererseits ist es schon so lange her, dass ich irgendwo reingeplatzt bin und ich bräuchte mal wieder was Richtiges zum Lachen.“

Verdattert stand ich immer noch untätig im Flur herum und rührte mich nicht, was man auch als eine Art Schockstarre bezeichnen könnte. Bei ihrer Bitte wurde ich leider glatt schon wieder rot, wenngleich ich doch wirklich nichts in dieser Richtung vorhatte.

Das bekam sie allerdings schon gar nicht mehr mit, da sie bereits aus der Tür war und diese hinter sich zuzog. Zugegebenermaßen war meine Oma Zoeys sehr ähnlich, denn auch meine Oma stellte uns gerne vor unseren Freunden bloß.

Simon mehr als mich, was auch daran lag, dass er immer wieder den Fehler machte und seine Freundinnen zu unseren Familienfesten mitbrachte. Das war natürlich gefundenes Fressen für meine Oma, die nur zu gerne alles und jeden nach unserem Privatleben ausquetschte.

Dessy hatte ich vorgewarnt, weshalb sie bei ihrem ersten Besuch auch gewappnet gewesen war, doch Simon hatte diese Maßnahme für schlichtweg überflüssig gehalten.

Tja, im Nachhinein war man immer klüger, aber Simon machte den Fehler jedes Mal. Und jedes Mal bat er mich wieder um Hilfe, um seine Freundinnen vor der Peinlichkeit zu bewahren.

Dieses Jahr musste er das wohl oder übel alleine schaffen. Bei dem Gedanken an Zuhause wurde mir flau im Magen; ich vermisste meine Familie. „Wer war…“ Jason verstummte mitten im Satz, als er auf dem oberen Treppenabsatz erschien.

Er musterte mich kurz, bevor er grüßend die Hand hob. „Hey“, murmelte ich und schaute betreten zu Boden. Aus irgendeinem Grund vermied ich es, ihn anzusehen, in der Angst es läge etwas Abweisendes in seinem Blick.

„Was machst du hier?“ Offensichtlich war er ziemlich überrascht von meinem unangekündigten Besuch, aber das sollte mich nicht von meinem Vorhaben abbringen.

Dennoch klang er nicht gerade erfreut, was mir einen Schmerzhaften Stich verpasste. Gestern war er noch so unglaublich nett und fürsorglich gewesen und jetzt schien er plötzlich eine Abneigung gegen mich entwickelt zu haben.

„Ich wollte mit dir reden.“ Sofort spürte ich wie ein gewisser Teil der Anspannung von mir abfiel. Dennoch war ich noch unglaublich nervös, da ich Angst vor dem Ausgang dieses Gespräches hatte.

Was, wenn ich nicht die Antworten bekam, die ich mir zu hören wünschte? Stirnrunzelnd stieg er die Treppe hinab, bis er direkt vor mir stand und mich wie aus heiterem Himmel umarmte.

Zuerst sträubte ich mich meiner guten Vorsätze willen dagegen, doch dann erwiderte ich die Umarmung glücklich. Wie so oft in den letzten Tagen übersprang mein Herz einige Schläge, nur um dann doppelt so schnell weiterzuschlagen.

Ich atmete seinen inzwischen nur zu gut vertrauten Geruch ein, was mich ein wenig beruhigte. Jasons warmer Atem kitzelte mich, weshalb ich ein Lächeln unterdrücken musste. „Ich hab dich vermisst.“

Far awayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt