Warum sagte er nichts? „Ich dachte, wenn du mich magst, würdest du vielleicht nichts mit meiner ehemals besten Freundin anfangen", erklärte ich weiter, noch immer kleinlaut und beschämt.
Da ich es vermied, ihn anzusehen und stattdessen nur meine Hände, die in meinem Schoß lagen, anstarrte, wusste ich nicht, ob er mich überhaupt anblickte. Erneut entstand eine peinliche Stille, die nur ab und an vom leisen Rascheln Shiquandas unterbrochen wurde.
„Was geht es dich eigentlich an, mit wem ich mich gut verstehe und mit wem nicht?" Mein Mund wurde trocken, als ich in seine sonst so warmen Augen blickte, die mich kalt musterten.
Was sollte ich darauf erwidern? In gewissem Maße hatte er ja recht. Was ging es mich schon an? Ich biss mir au die Innenseite meiner Wange und unterdrückte die Tränen.
Wenn mich das jetzt schon verletzte, dann würde ich ihm das wenigstens nicht zeigen. Wut stieg in mir hoch; so konnte er doch nicht mit meinen Gefühlen spielen! „Du hast recht. Es geht mich nichts an. Nicht im Geringsten. Aber wenn du das nächste Mal jemanden küssen willst, dann such dir jemanden, dem es egal ist. Anscheinend geht mich das alles ja nichts an, also gehe ich jetzt mal besser."
Verletzt und in meiner Ehre gekränkt ging ich mit erhobenem Haupt aus dem Zimmer. Es ging mich nichts an. Seine Stimme halte in meinem Kopf tausendfach nach.
Noch immer drängten die Tränen nach außen, aber bisher hatte ich sie erfolgreich unterdrücken können. Wieso hatte ich mich in ihn verlieben müssen? Ich klaubte meine Sachen zusammen und einige Sekunden später war ich bereits aus der Tür.
Er folgte mir nicht, tat nichts um mich aufzuhalten. Mein Mund wurde noch trockener, ich fühlte mich, als müsste ich verdursten, als ich auf die Straße stolperte.
Das Wetter hatte sich meiner Laune angepasst, weshalb es mich nicht einmal störte, dass es in Strömen regnete. Tatsächlich taten die kalten Tropfen sogar gut, auch wenn ich sie ohnehin kaum spürte.
Ich wusste weder, wo ich hinlief, noch wo ich war, aber noch einiger Zeit des Laufens hatte ich den Schmerz ein wenig hinter mir lassen können. Noch immer prasselte das Wasser auf mich hinab, aber ich war ohnehin schon längst durchnässt.
Warum musste ausgerechnet mir das passieren? Inzwischen war ich auf einer weiten, grünen Fläche gelandet, die ich als Feld identifizieren konnte. Die langen Gräser wiegten sich im Wind und dieser Anblick beruhigte mich ein Wenig.
Der Wind ließ schöne Muster in den schwankenden Halmen entstehen und zu meinem Glück, fegte er meine Gedanken fort. Ich genoss die friedliche Ruhe, die Sorglosigkeit, bis eine Stimme mich herumfahren ließ.
Dennoch machte ich mir Vorwürfe. War das vielleicht alles meine Schuld? Hatte ich einfach überreagiert, oder zu sehr geklammert und sein Verhalten war nur eine Reaktion darauf? „Hier bist du also."
Ich machte einen Satz zurück, stolperte in das Feld hinein und landete mit dem rechten Fuß in einem schlammigen Graben. Als wäre das noch nicht genug, knickte ich um und fiel unsanft in den Matsch.
Obwohl mein Knöchel wehtat, belastete ich ihn, ungeachtet dessen. „Verdammt Kyle, warum erschreckst du mich so?", motzte ich und rappelte mich auf. In meinem Zustand war es nicht gerade ratsam, sich mit mir anzulegen, denn im Moment reagierte ich sehr empfindlich auf alles.
„Du hast geweint", stellte er äußerst geistreich fest. Was erwartete er denn, wenn der Typ, in den man sich ja unbedingt verlieben hatte müssen, fand, dass einen sein Leben nichts anging?
Ich antwortete schnippisch und missgelaunt: „Das ist nur der Regen." Es war fast schon ein Knurren und ich hoffte, er würde mich wieder in Ruhe lassen. Ich wollte jetzt einfach nur alleine sein und mir darüber im Klaren werden, wie es jetzt weitergehen sollte.
„Willst du gar nicht wissen, warum ich dich gesucht habe?" Ich schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. Was interessierte es mich? Wenn er hier war, um mich von Jason um Vergebung zu bitten, hatte er den Weg umsonst gemacht.
Ich wollte, dass er sich selbst entschuldigte, auch wenn ich mich vielleicht auch entschuldigen sollte. „Egal, ich sag es dir trotzdem; Zoey hat sich Sorgen um dich gemacht, weil du vor Stunden einfach spurlos verschwunden bist."
Vor Stunden? Verwirrt warf ich einen Blick auf die Uhr, die an meinem Handgelenk hing, nur um festzustellen, dass er recht hatte. Ich hatte Stundenlang hier gestanden und es nicht einmal gemerkt.
Aber wen interessierte das schon? Jason konnte es ja egal sein, immerhin sollte mir doch auch alles egal sein, was er tat und Zoey -die kleine, süße Zoey- hatte ohnehin nur Kyle um Hilfe gefragt, damit sie mit ihm reden konnte.
Ich wollte ihr in meiner derzeitigen Wut nichts vorwerfen, also schluckte ich den bitteren Beigeschmack hinunter und ebenso die Enttäuschung, dass es nicht Jason war, der mich gesucht hatte.
„Warum bist du überhaupt abgehauen?" Kurz rang ich mit mir, entschied mich dann aber dazu, es ihm nicht zu erzählen. Ich musste alleine mit meinen Problemen klar kommen, außerdem wollte ich Kyle da nicht mit rein ziehen.
Es wäre selbstverständlich, dass er zu seinem besten Freund halten würde, selbst wenn sein Verhalten vielleicht nicht richtig gewesen war. „Ich wollte nur mal alleine sein", behauptete ich deshalb schlicht und zu meiner Erleichterung ließ er es auch darauf beruhen. Im Grunde stimmte es ja auch; ich wollte alleine sein und nachdenken, wenngleich
ich zu keinem Ergebnis gekommen war. Das Nachdenken hatte mich nur dazu gebracht, mich jetzt weinend in meinem Bett verkriechen zu wollen. „Lass uns nachhause gehen", schlug er vor, woraufhin ich nickte. Das würde ich unendlich gerne, aber Zuhause war für mich so weit entfernt und ich würde lange nicht dorthin zurückkehren können. Ich könnte nur hoffen, dass dieses Jahr schnell rumginge.
*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
Ich hatte den Entschluss gefasst, ihn einfach aus meinem Gedächtnis zu streichen. Zumindest könnte er mir so nicht noch mehr wehtun, denn nachdem, was er zu mir gesagt hatte, wusste ich, dass es dumm war zu denken, da könnte etwas zwischen uns sein.
Am liebsten hätte ich mich selbst dafür geohrfeigt, aber jetzt könnte man ohnehin nichts mehr daran ändern. Warum musste Liebe nur so kompliziert sein, wenn es doch offensichtlich auch einfach ging?
Und warum konnte nicht jede Geschichte ein Happy End haben? Das flaue Gefühl in meinem Magen war seit Wochen nicht vergangen und es war schwer, jemanden zu vergessen, den man fast täglich in der Schule sah.
Außerdem erinnerten mich Zoeys braune Augen immer öfter an seine, was den Schmerz auch nicht erträglicher machte. Am schlimmsten war es allerdings, wenn ich abends alleine in seinem Bett lag und Zeit hatte, nachzudenken.
Trotz seiner Worte, die mein Herz gebrochen hatten, konnte ich nicht aufhören an ihn zu denken. Nichts wünschte ich mir mehr und dennoch wollte es einfach nicht funktionieren! Aber wie hieß es doch so schön: Zeit heilt alle Wunden. Und meine würde die Zeit auch heilen, selbst wenn es vielleicht lange dauern würde.
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Far away
RomanceEin Auslandsjahr ist ja an sich schon total spannend. Neue Leute, neue Schule und neue Cora. Jedenfalls war das Ganze in Coras Vorstellung irgendwie anders. Es war einfacher. Das ist es in der Vorstellung wahrscheinlich immer. Es war leichter, vor a...