Der Schuss traf den Boden fast direkt neben mir. Ich schrie kurz auf und taumelte dann zur Seite, doch Palermo fing mich auf, bevor ich hätte umfallen können.
Vorsichtig schaute ich auf: Gandía lag auf wimmernd auf dem Boden, denn Nairobi hatte ihn angeschossen, bevor er mich hätte treffen können. Helsinki war bereits dabei, ihn zu fesseln, aber bevor ich noch mehr sehen konnte, drehte Martín meinen Kopf weg.
"Schau mich an", flüsterte er. "Es ist vorbei."
Anders, als er wohl erwartet hatte, begann ich nicht zu weinen.
Ich spürte, wie er mich sanft hochhob und langsam die Treppe hinauf trug, während ich mich verzweifelt an ihn klammerte.
Ich schaute nur kurz über seine Schulter, als wir die Bibliothek betraten. Einige der Geiseln schauten sich beunruhigt an, Matías nickte mir zu, bevor er von Palermo aufgescheucht wurde, und dann unsere Gefangenen zurück in die Eingangshalle brachte.
Er setzte mich auf das Sofa, bevor er zum Funkgerät ging, um den Professor Bescheid zu sagen, dass sie mich wieder hatten.
"Sergio? Alba ist bei uns."
"Danke, Martín. Alba, hör mir zu. Ich weiß nicht, was er dir angetan hat, aber es ist wichtig, dass du-"
"Professor? Sind sie jetzt vollkommen verrückt geworden? Aires wird nichts erzählen."
Nairobi hatte sich das Funkgerät geschnappt.
"Nairobi, die Polizei hat die Waffenruhe missachtet, es ist jetzt wichtig, dass wir zurückschlagen."
Meine Freundin wollte gerade etwas darauf erwidern, doch ich unterbrach sie.
"Ich erzähle alles. Wenn es uns hilft, dass wir hier früher rauskommen."
Alle anderen schauten mich an.
"Aires, du musst das wirklich nicht, cariño", sagte jetzt auch Palermo und kniete sich vor mir nieder.
"Ich will aber", wisperte ich.
Nairobi und er tauschten kurz Blicke, doch dann gaben sie mir das Funkgerät.
"Ich werde alles aufnehmen, Alba. Wir werden es einem Fernsehsender zukommen lassen."
"Verstanden", meinte ich und atmete noch einmal durch, bevor die Aufzeichnung anfing.
"Mein Name ist Buenos Aires. Ich weiß, dass viele von Ihnen sicher denken, dass wir die Bösen sind, aber ich versichere Ihnen, dass die Polizei uns viel mehr Unrecht angetan hat, als wir ihnen. Vor zwei Tagen lockte die Inspectora Alicia Sierra Nairobi in eine Falle: Ihr Kind wurde vor die Bank gebracht, damit sie ans Fenster gelockt wurde. Ein Scharfschütze sollte sie erschießen."
Ich brach einen Moment ab, doch ich sammelte mich schnell wieder, auch wenn ich spürte, wie mir bereits die Tränen von den Wangen liefen.
"Der Schuss traf nicht sie, sondern mich. Ich versuchte sie zu retten. Der Schuss traf mich nicht wirklich schlimm, aber durch den starken Blutverlust ... durch den starken Blutverlust verlor ich mein Kind. Es ... es war zwei Monate alt, und um ehrlich zu sein bin ich froh, dass es nicht in so einer schrecklich Welt ohne Gerechtigkeit aufwachsen muss."
Ich traute mich nicht zu Palermo zu sehen, doch er setzte sich neben mich und nahm meine freie Hand in seine.
"Wir hatten kurz nach dem Schuss eine Waffenruhe ausgehandelt, aber sie wurde gebrochen. Von Coronel Tamayo selbst. Er hat César Gandía, dem Sicherheitschef der Bank von Spanien, den Befehl gegeben, uns alle abzuschlachten, wie Tiere."
Ich zitterte.
Nairobi gab Palermo schnell eine Decke, die er vorsichtig um mich legte.
"Er hat hier drinnen niemand töten können, aber ... er ... hat es geschafft, mich zu vergewaltigen."
Jetzt fing ich so stark an zu weinen, dass auch Nairobi und Stockholm kaum noch die Tränen zurückhalten konnten.
"Ich war für einen Moment unkonzentriert. Er ... er hat mich gepackt, mich getreten, auf mich eingeschlagen. Er hat mich ... am Boden fixiert ... und sich ... an mir vergangen, während er ... immer gesagt hat ... dass wenn mein Baby nicht schon getötet worden wäre ... er es jetzt umgebracht hätte. Er hat mich immer wieder geschlagen ... und geschlagen, bis ich aufgehört habe mich zu wehren."
Nairobi fiel mir um den Hals, doch ich drückte sie wieder weg, um diese Aufzeichnung zu beenden.
"Was ich Ihnen damit sagen will, Señores, ist, dass wir keine Monster sind.
Wir sind auch Menschen, wie Sie da draußen. Wir sind der verdammte Wiederstand, der gegen dieses kaputte System rebelliert. Ich hoffe, viele von Ihnen können sich mit uns identifizieren.
Wir sind der Wiederstand..."
"Danke, Aires. Das war ... sehr stark von dir."
In Sergios Stimme hörte ich, dass auch er, wie inzwischen fast der ganze Rest der Bande, langsam angefangen hatte zu weinen.
Palermo nahm mich in den Arm und gab mir einen Kuss auf den Kopf.
Langsam ließen uns nach und nach in Ruhe, bis schließlich nur noch Martín und ich alleine in der Bibliothek saßen.
"Es tur mir so unendlich leid, Alba", flüsterte er.
"Martín, hör mir zu."
Ich löste mich aus der Umarmung und strich ihm über die Wange.
"Ich will diese ganze Scheiße hier endlich hinter mich lassen. Wir müssen alles hinter uns lassen. Die Bank, Gandía, León ... Andrés."
Ich hatte gedacht, dass er irgendetwas darauf antworten oder protestieren würde, oder zumindest dass er wieder das Weinen anfing, aber stattdessen fuhr er mir durch die Haare und schwieg einfach nur.
"Ich will mit dir danach ein ganz neues Leben beginnen. Ich möchte, dass du glücklich bist, dass du wieder lachst, wie im Kloster."
Ich versuchte, zu lachen.
"Sobald wir draußen sind, dann leben wir in Buenos Aires, oder? Stell dir mal vor, wir beide, in einer Wohnung, mit Kindern..."
Jetzt lächelte auch er.
"Ich werde daran nicht zerbrechen, cariño. Es macht mich stärker, ich will diese Zukunft nur um so mehr haben, Martín."
"Ich auch", flüsterte er und küsste mich vorsichtig.
"Wann sind wir hier draußen?", flüsterte ich ihm ins Ohr.
"Bogotá, wie viel Gold haben wir?", fragte Palermo in sein Walkie-Talkie.
"83 Tonnen eingeschmolzen, den Rest holen wir gerade raus", entgegnete er.
Martín schaute mich kurz an, strich mir eine Strähne meines braunen Haares hinters Ohr, dann antwortete er.
"Bogotá, wir starten Plan Venecia."
🧡
hey🥰
morgen kommt kein Kapitel, aber voraussichtlich Ende nächster Woche.
Für alle, die auch Spanisch sprechen oder es lernen: Ich eine Übersetzung dieser FF veröffentlicht.
Ich habe mir für diese FF ein eigenes Ende ausgedacht, ich hoffe es gefällt euch.
Was glaubt ihr, wie wird Plan Venecia aussehen?🙈
