Kapitel 8

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Ich erwachte mit derben Kopfschmerzen in einem feuchten, kalten mittelalterlichen, sehr karg eingerichteten Turmzimmer. Wie ich beim Erheben schnell feststellte, trug ich ein sehr eng geschnürtes, weinrotes Korsett mit Unterkleid in selber Farbe. Ich konnte kaum atmen. Wo war ich hier? Wer war ich diesmal? Dunkel erinnerte ich mich an Synderleins Auskunft. Ich könnte Schneewittchen sein. Einem Atemkollaps nah erhob ich mich vom Boden und stellte fest, dass meine Haare tatsächlich ziemlich dunkel waren und meine Hautfarbe beinahe die eines Vampires. Kalkweiss.

Es rumpelte an der schweren Eichenholztür und zwei bewaffnete Wächter mit Allerweltsgesicht eskortierten mich in das Gemach meiner bösen Stiefmutter.

„Ah, da bist du ja. Wie ich sehe, tut die magische Kleidung was sie soll. Du siehst schlank aus. Gut so. Wir müssen jetzt den Spiegel kalibrieren, bevor das Abenteuer losgehen kann. Ach, im Übrigen bin ich Angelina", hielt sie mir freundlich die Hand hin. An eine Angelina erinnerte sie mich ob ihres Aussehens auch. Wunderschön, wirklich wunderschön.

„Ja, gut, ich bin die Doctoress und offensichtlich in der Rolle von Schneewittchen aktiv?", hakte ich nach und hielt mir die Hand an den schmerzenden Kopf. „Du weißt nicht zufällig, was passiert ist, dass ich so Kopfschmerzen habe?"

„Tut mir ehrlich leid für dich. Es ist aber leider nötig, damit wir das Märchenland so schnell wie möglich retten können. Du verträgst die angewendeten Mittel unserer Zeitsprünge und Umwandlungen wahrscheinlich nicht so gut. Es dürfte so eine Art magischer Kater sein. Ich hoffe, es legt sich in den nächsten Stunden", strich sie mir ermutigend über den Arm. „Nun aber zum Spiegel", entfernte sie das Tuch von einem riesigen Wandspiegel, der einen wunderschönen, schnörkeligen, goldenen Rahmen hatte. Ganz mein Stil. „Hübsch nicht?", begann sie an verschiedenen Stellen des Rahmens zu reiben und ein männliches Gesicht erschien darauf. „Ohhhhmmmm", stöhnte er. „Meine Königin? Huaaa!!! Was ist das da neben dir?" klang die vorher seidenweiche Stimme auf einmal panisch.

„Mach dir mal nicht ins Hemd. Das ist unser Aushilfs-Schneewittchen. Sie hilft uns die wahre Liebe wieder ins Märchenland zu bekommen", klärte die Königin den Spiegelmann auf.

„Aha, ok. Aber warum so was ... .... ... unschönes? So ein Schneedickchen?", war der Spiegel irritiert.

„Die wahre Liebe schaut nicht außen, Spieglein. Sie schaut nach innen. Und in dieser Person, da liegt ein ganz großes, warmes Herz. Du wirst dich leider überwinden müssen nicht ganz die Wahrheit zusagen, obwohl wir uns Mühe gegeben haben sie herzurichten."

„Niemals!", zischte der Spiegel. „Ich sage immer, IMMER, nur die Wahrheit."

Die Königin drehte sich zu mir herum und flüsterte: „Er ist manchmal etwas schwierig."

„Das hab ich gehört", maulte er.

„Wenn ich dir die für dieses Märchen wichtige Frage stelle, wirst du einfach an ihre innere Schönheit denken und die ist wahrlich bezaubernd. Du brauchst also nicht zu lügen, ändere deinen Blickwinkel, Spieglein. Oder es gibt keine Streicheleinheiten mehr für dich." Diese Frau war eine wahre Königin.

„Du hast leicht reden. Häng du mal an einer Wand und ändere deinen Blickwinkel, Hexe!"

„Ich mische mich ja ungern ein, aber wir haben nicht die Zeit zum Streiten. Das Märchenland muss gerettet werden und zwar so schnell wie möglich. Herr Spiegel, ist es euch möglich euch vorzustellen, dass ich die wahre Liebe bin und als solche schön?" Ich war mit meiner Wortwahl definitiv nicht zufrieden.

„Ein schwergewichtiges Argument. Ich versuchs. Können wir mal üben?", gab er sich geschlagen. Aber wahrscheinlich war die Androhung der ausbleibenden Streicheleinheiten ein gewichtigeres Argument.

Die Königin räusperte sich: „Spieglein, Spieglein an der Wand wer ist die Herzensschönste im ganzen Land?"

„Danke für die Hilfestellung, Königin. Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber Schneewittchen ist tausendmal.....pffuäh mir wird auf einmal der Hals so trocken... schöner als Ihr", kam es stockend aus dem Spiegel.

„Naja, so können wir das lassen, denke ich." Die Königin nickte zufrieden, hauchte dem Spiegelmann noch ein Küsschen zu und verhängte ihn wieder. „Das passt. Morgen geht es dann richtig los. Der Jäger wird mit dir in den Wald gehen. Heute Abend läuft Herr der Ringe im Märchen-TV, wenn du Lust hast, leiste mir doch Gesellschaft", lud mich die Königin zu acht Uhr auf ihr Zimmer ein. Derweil trieb ich mich im Schloss umher und nahm eine Nase Frischluft.

Punkt acht, fand ich mich auf ihrem Zimmer ein. Sie lag schon Popcorn-mampfend auf dem großen Bett und hatte den Flatscreen von der Decke ausgefahren. „Nimm Platz. Auch?", hielt sie mir die Schüssel hin, als ich mich neben ihr platziert hatte.

„Nein, danke." Sie sah verändert aus. Um Jahre gealtert und irgendwie wölbte sich unter ihrem Nachthemd ein Bauch. Sie bemerkte meinen Blick.

„Ich hab die magische Kleidung ausgezogen. So sehe ich dann in echt aus. Ist nix mit Schönheit. Bin etwas in die Jahre gekommen und dieses ständige Spielen einer bösen Figur hinterlässt Spuren an meiner Figur. Irgendwie muss ich die Boshaftigkeit kompensieren. Das geht am  besten mit Speis und Trank", hielt sie mir ein kaltes Bier vor die Nase. Wie ich feststellte, hatte jede Figur im Märchenland ein ganz persönliches Problem. Das Bier nahm ich.

Der Film, Teil 1, begann und die Königin neben mir schmolz dahin, klebte mit ihren Augen auf dem Bildschirm, als er, Aragorn, seinen ersten Auftritt hatte.

„Ähm?", wunderte ich mich.

„Sag nichts. Er ist einfach toll oder? Ich würde ihn sofort heiraten, wenn ich könnte." Hatte sie Herzen in ihren Augen? Ja, sie hatte. Sie griff meine Hand und hielt sich daran fest. „Hach, wie schade, dass du bald fort musst, es ist so schön mit jemandem fernzusehen", seufzte sie und warf mir einen kurzen Blick zu. Ähm...HILFEEEE!!!

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen musste ich zurück auf mein Zimmer. Bange Minuten vergingen, dann endlich klopfte es an der Tür.

„Herein?", rief ich am Fenster stehend.

„Schneewittchen, ich soll dich abholen. Die Königin sagt, du sollst ein wenig heraus an die frische Luft. Und da es so gefährlich ist, soll ich dich begleiten", sagte der Jäger.

Als ich mich vom Fenster zu ihm umdrehte, traf mich fast der Schlag.„Aragorn!" Er trat zu mir und hielt mir die Hand vor dem Mund.

„Ich bitte dich inständig. Sag das nicht so laut. Ich komme sonst in Teufels Küche", nahm er die Hand wieder weg, als er merkte, dass ich nichts mehr sagte.

The Doctoress - Märchen-Haft (10)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt