Kapitel 7

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„Schneeweißchen", brummte es hinter mir und stieß mir die feuchte Nase in mein weißes Kleid. Ich spießte die Angelrute in die Erde und drehte mich um. Mein Bär! Marcus! Ich schloß die Arme um seinen Hals und presste das pelzige Vieh fest an meine Brust, was es mit einem tiefen Brummen quittierte, dass ich bis tief in mein Innerstes spürte.

„Ich habe dich vermisst." Der Bär legte sich auf den Rücken und ich kuschelte mich auf seinen Bauch. Und wir taten nichts anderes, als den Herzschlag des anderen zu spüren, während der zarte Frühlingswind den Duft einer Kräuterwiese zu uns trug.

„Halloooo! Ich bin wieder da! Was immer ihr auch gerade tut, ihr solltet jetzt besser damit aufhören!", näherte sich Rosenrot mit vor die Augen gehaltenen Händen.

„Du kannst du Hände runter nehmen. Der Bär ist vor einer Viertelstunde schon gegangen. Da hat er gehört, wie du durchs Unterholz getrampelt bist", zog ich sie mit einem schelmischen Lächeln auf. Als ich sie näher betrachtete, sah ich einen dezenten Bluterguss an ihrem Hals und ihre Lippen wirkten voller und röter als in den letzten Tagen. „Wo warst du und mit wem hast du rumgeknutscht?"

„Du hast aber ganz schön scharfe Augen", rollte sie mit den ihren.„Sags keinem weiter. Am Ende des Märchens heirate ich ja den Bruder des Prinzen. Und soll ich dir was sagen: Er ist heiß." Sie seufzte. „Irgendwie können wir es nicht unterlassen uns ab und zu zu treffen, obwohl es verboten ist."

„Okay, also ich sage es niemandem. Du kannst dich darauf verlassen. Ist es keine wahre Liebe bei euch?", grübelte ich.

„Nein, ist es nicht. Wir lieben uns, ja, aber phasenweise halt auch nicht." Sie deutete mir mit einem Blick an die Angeln einzupacken. Gefangen hatte ich noch nichts. „Der Zwerg sollte schon da sein, ein Stück weiter den Fluss herunter." Wir packten zusammen und hinter der nächsten Biegung hang ThomyTomatenzwerg mit seinem Bart in der Angelschnur, während ein großer Fisch ihn ertränken wollte. Ich erschrak nicht mehr so bei seinem Anblick und auch seine ewige Flucherei ging mir ziemlich am Allerwertesten vorbei. Schnipp, Schnapp, der Bart muss ab! Wir trollten uns wieder in unser heimeliges Zuhause.

Wieder ließ die Regierung des Märchenlandes ein paar Tage ins Land ziehen um meine Sehnsucht nach Marcus in die Höhe zu treiben.

„Schneeweißchen? Heute geht es in die Stadt. Wir müssen etwas Nähzeug kaufen", flötete Rosenrot und machte einen wirklich glücklichen Eindruck, während ich mit den Augen rollte. „Was ist?"

„Menschen, auf die kann ich heute gar nicht. Ich will...", jammerte ich.

„Ich weiß, was du willst und jetzt hör auf mit dem Gejammer. Es wird dir gut tun unter Leute zu kommen und was anderes zu sehen. Außerdem schließt sich die dritte Begegnung mit dem Zwerg an und .... hast du vergessen, was danach passiert?"

Es stimmt. Das hatte ich beim Baden in meinem Selbstmitleid total vergessen! Nach der dritten Begegnung mit dem Zwerg würde ich Marcus wiedersehen und zwar als Menschen, der sein Bärenkleid ablegte. Ich sprang voller Elan auf und kämmte mir mein immer noch blondes langes Haar, ich hatte fünf Kilo abgenommen, seitdem ich hier war, man sah es im Gesicht. Mein schönstes Kleid aus dem Schrank gezogen – sie sahen alle gleich aus – stieg mir die Röte freudevoller Erwartung ins Gesicht. „Wie sehe ich aus?"

Diesmal rollte Rosenrot mit den Augen. „Ähm. Ehrlich jetzt? Du bist di...die, das, der, der beste Schneeweißchen-Ersatz, den ich mir je vorstellen könnte, und dein Prinz kann stolz auf dich sein!"

„Da hast du aber gerade nochmal die Kurve gekriegt", knuffte ich sie sanft in die Seite. Wir hakten uns unter und ein Liedchen trällernd führte uns unser Weg am Zwerg vorbei in die Stadt. Diesen befreiten wir aus den Fängen des Adlers um dann im Ort Garn und Borten einzukaufen, wie unsere Mutter es uns aufgetragen hatte.

Auf dem Rückweg aus der Stadt, als die Sonne sich schon langsam verabschiedete, trafen wir noch einmal auf den Zwerg, der seine Schätze betrachtete. Es funkelte tatsächlich unheimlich schön und so blieben wir stehen um ein Auge darauf zu werfen.

„Nabend,Herr Zwerg! Die Auslage schaut gut aus!", bemühte ich mich um etwas Freundlichkeit in meiner Stimme.

„Ohhhh,du! Ziege! Starr nicht so oder ich...", zeterte der kleine Mann, bis sein Gesicht einen dunkelroten Farbton annahm. Aus einem Gebüsch sprang der Bär mit einem Satz auf den Zwerg und zerriss ihn mit Maul und Tatzen in der Luft. Der Zwerg stieß einen gellenden Schrei aus und sein Blut spritzte überall hin. Es war leider nicht so harmlos wie in den Büchern der Gebrüder Grimm zu lesen.

„Ist das immer so grausam?", frage ich Rosenrot entsetzt. Sie nickte.„Na, dann weiß ich jetzt, warum der Zwerg immer so schlechte Laune hat", senkte ich meinen Blick zu Boden um mir das Massaker nicht weiter ansehen zu müssen.

Ein Schatten fiel auf mich. Eine Hand griff an mein Kinn und lenkte meinen Blick auf ein paar Augen, die mir so vertraut waren. Marcus hatte sein Bärenkleid abgelegt und stand ganz in gold gekleidet vor mir. Er bedachte mich mit einem sehnsüchtigen Blick. "Ich bin eines Königs Sohn," sprach er, "und war von dem gottlosen Zwerg, der mir meine Schätze gestohlen hatte, verwünscht als ein wilder Bär in dem Walde zu laufen, bis ich durch seinen Tod erlöst würde. Jetzt hat er seine wohlverdiente Strafe empfangen." Er zog mich an seine Brust und wieder waren wir spontan nicht allein. Alle aus diesem Landstrich, die es irgendwie möglich machen konnten, waren erschienen und umringten uns um die Auswirkungen des Kusses der wahren Liebe zu sehen.

„Nur, dass du es weißt: Ich möchte weiterhin die Brust und den Bauch so gekrault haben, wie du es beim Bären getan hast, auch, wenn ich jetzt weniger Pelz trage", pressten sich seine Lippen hingebungsvoll auf meine und das weiße Licht war so hell, dass alle ihre Sonnenbrillen herauszogen oder sich die Augen bedeckten. Ein lautes „Ah!" machte die Runde.

Als wir dem zweiten Kuss etwas mehr Feuer verliehen, schob auch dieser explosionsartig die wahre Liebe in jeden Winkel dieser Region. Und ich, ich wurde doch tatsächlich ohnmächtig von seiner berauschenden Wirkung auf meinen Körper. 

The Doctoress - Märchen-Haft (10)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt