Kapitel 11

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Barbara seufzte. „Es tut mir wirklich leid, dass du hier gelandet bist. Ich bin leider nicht ganz so zielsicher, wenn es um den Transport von Menschen geht." Völlig außer sich trat Barbara in mein Verließ.

Ich rappelte mich hoch und betrachtete mich. Ich trug nichts außer einer leinenen Chemise, die total verdreckt war. „Ja, schon gut", murmelte ich. „Wie geht's weiter?"

„König Drosselbart ist das nächste Märchen. Allerdings....", druckste sie herum.

„Was?", sah ich sie ungläubig an.

„Allerdings wirkt das Mittel nicht mehr, dass wir Marcus gegeben haben und deswegen werdet ihr die Rollen tauschen. Diesmal wirst du diejenige sein, der wir es geben und er wird arbeiten müssen." Sie zog die Augenbrauen zusammen.

„Das muss ich erstmal sacken lassen." Wir saßen einige Minuten schweigend da, während mein Kopf nicht schwieg. Die Rettung des Märchenlandes war eine Sache. Marcus zu vergessen eine andere. Wollte ich das? Konnte ich dass? Sollte ich das? Andererseits: Er war dazu bereit gewesen, unsere Liebe schien stark und wahr, also, was sollte passieren?

„Und?", fragte sie vorsichtig.

„Ja, natürlich mache ich es."

Barbara nickte zufrieden. „Na, dann wollen wir mal deine Verwandlung in Angriff nehmen."

Wenig später saß ich in einer hölzernen Badewanne, während im Nebenzimmer Kleidung für mich herausgesucht wurde. Einen alten Bekannten – den Frisör – traf ich auch wieder. Er zog das Schwarz aus den Haaren und zurück blieb ein Kupferton, den er mit einer leichten Tönung etwas verstärkte. Er drehte ein paar Locken und flocht ein paar Zöpfe, die er kunstvoll miteinander verband. Alsbald stand ich in einem mattgrünen Samtkleid mit goldenen Bordüren vor dem Spiegel und erkannte mich selbst nicht wieder. Also dann. Auf ins neue Märchen. Doch vorher noch eine Dosis Vergessen...

Mein Vater gab einen Ball für mich in der Hoffnung einen Freier zu finden. Er hatte Könige, Fürsten und Narren eingeladen, die allesamt meine Schönheit bestaunten. Tatsächlich strotze ich vor Selbstbewusstsein und das Gefühl fühlte sich irgendwie verkehrt an. Doch als ich an ihnen entlang schritt und in ihre Gesichter blickte und auf ihre dicken Bäuche, Zahnstocher-Beine, Segelohren und Narbenwangen drehte sich mir der Magen um.

Vor einem hochgewachsenen Prinzen mit zugegeben guter Statur, dunklem Haar und stahlenden blauen Augen blieb ich stehen. Sein Kinn....Sein Kinn war so: „Und ihr, ihr habt ein Kinn, wie die Drossel einen Schnabel", sah ich ihn geringschätzig an und der Ball war für mich so was von gelaufen, dass ich mich nicht mehr amüsieren konnte und lieber zu Bett ging. Mein Vater war so sauer, dass er schwor mir den erst besten Bettler zum Mann zu geben. Doch darüber konnte ich nur lachen. Und es fühlte sich alles so surreal und falsch an, als ob nicht ich es wäre. Dennoch sprudelten seltsame Worte aus mir heraus, als würde ich den Text eines Theaterstücks rezitieren.

Einen Tag später hörte ich Musik auf dem Hof des Schlosses und öffnete ein Fenster um hinauszusehen. Ein Spielmann war dort und musizierte um sich etwas Geld zu verdienen. Nicht nur ich hatte ihn bemerkt. Ein Diener holte ihn ins Haus. Ich musste unbedingt wissen, was dort geschah, und eilte hinunter in das Arbeitszimmer meines Vaters, in das der Spielmann geführt worden war.

„Ah, du kommst genau recht, Tochter", sah er mich streng an und ehe ich es mich versah, machte er sein Versprechen wahr und ich war die Frau eines Spielmannes. Er war arm, schmutzig und außerdem musste er hässlich wie die Nacht sein, denn sein Haar hing ihm ins Gesicht, genauso wie die Kapuze seiner Kleidung.

„Ich habe es dir gesagt und nun viel Spaß mit deinem Mann", setzte mich mein Vater vor die Tür mit nichts, außer dem Kleid, dass ich am Leib trug. Ein hellblaues spitzeverziertes Seidenkleid, in dem ich in der Nacht sicher frieren würde.

Grob zerrte mich der Spielmann aus dem Schloss und marschierte mit mir den ganzen Tag durch die Lande. Er sagte nichts, grummelte nur vor sich hin, weil ich die ganze Zeit zeterte. Wir kamen an einem schönen Wald, den saftigsten Wiesen und einer großen Stadt vorbei, die alledem König gehörten, dem ich den Namen Drosselbart gegeben hatte. Mein Kleid hing mittlerweile in Fetzen. Die Schuhe hatte ich fortgeworfen, weil sie dem Marsch nicht trotzen konnten. Ich wollte so gerne aufbegehren, doch war ich zu geschockt und glaubte immer noch, dass dies ein Traum war, ein Alptraum.

An einem Holzverschlag hielt er inne. Die Bezeichnung Hütte hatte es nicht verdient. Morsch und gammelig, mit Löchern im Dach war diese Bretterbude. Mit verschränkten Armen weigerte ich mich die Unterkunft zu betreten. „Da bekommt mich niemand hinein. Das ist einer Prinzessin nicht würdig", schnaubte ich.

„Gut, dann bleib doch draußen", zuckte der Spielmann nur leicht mit den Schultern. Wie auf sein Kommando begann es zu regnen und ich suchte dann doch Schutz in der Hütte. Nach Dienern suchte ich hier vergeblich. Da saß ich nun in dieser kargen Hütte und beweinte mein Schicksal bis in den Schlaf. Am nächsten Tag wurde ich früh von dem Strohlager gescheucht, auf dem ich die Nacht verbracht hatte. Er hieß mich Körbe flechten, doch dafür taugte ich nicht. Er hieß mich töpfern, doch dafür taugte ich auch nicht. Und am Abend saß ich wieder da und beweinte mein Schicksal mit einem leeren Bauch.

Tags darauf schickte er mich in die Stadt zum Verkaufen von angefertigtem Geschirr und die Leute kauften mit den Worten: „Wen haben wir denn da? Ist das die Ersatz-Prinzessin? Naja, hübsch ist was anderes. Ich hab Mitleid mit dir." Mitleid? Als ich am Mittag nach Hause ging, weil alles verkauft war, beweinte ich mein Schicksal, in den Taschen gerade so viel Geld, dass es für zwei, drei Mahlzeiten reichen würde. Am Nachmittag ging ich noch einmal los mit weiteren Töpfen, die ich zum Verkauf feil bot, doch ein wilder Husar ritt sie nieder. Und am Abend saß ich da und beweinte mein Schicksal, wusste, was Hunger bedeutete, und stank wie die Pest.

Konnte ich eigentlich auch noch etwas anderes als mein Schicksal zu beweinen?

The Doctoress - Märchen-Haft (10)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt