Kapitel 10

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Alles in allem waren die Zwerge dann doch nicht so lüstern wie erwartet. Wenn sie abends aus der Mine kamen, waren sie meist so zerschlagen, dass sie nur noch etwas aßen, sich wuschen und dann ins Bett fielen. Doch am Wochende, da wurde gesoffen. Ich hatte das Zwergenheim gut eingeheizt und es war blitz und blank. Samstags arbeiteten die Zwerge im Wald und schafften Holz zum Heizen heran. Gegen Mittag beendeten sie ihre Arbeit, hielten ein ausgedehntes Nickerchen und machten sich dann hübsch um in geselliger Runde ihr „Zwergenblut" zu verkosten. Es handelte sich dabei um einen Erdbeer-Met, der abwechselnd mit Bier, die Zwergenkehlen hinunter wanderte.

„Na, Schneewittchen? Hat sich noch keiner blicken lassen um dich zu vergiften, hm?", brummte der Alte nachdenklich.

„Leider nein, dabei haben wir es doch so eilig." Mein Seufzen war echt.

„Ich find's gut, so haben wir länger was von dir", zog mich der Große ruppig in seine Arme.

„Wie werde ich das vermissen!", nahm ich einen großen Schluck.

Die Zwerge lachten rauh.

Nachdem sie am Sonntag morgen ihren Suff ausgeschlafen hatten, schickten sie sich am Nachmittag an ins nahegelegene Dorf zu gehen um ihre Vorräte aufzufüllen und ein paar Edelsteine zu verscherbeln. Also war ich allein und das war auch gut so. So viele Zwerge auf einen Haufen waren schon echt eine harte Nummer.

Von draußen hörte ich eine alte, kratzende Stimme: „Doctoress....ähm... Schneewittchen? Bist du da? Ich komme mit dem Schnürriemen."

Als ich die Tür des kleinen Häuschens öffnete, stand sie da und ich erkannte sie wirklich nicht wieder. Wie eine alternde Krämerin sah sie aus. „Ah, endlich kommt Bewegung in die Geschichte. Lass es uns gleich hinter uns bringen. Was hast du im Korb?"

„Nicht viel. Ich hab heute nur einen Schnürriemen mitgebracht um die Sache zu beschleunigen. Nicht, dass du noch stundenlang brauchst um eine Auswahl zu treffen wie das originale Schneewittchen", rollte sie mit den Augen.

Während sie den Riemen um meine Mitte legte, fragte ich sie: „War der Spiegel brav?"

Sie lachte kurz auf. „Diskutieren wollte er. Aber ich hab ihm gedroht ihn zu zersplittern. Da wandte sich seine Ansicht." Sie zog den Gürtel enger und schon jetzt bekam ich keine Luft mehr. „Meine Güte! Ich hätte doch eine Nummer größer nehmen sollen, was?", sah sie mich entsetzt an.

„Geht...schon..", keuchte ich und war der Ohnmacht schon nahe. Plumps!

„Wenn wir wollten, könnten wir...", grinste Rotbart dämlich.

„Nichts da. Auch wir Zwerge haben Ehre", wies ihn der Alte zurecht und zerrte an dem Riemen um ihn gänzlich zu lösen. Mit einem lauten Japsen nach Luft kam ich wieder zu mir.

„Meine Herren, ist das anstrengend. Weiß eigentlich jemand, was man Schneewittchen immer zumutet damit? Gibt es hier im Märchenland eine Gewerkschaft? Sie sollte dringend eintreten." Ich rappelte mich auf.

„Eine Gewerkschaft?! Das ist ein sehr interessanter Gedanke." Barbara ploppte im Szenario auf. „Ich habe eine wichtige Information der Regierung für euch und weiß, dass ihr kein Telefon hier draußen habt."

„Das ist gut für dich. Dann sag uns mal schnell, was los ist", forderte sie der besonders dicke Zwerg auf.

„Es ist Eile geboten. Wir haben die Situation verkehrt eingeschätzt. An den Rändern des Westens unseres Landes, beginnt sich alles aufzulösen. Wir werden noch heute Abend den Kamm und den Apfel durchziehen müssen, damit der Prinz morgen erscheinen kann und die Liebesbombe hochgeht", informierte sie uns, was die Zwerge wieder lüstern grinsen ließ.

The Doctoress - Märchen-Haft (10)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt