Kapitel 3

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„In dreihundert Metern rechts abbiegen", verkündete die Stimme aus dem Smartphone und ich stapfte über das weiche, saftig, grüne Moos, das hier den ganzen Boden bedeckte, leise vor mich hinfluchend, wie eine echte Hexe. Mein schönes Kleid hatte bereits einen enormen Dreckrand, als ich die Stelle erreichte, an der ich abbiegen sollte. Das Telefon schwieg. „Und nun?", brüllte ich es an.

„Kannst du auch in einem normalen Tonfall mit mir reden?", erschien ein Gesicht auf dem Display. „Ich hasse es, wenn ich angebrüllt werde!", zwängte sich etwas aus der Schale des Telefons. *plopp* wurde das, was sich heraus gezwängt hatte, etwas größer. Vor mir schwebte eine männliche Fee mit lila-schimmernden Flügeln, ein hübsches kleines Ding, mit sehr spitzen Zähnen, nicht größer als eine Klopapierrolle. Ich war sprachlos.

Er seufzte schwer, als er mich betrachtete. „Und du sollst die Rettung der wahren Liebe sein? Ist ja nicht zu fassen, was Herr Schicksal sich da ausgedacht hat. Dem Anstand halber will ich mich mal vorstellen. Ich bin Grumpy Flew – ja, genau das ist mein Name und Brunhilde hat mich extra für dich ausgesucht als Helferlein, weil ich mich hier auskenne." Grumpy verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich angewidert an.

„Ja, ähm, das finde ich sehr nett von Brunhilde", achtete ich genau auf meine Worte. „Und sehr nett von dir, dass du mir hilfst. Ich entschuldige mich selbstverständlich für das Anbrüllen."

„Soso, na dann wollen wir unsere Reise mal fortsetzten", schnipste Grumpy mit dem Finger und befand sich wieder im Telefon. „Hüpfen sie dreimal auf dem rechten Bein und drehen sich dann einmal im Kreis."

„Ehrlich jetzt?", sah ich ihn im Display an.

Er verdeckte die Augen mit den Händen. „Also, wie dumm bist du eigentlich. Natürlich nicht. Du musst viermal auf dem rechten Bein hüpfen", meinte er bierernst.

„Grumpy?!", knöterte ich.

„So ist mein Name", kicherte er böse.

Eine Stunde Fußmarsch später erreichte ich Snyderleins Haus abgeschlagen am Rande eines kleinen, mittelalterlich anmutenden Dorfes mit Kopfsteinpflaster-Straße und Fachwerkhäusern.

„Komm herein, wenn's kein Schneider ist", tönte es leise kichernd von drinnen, als ich klopfte. Ich trat ein und erblickte das dürre Männlein im Schneidersitz auf dem Tisch sitzend, eine Näharbeit in den Händen, wie er die Nadel eifrig durch den Stoffbruch schob und den Arm mit dem langen Faden in die Höhe reckte. „Ach, du bist es. Ich hab schon gewartet", wedelte er ein paar Fliegen fort, die sein Marmeladenbrot anvisiert hatten. „Du kannst auf der Bank am Ofen schlafen. Ich habe dort schon Kissen und Zudeck hingelegt. Wenn ich mit dem Wams hier fertig bin, essen wir und besprechen uns." Jetzt sah er doch kurz auf. „Uh und du brauchst dringend was passendes zum Anziehen. Sonst fällst du als Ausländerin hier auf wie der bunte Hund!" Er deutete auf einen Nebenraum. „Kleiderkammer. Schau, ob du da was passendes findest."

„Ok. Vielen Dank!", begab ich mich zu besagter Tür. Nach einigem Anprobieren und Durchwühlen, trug ich ein weißes Unterkleid mit Karree-Ausschnitt und dezenten Puffärmeln, die mich noch breiter erschienen ließen, als ich war, einen dunkelblauen Rock und ein ebenso dunkelblaues Mieder, das geradeso zuging. An einem schmalen Gürtel befestigte ich ein paar Stoffsäckchen. In einem davon verschwand das mPhone.

„Ja, sieht schon besser aus." Snyderlein hatte es sich auf einem Stuhl bequem gemacht und aß sein Marmeladenbrot. Er wies auf einen Brotlaib und daneben stehende Butter, Marmelade und Wurst. „Nimm dir. Du hast bestimmt Hunger." Mein Magen bestätigte diese Aussage.

„So, Brunhilde hat mir ein Talegramm geschickt. Du sollst dich in die wichtigsten Märchen begeben um dort die wahre Liebe wieder zu verbreiten, wie einen Virus. Ich fürchte, das wird nix ohne deinen Freund, der ja eingesperrt ist. Brunhilde managt da gerade was, aber es kann sein, dass es dir nicht gefällt", biss er genüsslich in sein Brot.

The Doctoress - Märchen-Haft (10)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt