Kapitel 12

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„Du bist aber auch zu nichts zu gebrauchen. Vewöhnt bis unters Dach, keine Arbeit gewohnt! Na, da habe ich ja einen guten Fang gemacht", maßregelte mich mein Mann und versetzte meinem Herzen einen Stoß. „Na, ich will mal nicht so sein. Ich hab ja schon gemerkt, dass du zu nichts zu gebrauchen bist, also war ich im Schloß und sie können eine Dienstmagd brauchen. Du wirst dort morgen hingehen. Und sieh zu, dass du gewaschen bist", rümpfte er die Nase und warf mir ein Stück Brot zu, dass ich gierig verschlang.

Wie konnte er nur so gemein sein! Immerhin war ich eine Prinzessin aus gutem Hause. Ich war zerlumpt und schmutzig, von meiner Schönheit nichts mehr zu sehen, ich hungerte und schlief im Stroh und niemand liebte mich! Moment, was war das für ein Gefühl in mir? Als ich ihn verstohlen von der Seite betrachtete, arbeitete es in mir. Ich hatte das Gefühl ihn zu kennen. Doch woher? Und dieses Gefühl war so warm und...öhm... noch etwas anders geartet. Warum versuchten meine Augen einen Flecken nackter Haus zu entdecken?

„Warum starrst du mich so an?", ertappte er mich und sein Gesicht zeigte amüsiertes Entsetzen.

„Öhm, tut mir leid. Mir war gerade nur so...", versuchte ich auszuweichen.

„Wie?", hakte er nach und biss genüsslich in einen Apfel, den ich noch nicht einmal angefasst hätte.

Die Röte kroch mir ins Gesicht. „Lassen wir das bitte."

In den letzen Strahlen der Abendsonne gingen wir zum Fluss, er entkleidete sich und stieg ins Wasser. Ich...puh...mir wurde so warm und das, obwohl ich nur seine Kehrseite sah. War das ein Lächeln in seinem Gesicht? Warum blitzen die Augen so blau? Als er aus dem Fluss zurückkam, drehte ich mich weg, was ihn rauchig kichern ließ. „Oh holde Jungfer so zart? Noch nie gesehen einen Mann mit Bart?" machte er sich einen Joke daraus mich aufzuziehen. „Jetzt du!", forderte er mich auf, nachdem er sich wieder angekleidet hatte.

„Nicht, solange du hier bist", fauchte ich stolz zurück.

„Ich bin dein Mann, vergiss das nicht. Du gehörst quasi mir. Und ich könnte noch viele andere Dinge von dir verlangen. Aber ich will mal nicht so sein", raunte er in mein Ohr, zog aber von dannen, verschmitzt grinsend und mir fest an den Po greifend.

Als ich mir sicher war, dass er außer Reichweite war, stieg ich in den See und meinte selbst die Fische lachen zu hören. Was für eine dumme Gans ich doch war!

Die Arbeit als Küchenmagd war hart und schmutzig. Doch zum Glück bekam ich neue Kleidung, in der es sich bequemer arbeiten ließ als in einem zerfetzten Seidenkleid. Zudem durfte ich nur die blödesten Arbeiten verrichten, die keiner wollte. Doch am Abend, als fast alle Arbeit getan war, befestigte ich mir zwei Töpfe mit Resten an meinem Gürtel, damit wir wenigstens eine Mahlzeit hatten. Im Schloss wurde heute ein Ball gegeben. Das erinnerte mich an alte Zeiten, die noch nicht lange her waren, sich aber so anfühlten, als ob es eine Ewigkeit wäre. Verstohlen schlich ich mich an eine Tür um nur einen Blick in den Ballsaal zu werfen...

„Du weißt, dass du hier nichts zu suchen hast?", sprach mich jemand von hinten an und als ich mich umdrehte, sah ich, dass es der König Drosselbart war, den ich so aufgezogen hatte. Autsch! Hoffentlich erkannte der mich nicht. Hätte ich ihn genommen, wäre ich jetzt die Frau an seiner Seite und würde mich mit ihm im Tanz drehen. Doch so, war ich die Frau eines Bettlers, der nichts zu Essen hatte, wenn ich nicht bald nach Hause kam. Die Frau eines Bettlers, der mir sein letzte Stück Brot gab. Die Frau eines Bettlers, dessen Kehrseite so unheimlich.... „Wenn du schon hier bist, tanz mit mir", zog er mich in den Ballsaal und dabei fielen die Töpfe zu Boden. Alle – ausnahmslos alle – lachten mich aus. Ich wollte vor Scham im Erdboden versinken. So war es also, wenn man ausgelacht wurde, anstatt es selbst zu tun. Ich hob die Hände ins Gesicht und stürzte mit Entsetzen aus dem Raum. Ruckartig wurde ich gebremst, als König Drosselbart meine Hand festhielt.

„Nun, mal langsam, junge Dame", kam er mir immer näher und presste mich an eine Wand um mich am Weglaufen zu hindern. Warum fühlte sich das so gut und so vertraut an? Warum meinte ich mich an jede Pore seines Gesichts erinnern zu können? Warum war mir sein Geruch so vertraut? Und warum um Himmels willen verspürte ich den Drang ihn zu küssen?

„Der Spielmann und ich sind eins. Wenn du willst beweise ich es dir..."

„Wie willst du das wohl tun?", wunderte ich mich. Sie sahen so unterschiedlich aus. Sauber und dreckig, adrett versus mit Lumpen gekleidet, langes Wuschelhaar contra ordentlich gekämmt. Doch jetzt wo ich genauer hinschaute: beide braunes Haar, beide denselben Bart, beide die gleiche Größe und diese Augen...puh! Ich schluckte trocken. Denn ich sah die Unendlichkeit in ihnen.

Er zog mich in eine kleine Abstellkammer und verschloss die Tür. Begann sich die Jacke und das Hemd auszuziehen.

„Stopp!!! Das reicht. Ich glaub dir ja", bebte ich keusch, hyperventilierte und dann lag mir auf der Zunge. „Schenkelberg, wir sind allein." Meine Erinnerung war wieder da, tutti kompletti. Von jetzt auf sofort.

Er kam zu mir und nahm mich eine gefühlte Ewigkeit in die Arme, meinen Kopf in seine Halsbeuge gebettet. „Du weißt, wonach mir gerade der Sinn steht, Doctoress?" nuschelte er. „Und dass es mich enorme Selbstbeherrschung kostet es nicht zu tun? Gerade, wo wir beide hier im Märchenland verheiratet sind..."

„Contenance, Schenkelberg, Contenance. Gönnen wir uns diese paar Minuten, bis sie uns wieder auseinander reißen. Sofern sich unsere Lippen auch nur annähern, ist es binnen weniger Sekunden vorbei mir der Zweisamkeit."

Er stöhnte. „Ich weiß, Baby."

Und dann packte es uns. Wie zwei Irre fielen wir übereinander her. Schluss mit Contenance. Das weiße Licht umhüllte uns wie ein Sichtschutz. Eine Knutscherei sondergleichen. Ich erschrak kurz als er fest an meinen Hintern griff und mich zu sich heranzog. Das weiße Licht wurde abgelöst von der roten Detonation, die selbst das Glas der Fenster sprengte.

„Tztztz. Euch kann man aber auch nicht alleine lassen. Jetzt ist aber mal Schluss. Ich glaube eure Liebe hat das Verfallsdatum schon überschritten. Wenn ihr hier fertig seid, solltet ihr euch mal dringend um euch kümmern", rollte Barbara mit den Augen und schnipste uns in verschiedene Richtungen.  

The Doctoress - Märchen-Haft (10)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt