Kapitel 9

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Das war's, nichts war echt, nichts war wahr. Aber wenn nichts wahr war, gab es dann nur Lügen auf der Welt? Auf jedem erdenklichen Land?

Sie hatte keine Zeit darüber nachzudenken, sie wünschte allerdings sie hätte sie gehabt. Es war wie ein riesengroßes Loch in ihrem Kopf, was mit jeder Frage größer und immer tiefer wurde. Sie versuchte es zuzuschaufeln, aber ohne Antworten fand sie keinen Sand.

"Viel Spaß in der Schule! Zuni benimme dich verdammt nochmal und Norik, passe ein bisschen auf deine große Schwester auf, damit sie keine Dummheiten anstellt!", drang die Stimme ihrer neuen, richtigen Mutter aus ihrer gedanklichen Sandgrube zu ihr vor.

Norik schnaubte verächtlich und verdrehte sichtlich angestrengt die Augen:
"Jaaaahaaa, na klar mache ich das!"
Damit schlug er die Haustür hinter ihnen zu.

Zuni hatte, nachdem sie Norik in seinem Zimmer überfallen, ihm ihr Vorhaben eröffnet und er sich dann seine Hand an die Stirn geklatscht hatte, sich endlich umziehen können. Norik hatte sie zurück in ihr Zimmer gebracht, weil er darauf bestanden hatte, sich kurz hinzulegen und Mum zu bitten sie heute von der Schule zu befreien, aber sie hatte ihm erneut noch einmal genervt beteuert wie gut es ihr ginge und dass sie die heutige Schule auf keinen Fall verpassen wollte. Also hatte er ihr seufzend einen Kleiderstapel aus der Kommode in die Hand gedrückt und war dann grinsend aus dem Zimmer geflüchtet.

Nun trug sie eine blaue Jeans -wie Norik sie nannte-, ein rotes T-Shirt - ebenfalls ein neuer Begriff- und ebenfalls rote Schuhe, Sneaker - in Norikischer Sprache. Ihre dunklen Haare waren noch immer so zottelig, wie nach dem Haare kämmen auch, da sie sich nicht getraut hatte Norik nach einer anderen Bürste zu fragen. Also war sie nach Noriks Anweisung und Beschreibung in einen Raum namens Garderobe gewandert und dort dazu beauftragt worden, genau da auf ihn zu warten.

Erschreckenderweise war er ohne sein neckisches Grinsen zurückgekehrt, sondern hatte laut durch die ganze Wohnung gebrüllt:

"Da waren Haare an meiner Zahnbürste! Wer hat sich denn damit seine haarigen Beißerchen geputzt?!"
Zuni war verlegen rot geworden und hatte ihre eigenen Beißerchen zusammengebissen, um bloß nichts auffälliges zu sagen.
Norik hatte lautstark fluchend Zuni ihre Jacke vom Ständer zugesteckt und sich schließlich seine eigene grob über den Körper gezogen.

Als er die Tür aufgerissen hatte, wäre sie fast aus allen Wolken gefallen. Sie wohnten in einer riesigen... Stadt. Die Kopfsteinplasterstraße, vor ihrem einfachen, weiß gestrichenen Haus, war an einigen Stellen stark beschädigt und von einigen Gasthäusern und Lokalen umgeben. Fußgänger würdigten sie keines Blickes und nicht eine einzige Kutsche, oder Reiter waren in Sicht. Wurde in diesem Ort denn gar kein Verkehr, oder Handel betrieben?

Norik polterte die wenigen Stufen vor der Haustür herunter und bog scharf rechts zur Hauswand ab. Denn dort standen zwei... Was zur Hölle war das?
Norik musste die Frage aus ihren Augen abgelesen haben, da er schon wieder anfangen musste, aus heiterem Himmel zu grinsen.

"Das nennt man Fahrrad.", erklärte er optimistisch. "F, A, H...", fing er langsam an zu buchstabieren, aber sie hörte schon lang nicht mehr zu. Stattdessen konnte sie nur auf die roten Gerüste starren, die dort angelehnt an der Wand standen. Sie hatten jeweils zwei kleine Räder und ein schwarzes längliches Polster vor einer gebogenen mal silber gewesenen Stange.

Norik faltete seine Hände zusammen und streckte sie gelangweilt von sich, um sich zu dehnen. Sie gaben sofort ein leises Knacken von sich, wobei sich eine unangenehme Seite in Zuni anfing zu regen und winden.

"Nachdem wir das nun geklärt hätten, können wir dann los? Wir werden höchstwahrscheinlich schon mit keiner geringen Verspätung eintreffen und ich denke nicht, dass Miss Ambria so begeistert davon sein wird...", beschloss Norik gähnend, mit noch müden Augen und verschlafender Stimme.

Der Traum des Lebens | PAUSIERTWo Geschichten leben. Entdecke jetzt