Kapitel 11

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Grau. Weiß. Grau. Weiß. Silber. Grau. Weiß...
Sie wusste nicht mehr wie viel Zeit vergangen war, seitdem Norik sie hatte einfach stehenlassen und sie so Wut entbrannt gewesen war, dass sie fast das ganze Schulhaus unter ihrem tosenden Schrei in Fundament und Asche zurückgelassen hatte.

Ihre Schritte auf dem blank polierten Boden waren mit jedem Raum in den sie ein und ausgegangen war, immer kleiner geworden. Einen Menschen hatte sie schon lange nicht mehr entdecken können und die Wände der dunklen Flure offenbarten Punkte und Sterne vor ihren Augen.
Wenn sie blinzelte wurden es immer mehr und mehr. Mit der Zeit musste sie wie ein Betrunkener durch's Schulhaus wanken!
Wie passend, dass sie sich sogar genau wie solch einer fühlte!

Sie hatte das Gefühl, die ganze Zeit nur im Kreis zu laufen. Immer zwischen nur fünf oder sechs Räumen hin und her.

Sie konnte einfach nicht mehr! Ihre Schritte wurden in einem ihr ebenfalls sehr bekannt vorkommenden Raum immer langsamer, bis die Mühe einfach keinen Wert mehr hatte und sie neben den nächsten Schließfächer zum Stehen kam.

Sie schleppte sich zu diesen hinüber und lehnte sich an ein stark beschädigtes Fach auf ungefährer Kopfhöhe mit der Nummer 3047. Es hatte eine mit Beulen versehene Tür und Einritzungen in das stark zerkratzte Metall.
Bei näherem Hinsehen konnte man ein groß geschriebenes Herz mit der Inschrift N+C erkennen. Wer war denn so liebeskrank, dort seine große Liebe preiszugeben?

Zuni fuhr mit einem Finger über die Eingravierung und vermied es ihre Gedanken zu ihrem Mann davonschweben zu lassen. Sie hatte ihn geliebt, so sehr ge...

Ein lauter Knall hallte von den Wänden, durch die Flure und vom Treppenhaus wieder. Ein Mensch! Dort war ein waschechter, lebender Mensch! Vielleicht wusste er ja, wohin sie musste und konnte ihr weiterhelfen!

Zuni fuhr erwartungsvoll herum, als sich Schritte näherten. Sie waren schon jetzt nicht mehr weit entfernt, vielleicht ein, oder zwei Räume weiter. Sie folgten in einem schnellen undurchdringbaren Takt und waren eindeutig nicht zu überhören. Derjenige musste ein rasendes Tempo draufhaben und ziemlich gestresst sein, wenn er so durch die Gänge bretterte.

In blitzschneller Geschwindigkeit, sah sie eine schwarze Schuhspitze um die Ecke huschen. Beim nächsten Schlag, kam ein kräftiges Bein in einer schwarz verblichenen, locker ansitzenden Jeans dazu und am Ende des Taktes eine orange farbene, offene Jacke mit einem einfachen dunkelblauen Shirt darunter zum Vorschein.

Erschrocken blieb der schwarzhaarige junge Mann am Ende des Flurs stehen.
Für einen Moment trat die Panik in sein ausdrucksloses Gesicht und spannte seinen Körper sichtlich an.
Schon von weitem, hatte sie mehr als großen Respekt vor ihm. Er war sogar noch größer gewachsen, als Norik und sah nicht gerade schwach, oder wehrlos aus. Wenn man ihm zu Nahe trat, konnte es schon durchaus vorkommen, mit einem blauen Auge davonzueilen.

Sofort quälte sie das unerträgliche Bedürfnis sich an ihre linke Gesichtshälfte zu fassen, wo dieses geschwollene Mal rumohrte. War sie etwa wirklich so sturz bescheuert gewesen, sich mit diesem Typen zu raufen?!

Der Fremde löste sich aus seiner Starre und kam bedrohlich auf sie zu.
Nun war es an ihr die Augen panisch aufzureißen. Ohne das geringste Anzeichen von Zögern, setzte er seine festen Schritte auf den glatten Fußboden und pirschte näher an sie heran.

Und mit jedem konnte sie ihn besser erkennen und deuten:
Seine kurzen schwarzen Haare glänzten bläulich in dem schwachen Licht des Flurs und seine harten Gesichtszüge gaben pure Kraft wieder. Umso näher er kam, umso größer wurde er und gewaltiger sah er aus.

Abrupt blieb er vor ihr stehen. Seine grauen Augen, die an einen bewölkten Nachthimmel erinnerten, musterten sie eindringlich, fast unberührt.

Sein Mund zeigte keine Regung, kein Lächeln, Grinsen, oder Verzug. Er war nur eine steife, erbarmungslos harte Linie.

Der Traum des Lebens | PAUSIERTWo Geschichten leben. Entdecke jetzt