Kapitel 17

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Es gab kein Entkommen. Weder für ihn, noch für Zuni, oder das Schicksal. Hatte man überhaupt eine Wahl? Hatte er jemals eine andere gehabt, außer der, ob er in Richtung Schicksal, oder der der Bestimmung laufen sollte? Den Wegpfeiler nach links oder rechts zu drehen war sinnlos? Kann man, denn überhaupt über sich selbst entscheiden, wenn die Zukunft es schon getan hatte? Was von alldem war bestimmt gewesen und was wurde endlich sich selbst überlassen? Was war verdient und was unrecht geschehen? Hatte das Schicksal selbst, eine Stichpunktliste für jeden verdammten Menschen, was in dieser Welt passieren sollte und was nicht? Stand es irgendwo in einer Ecke des Lebens mit einem Stift in der Hand und hakte all diejenigen ab, dessen Weg es bereits kannte? Entwarf es für jeden von Ihnen einen eigenen Plan, der in jedem Detail ausgekundschaftet war mit allen Höhen und Tiefen, Klippen und Abgründen? Waren ihm manche Personen völlig egal, deren Papier es in den natürlich getrennten Papiermülleimer neben sich schmiss? Er war sich selbst nicht sicher, was ihre Bestimmung war. Doch was er wusste war, dass gewiss nur einer von ihnen eine Karte bekommen hatte. Und, dass auf dieser sicher nicht sein eigener Name stand.

Das Pochen in ihrem Arm war so unerträglich, wie der aufbrausende Wind, der zu alles anderem, als einem verspielten Luftzug herangewachsen war

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Das Pochen in ihrem Arm war so unerträglich, wie der aufbrausende Wind, der zu alles anderem, als einem verspielten Luftzug herangewachsen war. Bedrückt wagte sie es nun tatsächlich einen Blick zu dem blauen Fleck auf ihrem bereits angeschwollenen Unterarm zu werfen, der mittlerweile sogar schon so dick behäutet war, dass man ihn auch für ihren Oberarm hätte halten können.

In diesem Moment war sie so furchtbar dankbar für diese letzten energieschöpfenden Strahlen der untergehenden Sonne, die obwohl sie mehrere Lichtjahre entfernt lag, ihr Gesicht noch mehr als genug erhellte. So wie Eddy, der es tatsächlich geschafft hatte ihre Sandgrube, wie der riesige Feuerball vor ihnen die Landschaft, um einiges zu belichten. Ruhig fühlte sie, wie sich die Lichtfunken in der Dunkelheit bewegten, an ihren Wänden kratzten, kurz verhaarten und schließlich wieder ihre eigenen Wege gingen. Zum ersten Mal in ihrem richtigen Leben, in der Realität, spürte sie so etwas wie Hoffnung. Hoffnungslicht, was sich langsam in ihrer Magengegend breit machte und begann jeden Raum zu erhellen. Das es tatsächlich schaffte, bis zum Grund des staubigen Sandes und noch tiefer vorzudringen und sich von ihm abstoß, wie auf den Boden prasselnde Regentropfen.

Auch diese würden angesichts der dunklen Wolken am Horizont und des warnenden Grummelns des Himmels, bald ihre Haut kühlen und somit die Pforten der Unendlichkeit öffnen.

Jeder von ihnen hatte seine Geheimnisse, ob sie nun in einem tiefen Brunnen auf der Lauer tigerten, in einer sandigen Grube zerstreut, oder als Licht in der Sonne gelagert waren.

Sie wusste nicht, was Larion dazu bewegt hatte, so verdammt töricht zu sein. Unvorsichtig. Idiotisch.

Hatte sie einfach so am Arm gepackt, wie ein Tier zur Schlachtbank, hatte sie auf sein grünes Gefährt gezerrt und war daraufhin einfach schwachköpfig abgefahren. Hatten alle Hoffnung und Antworten hinter sich gelassen und waren geflohen. Geflohen vor dem, was richtig gewesen sein könnte. Waren dem Licht entkommen, was ihr Gesicht hätte wärmen können und vielleicht das einzige war, das der Dunkelheit wiederstrebte.

Sie wusste nicht wie lange sie nun schon im Schutz der Bäume, dessen Kronen sich wie Arme über ihnen erstreckten sehnsüchtig der Sonne hinter dem großen Feld zu beiden Seiten entgegen blickten. Wusste nicht, wann die Sterne sich zwischen das aufkommende Gewitter geschoben hatten und wie viel Zeit schon vergangen war.

Larion hatte die ganze Fahrt lang geschwiegen, er schien kein Interesse daran zu haben, zu erklären was geschehen war. Was den Brunnen erschüttert hatte. Er schien ebenfalls so gedankenversunken wie sie selbst zu sein. Denn auch sie hatte kein Interesse an einem Gespräch. Hatte kein Bedürfnis nach diesem offensichtlichem Zielort zu fragen, der allen Anschein nach's weiter weg gelegen war, als zu diesem Zeitpunkt ihre Gedanken.

Dieser Mann vor ihr war ein Fremder. Ein Entführer. Schicksalsbrecher. Hoffnungszerstörer. Dieb. Ein eiskalter Brunnen.

Und er bedeutete ihr nichts. Er war ihr egal. Für sie hatte er kein Gesicht. Seine Existenz bestand nur aus einer einfachen steinharten Mauer. Und sobald sie das Ziel dieser spiegelglatten Straße, auf der sie schon einige Stunden kein Auto, oder jeglich anderes Fahrzeug gesehen hatten erreichten, würde sie ihn sowieso nie wieder sehen. Auch wenn sie sich dabei fragte, wie sie jemals wieder dieses Seil hinauf klettern könnte. Wie sie nur jemals in diese Situation geraten war. Aber gab es denn nicht immer einen Weg...?

Es startete so urplötzlich und schnell, wie es auch sein Ende gefunden hatte. Denn es begann mit einem fürchterlichem, unertragbaren, mehrfachen Quietschen, mehrerer Räder auf der betonierten Straße. So viele Lichter, strahlten so entschlossen in die Welt hinein, das sie sie sogar auf dem Sandgrund ihrer Gedanken selbst wiederfinden konnte:
Rotes, orangenes, weißes Leuchten... Dazwischen die letzten Strahlen der Sonne, mit den ersten schlagartigen Blitzen an den schwarzen Wolken am Horizont, dazu die letzte Warnung, der Ruf des ständig anhaltenden Grummelns des Himmels...
Panisch klammerte sie sich noch fester an Larions Bauch, als sie es zuvor schon getan hatte, sodass der vom einen auf den anderen Augenblick schweißnass geworden war, was ihrem eigenen Körper ebenfalls nicht anders ging.

Dann ein Knall, ein furchtbarer Laut, von dem sie wusste, dass sie ihn auch innerhalb einiger Wochen noch nicht vollständig vergessen haben könnte.

Und schließlich sah sie es, sah wie die Sonne sich vor dem Grauen versteckte und selbst die dunklen Massen am Horizont verstummten. Fühlte, wie der Wind seine Warnschreie einstellte und sich auf das gefasst machte, was sich gerade vor ihren Augen abspielte, fühlte wie er selbst gerade wahnsinnig froh war, dies nicht mitansehen zu müssen.

Sie erblickte ein kleines klapperndes rotes Gerüst, welches mit einem viel zu winzigen Geräusch, für diese wahnsinnige Katastrophe, auf den Boden prallte und dort in Millionen Teile zu zerschellen schien.

Beobachtete aus dem Augenwinkel eine Gestalt, wie sie blutüberströmt auf dem Pflaster aufschlug.
Ein kurzer braunhaariger Haarschopf über das blutrote sommersprossige Gesicht fallend, grinste sie sie unbeholfen von unten an.

Doch ob man nun Augen, Ohren, Gefühl oder Stimme hatte, jeder bemerkte, wie das hoffnungsschimmernde Strahlen inmitten des Staubs, des Sandes, der Fragen und nicht existierenden Antworten, erstarb.

Der Traum des Lebens | PAUSIERTWo Geschichten leben. Entdecke jetzt