Prey and Prayers

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»The mind can calculate,
but the spirit yearns,
and the heart knows
what the heart knows.«
– Stephen King


14. KAPITEL – PREY AND PRAYERS
HOGWARTS, 27.10.1941

Sie ging ihm aus dem Weg.

Ein Teil von Tom fand die ganze Situation irgendwie amüsant. Es bereitete ihm diabolisches Vergnügen, Irene Baker dabei zuzusehen, wie sie sich in seiner Gegenwart wie ein mickriger Wurm wand – zumindest in den seltenen Momenten, in denen er außerhalb des Klassenzimmers einen Blick von ihr erhaschen konnte. 

Es war jedenfalls unterhaltsam genug, sodass er sie manchmal einfach nur beobachtete: Wie ihre Augen in der Großen Halle sofort in eine andere Richtung huschten, jedes Mal, wenn sie zufällig seine eigenen trafen; wie sie den Kopf senkte, wenn sich ihre Pfade zwischen den Stunden in den Fluren kreuzten; wie sie eine komplette Kehrtwendung machte, wenn sie um die Ecke bog und ihn am anderen Ende des Korridors entdeckte (vor allem Letzteres entlockte Tom immer wieder ein schadenfrohes Lächeln).

Aber so amüsant es auch war, nach einer Woche ohne jegliche Fortschritte empfand Tom genauso sehr – wenn nicht sogar mehr –, dass es an der Zeit war, die schweren Geschütze aufzufahren und diesem kleinen Katz-und-Maus-Spiel ein für alle Mal ein Ende zu setzen. 

Er hatte soeben ein paar entliehene Bücher zurückgegeben, darunter auch jenes, welches besagte Maus ›versehentlich‹ aufgehoben hatte und bei dem ihm bis auf überflüssiges Geschwätz absolut nichts entgangen war. Auf seinem Rückweg passierte Tom Regal um Regal um Regal... und kam allmählich zum Stillstand. Seine stummen Beschimpfungen über hochtrabende, französische Philosophen verharrten zusammen mit seinen Füßen, als er sich wunderte, ob er sich die Gestalt eingebildet hatte, von der er glaubte, sie aus dem Augenwinkel wahrgenommen zu haben.

Tom trat ein paar Schritte zurück und spähte in einen der schmalen Seitengänge der Bibliothek. 

Es war nicht seine Vorstellungskraft gewesen. Dort stand sie, am anderen Ende des Ganges, allein, und balancierte einen Stapel Bücher auf ihrem linken Arm, während sie den Klappentext eines anderen Bandes las. 

Er musterte sie eindringlich, halb verdeckt von einem Regal. Sie schwankte kurz auf der Stelle, als sie sich ein lautes Gähnen verkniff – vergeblich – und ihr zerzaustes Haar, das sie mehr schlecht als recht im Nacken zusammengebunden hatte, glich einem Vogelnest, das von einer Sturmböe über den schmutzigen Boden gefegt worden war.

Etwas in Tom jubelte über die müde, miserable Figur, die sie abgab. Das Wissen, dass er es wirklich unter ihre Haut geschafft hatte – und in Kürze auch in ihren Kopf –, erfüllte ihn mit größter Genugtuung. 

Er hatte den anfänglichen Schock, den ihre mentalen Mauern ihm verpasst hatten, schon lange überwunden und seitdem war das Gefühl von einer unbeirrbaren Entschlossenheit abgelöst worden. Eine Entschlossenheit, von der Tom sich sicher war, dass sie an Irene Baker verschwendet war – immerhin hatte er wichtigere Dinge zu erledigen, die seine vollste Aufmerksamkeit verlangten. Doch seine brennende Neugier konnte nicht anders, als ihn dazu anzufeuern, ihre Geheimnisse zu lüften, und jeder neue Tag ohne Antworten spornte ihn noch mehr an.

Sie klappte das Buch zu und schob es in eine Lücke zwischen zwei anderen Wälzern zurück. Ihr Blick glitt gemächlich das Regal hoch und landete auf einem ledernen Einband, der auf einem der oberen Bretter ruhte. Wie Tom, der die meisten seiner Klassenkameraden überragte, war sie groß für ihr Alter, vielleicht nur einen knappen halben Kopf kleiner als er selbst; sie würde ihr Ziel problemlos erreichen können, aber Tom, stets der Opportunist, hatte sich bereits in Bewegung gesetzt und beschleunigte seinen lautlosen Gang – ein Junge auf einer Mission.

Well Lived / Tom Riddle FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt