To Solve a Riddle

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»Unbeing dead isn't being alive.«
– E. E. Cummings


12. KAPITEL – TO SOLVE A RIDDLE
HOGWARTS, 20.10.1941

Als es nach Arithmantik zum Mittagessen läutete, wäre Irene nicht in der Lage gewesen zu beantworten, wovon die Unterrichtsstunde gehandelt hatte, wenn jemand sie gefragt hätte. Ihr Geist war ein Vakuum, versiegelt in einer Kammer mit Mauern aus Titan. Von außen betrachtet war Irene nach wie vor die Ruhe in Person, doch das schwere Lied der Schulglocke hatte irgendetwas in ihr ausgelöst. Wirre Gedanken begannen sich mit jedem neuen Schlag zu formen, füllten die Leere in der Kammer, polterten gegen ihre Mauern: Warum kann er– Was– Wie hat er– Wieso ist er– Wer ist er?!?

Irene zwang sich, tief ein- und auszuatmen und befahl ihren stolpernden Gedanken und Gefühlen zum Stillstand zu kommen.

Okay... Langsam... Eins nach dem anderen...

Mit mechanischen Bewegungen legte sie ihre Schreibfeder beiseite, klappte ihr Buch zu und rollte das Pergament zusammen. Während sie alles in ihrer Tasche verstaute, überwand sie sich gleichzeitig dazu, den bitteren Trank hinunterzuwürgen und dem Fakt ins Auge zu sehen, dass in ihrem Jahrgang ein Schüler namens Tom Riddle Legilimentik anwenden konnte – denn das konnte sie nach dieser Stunde wirklich nicht mehr abstreiten, egal wie sehr sie es sich wünschte.

Er musste eine angeborene Begabung besitzen, anders konnte, nein, wollte Irene sich nicht erklären, wie ein Junge seines Alters das tun konnte, was er tun konnte – und das ganz ohne Zauberstab. Seine Fähigkeiten waren zwar bestenfalls als rudimentär zu bezeichnen, und für jemanden wie Irene, die von Experten in Okklumentik gelehrt worden war, war es ein Kinderspiel gewesen, den mentalen Eindringling abzuwehren... Aber allein die Tatsache, dass er diese Fähigkeit überhaupt besaß, brachte sie beinahe um den Verstand. Ihren Geist zu leeren hatte deshalb mehr dazu gedient, ihre eigene wachsende Panik im Keim zu ersticken, als seinen dürftigen Einbruchsversuchen weitere Barrieren zu bieten.

Eines musste Irene ihm allerdings lassen: Der Junge war verflucht nochmal hartnäckig.

Ob ihm wohl bewusst war, wozu er fähig war?

Der Art nach zu urteilen, wie er ständig nach Vorwänden gesucht hatte, um Augenkontakt mit ihr herzustellen... Ja. Ja, ihm war sehr wohl bewusst, wozu er fähig war. 

Irene hatte sich strengstens davor gehütet, seinem Blick zu begegnen, hatte ihn nicht einmal aus dem Augenwinkel beachtet. Sie hatte spüren können, wie seine Magie sich im Laufe der Stunde mit seiner Wut und Frustration vermischt hatte, wodurch seine Einbruchsversuche rabiater und schlampiger geworden waren, was es Irene umso leichter gemacht hatte, ihnen auf die Spur zu kommen und sie abzufangen. Sie hatte sich schon halb darauf gefasst gemacht, dass er jeden Moment seinen Zauberstab zücken und sie verhexen würde, doch letzten Endes hatte er ihr nur stechende Kopfschmerzen verpasst.

Irene strich sich eine Strähne hinters Ohr und verkniff sich ein Aufstöhnen, als sie dabei über ihre pochende Schläfe rieb, genau da, wo seine bohrenden Stahlaugen, seine Magie, ihre ganze Arbeit geleistet hatten, bis die Glocke ihn endlich aus seinem Vorhaben gerissen hatte.

»Irene?«

»Hm?«

Sie schaute von ihrer Tasche zu Cordelia auf, die neben ihrem Stuhl stehen geblieben war und sie abwartend ansah. »...Kommst du?«

Erleichtert und peinlich berührt stellte Irene fest, dass sie neben Professor Euklid die Letzten im Klassenzimmer waren. Ihr Lehrer blickte demonstrativ von der antiken Wanduhr über der Tafel zu ihnen, dann zur Tür und wieder zurück zu ihnen. 

Well Lived / Tom Riddle FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt