A Matter of Time

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»Three things cannot be long hidden:
the sun, the moon, and the truth.«
– Buddha


15. KAPITEL – A MATTER OF TIME
HOGWARTS, 29.10.1941

Von allen Jahreszeiten hatte Irene den Sommer immer am liebsten gemocht. Hätte sie die Wahl gehabt, hätte sie es jedes Mal vorgezogen, in der prallen Sonne zu einer Pfütze zu schmelzen, statt sich zitternd im Schnee zu einem Eis-am-Stiel zu verwandeln – und nein, entgegen der allgemeinen Auffassung herrschte in England kein permanenter Dauerregen. Als ein Inselstaat, den vier verschiedene Meere umspülten, wurde Großbritannien mit einem abwechslungsreichen, launischen Klima beschenkt, aber in der Regel war der englische Sommer angenehm warm und im Süden auch relativ trocken, und trotz ihrer nördlichen Wurzeln hatte Irene die meiste Zeit ihres Lebens ebendort verbracht: in Südengland, in London, in der Akademie. In der Hauptstadt hatte sie sogar gelegentlich den einen oder anderen brütend heißen Tag genießen können.

Schottland war wiederum eine ganz andere Geschichte.

Es ließ sich nicht leugnen, dass es kühler und nasser wurde, je weiter man in den Norden vordrang und was Großbritannien betraf, ging es nicht nördlicher als die Highlands von Schottland (Orkney- und Shetlandinseln ausgeschlossen). Der Sommer hatte sich hier vor langer Zeit einem Ende geneigt. Die frühe Morgenluft war bitterkalt und gnadenlos, der Himmel ein mürrisches Grau. 

Eigentlich hätte es Irene stören sollen, dass der stürmische schottische Herbstwind ihr die kurzen Haarsträhnen aus dem Gummiband zerrte und ins Gesicht peitschte, während sie sich für ihren Morgenlauf aufwärmte, doch es trübte ihre Stimmung nicht im Geringsten – wobei Irene davon überzeugt war, dass gerade nur weniges dazu in der Lage gewesen wäre, denn er ließ sie endlich in Ruhe.

Seit dem Vorfall in der Bibliothek (beziehungsweise dem zweiten Vorfall in der Bibliothek) hatte Tom Riddle sich langsam, aber sicher zurückgezogen, nach und nach, metaphorischen Schritt für metaphorischen Schritt. Da war am Montag in Astronomie kein Kratzen mehr an der Tür gewesen. Kein bohrendes Starren am Dienstag in Alte Runen. Keine unerfreulichen Freundlichkeiten in irgendwelchen dunklen Ecken. Nichts außer Ruhe und Stille.

Ein seliges Lächeln umspielte Irenes Lippen, als dieser herrlich ungezügelte Herbstwind die letzten Überreste des betäubenden Nebels aus ihrem Kopf wehte und ihr von einem heranrückenden Winter vorpfiff. Sie hätte dieses Wetter, diesen Moment, für keinen Sonnenstrahl der Welt eingetauscht...

Fast schon lustig, wie das Ende einer mentalen Folter ein ganz neues Licht auf die Sicht der Dinge werfen konnte.

Irene dehnte und streckte sich, lockerte ihre Muskeln, und ließ dabei ihre Augen die hohe Steinmauer entlangschweifen, die das weiträumige Schlossgelände umzäunte. Ihr Blick blieb bei dem schmiedeeisernen Eingangstor hängen, das von Pfeilern flankiert wurde, auf denen Statuen geflügelter Eber ihren pausenlosen Wachdienst leisteten. In der Ferne, am anderen Ende des Fußweges, auf dem sie ihre Aufwärmübungen machte, konnte Irene den Wildhüter Mr Ogg erkennen, der die Kutschen, welche die älteren Schüler an Halloween nach Hogsmeade befördern würden, auf Hochglanz polierte.

Tatsächlich hatte Irene dem magischen Dorf schon einmal einen kurzen Besuch abgestattet und in einer dieser pferdelosen Kutschen gesessen, vor über einem Monat, an ihrem ersten Schultag. Sie hatte mit ihren Eltern nach Hogsmeade apparieren müssen, da die Familie Atkins in ihrem Haushalt keinen offenen Kamin besaß, der mit dem Flohnetzwerk verbunden war – viel zu hohe Infiltrationsgefahr – und man nicht einfach so auf das Schlossgelände apparieren konnte (was Irene sehr beruhigte).

Allerdings hatte Irene damals nicht wirklich die Zeit gehabt, irgendwelche Sehenswürdigkeiten zu bestaunen, da die Kutsche bereits gewartet hatte und sie sowieso zu sehr damit beschäftigt gewesen war, den Inhalt ihres Magens in, na ja, ihrem Magen zu behalten – eine äußerst lästige Begleiterscheinung für Apparier-Anfänger. Irene hatte sich jedoch kein einziges Mal über diese Unannehmlichkeit beschwert; lieber würgte sie sich stundenlang die Seele aus dem Leib, als auch nur für eine Sekunde in einen helllodernden Kamin zu steigen.

Well Lived / Tom Riddle FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt