Entbehrlich?

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Anastasia Pov:

"Ich habe Angst."

Schweigen meinerseits.

"Hast du nicht auch Angst?"

Ich hob meinen Blick vom Boden, um in ihre rehbraunen Augen zu schauen.

"Weniger als ich eigentlich sollte." flüstere ich fast lautlos.

"Wieso sind ausgerechnet wir diejenigen die es nicht geschafft haben?" schluchzte Tanja neben mir auf.

"Wir sind es nicht wert. Sieh es ein. Wir haben keinen Platz in dieser Welt." sprach ich trocken. Mein Blick starr aus dem Fenster des Transporters gerichtet, merkte ich wie Tanja energisch ihren Kopf schüttelte.

"Nein, ich habe einen Platz. Wir haben einen Platz. Meiner ist bei meiner Familie. Du weißt deinen Namen vielleicht nicht, aber du hast einen! Genauso wie ich. Wir sind keine wertlosen Zahlen. Wir sind Menschen mit Familien und einem Platz in dieser Welt! Sie versuchen uns unsere Identität wegzunehmen, aber wenn wir es nicht zu lassen und uns daran festhalten und erinnern wer wir sind, dann können Sie uns die Identität nicht klauen. Unsere Identität."

"Du bist nicht mehr als eine Nummer!" fauchte ich sie an, weswegen sie erschrocken zusammen zuckte.

"Wir sind nur Nummern! Dein verzweifelter Versuch dich an deinem Namen festzuhalten ist lächerlich. Du bist nicht mehr als ein paar Zahlen. Wir sind nichts wert, versteh das endlich mal! Wir sind entbehrlich. Deine Familie ist nicht hier und wenn sie wüssten was du schon alles mit deinen süßen 6 Jahren getan hast, würden sie dich verstoßen. Niemand von uns besitzt eine Familie, geschweige denn ein Leben. Der Red Room, Madame B. das ist nun unser Leben. Wir haben einen Auftrag. Und der Auftrag lautet perfekt zu sein. Die meisten Kinder in unserem Alter können sich nicht mal klar artikulieren. Dank der Madame sind wir wenigstens gebildet und können uns klar und deutlich ausdrücken. Und wenn du nicht sterben willst, solltest du anfangen die Wahrheit zu akzeptieren. Du bekommst dein vorheriges Leben nicht mehr zurück. Du hast kein Leben mehr." schnauzte ich sie an. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

"Aber vielleicht kommt die Frau von vorhin zurück und holt uns. Die anderen Mädchen haben auch eine Chance bekommen!" versuchte sie mich zu überzeugen. Doch meine klitzekleine Hoffnung die ich vorhin noch besaß, war inzwischen verschwunden.

"Sie kommt nicht zurück. Du kannst keinem Menschen vertrauen. Sie sagte, sie würde uns rausholen. Und nun sitzen wir hier, in einem Wagen auf dem Weg zu einer neuen Einrichtung des Red Room. Es ist nur eine Frage der Zeit bis die Madame die anderen Mädchen aufgespürt hat und diese für ihren Verrat an der Akademie bestraft."

"Ganz genau! Sie hat es versprochen. Sie wird bestimmt zurück kommen und ihr Versprechen halten. Ganz sicher. Komm schon, bitte. Tu es für mich. Behalte deine Hoffnung, werde nicht zu so einem Monster wie die Madame. Du bist mehr wert." ihre Hundeaugen blickten mich traurig und flehend an.

"Du solltest dir nicht allzu viele Hoffnungen machen, sonst wirst du wieder nur enttäuscht."

"Die Hoffnung stirbt nie. Ich werde aus der Akademie fliehen. Und ich werde dir helfen es mir gleich zu tun. Ich lasse dich nicht im Stich. Ein Versprechen bricht man nicht." aufmunternd lächelte sie mich an. Es war ein so ehrliches Lächeln. Ein Lächeln was mich zweifeln ließ. Auch wenn ich wusste es war falsch, so ließ ich mich trotzdem darauf ein. Als Bestätigung lächelte ich sie leicht an. Ich vertraute ihr. Mit meinen 5 Jahren wusste ich nicht was noch alles auf mich zukommen wird. Ich war naiv und behielt meine Hoffnung. Ein Fehler.

Bilder huschten in meinem Kopf herum. Jedes einzelne zeigte Situationen, wie meine damalige Hoffnung immer mehr dahin schwand. Ein weiters Bild blitzte auf. Der Moment in meinem Leben, wo ich das letzte Mal Hoffnung verspürte. In diesem Moment erstarb sie. Der Moment als ich Tanja umbrachte. Der Moment wo ich mich vom Menschendasein verabschiedete und eine eiskalte Waffe wurde.

In the Shadow of Love (Steve Rogers FF / Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt