„Ich verschwinde dann mal, muss noch zuhause vorbei vor der Arbeit", rufe ich in das stille Haus und ziehe die Schuhe an.
„Bis heute Abend?", fragt Tony von oben.
„Gerne", antworte ich und trete aus der Tür. Wie gesagt, eigentlich habe ich noch eine eigene Wohnung. Vielleicht sollte ich die einfach mal kündigen, sie kostet sowieso nur Geld und Zeit zum Staubwischen, wirklich da bin ich kaum. Bisher habe ich sie immer noch behalten, falls Tony doch mal eine*n feste*n Freund*in erhaschen sollten. (Himmel, regt mich dieses Gendern auf. Tony sollte einfach seine schwule Seite entdecken und alles wäre besser.)Fröhlich summend laufe ich zügig durch die sonnengebadeten Straßen in die etwas weniger wohlhabenden Viertel der Stadt, indem sich meine Zweiraumwohnung befindet. Ich verstehe nicht, wieso so viele Leute ständig griesgrämig und mit Mundwinkeln bis zum Erdmittelpunkt hängend herumschlurfen, als würden sie ihren Lebtag immer von einer resignierenden Trauerfeier zurückkehren. Glücklich sein ist nicht so schwer, wie alle sagen. Einfach das genießen, was man hat, und das ignorieren, was man nicht hat. Klar kann ich nicht im Winter in den Skiurlaub fahren, aber dafür kann ich immer als Wetteinsatz ‚Baden im Winter' einbringen, wenn ich mir meiner Sache sicher bin. Schon zweimal konnte ich Tony unmännliche Schreie entlocken, als ich ihn rechtmäßig ins Wasser gestoßen habe. Hach, immer wieder ein Genuss...
Auf einmal kommt mir der schlanke Junge vom Terrassendach entgegen.
„Hey, ich wusste doch, dass ich dich schon vor gestern Abend gesehen hab", freut er sich und zieht mich in eine kurze Umarmung.
„Jaja, ich wohne hier", sage ich nur. Ich bin kein großer Fan von solchen Begrüßungen, weiß immer nicht was ich da sagen soll.
„Ist okay wenn ich ein Stück mit dir laufe?", fragt er.
„Klar gerne, aber wolltest du nicht eigentlich in die andere Richtung?", entgegne ich lachend.
Auch er lacht, und seine Offenheit gefällt mir.
„Ich wollte eigentlich nur spazieren, aber wenn mir jemand wie du über den Weg läuft, ändere ich gerne meine Pläne", meint er und kichert.
„Ich rutsche gleich aus", kommentiere ich, aber auch wenigstens halbironisch.
„Super, dann kann ich dich auffangen", rettet sich der Junge aus seiner peinlichen Situation und greift nach meiner Hand. Hab ich schon erwähnt, dass ich seine Offenheit mag? Füge ‚Direktheit' zur Liste hinzu.
„Meinst du nicht, dass es komisch ist Händchen zu halten, ohne des anderen Namen zu kennen?"
„Nicht, wenn es so unverbindlich ist, aber ich heiße Nikita", erklärt er. Wie war das mit der Direktheit?
„Schön, dass wir uns da einig sind", lache ich, „Ich bin Viktor."Nikita begleitet mich weiterhin bis zu meiner Wohnung, dabei führen wir eine lustige Unterhaltung, reden ein wenig über die Party von gestern. Er erzählt, dass seine Eltern aus der Ukraine kommen, was den Namen erklärt. Ich berichte, dass meine Eltern in Deutschland geboren sind, genauso wie meine Großeltern. Langweiliger Stammbaum.
„Oh, ein Arier", meint Nikita, sodass ich laut auflache.
„Sag das nicht so laut", mahne ich kichernd und boxe ihm in die Seite.
„Sorry, aber ich steh' nicht so auf Schläge", entschuldigt er sich.
Wieder lache ich, während ich mich frage, ob man auch zu offen und direkt sein kann. Na, wohl eher nicht.„Willst du mit hochkommen? Ich muss aber Staubwischen, nur dafür bin ich hier", erkläre ich mich.
„Wenn das okay ist, sehr gerne", antwortet Nikita.
Ich schließe die Tür auf und bedeute ihm ins Treppenhaus zu treten.
Schnell prüfe ich noch den Briefkasten auf Unbill.
„Cleverer Trick zum Glotzen, muss ich mir merken", bemerkt Nikita als er vor mir die Treppe hinaufläuft. Ich merke, dass er sein Lachen nur mühsam zurück hält. Schade eigentlich, es klingt schön.
„Woher?", frage ich nur verwirrt.
„Warum sonst solltest du mich vorgehen lassen? Ich weiß nicht mal welche Etage", erläutert er seinen Gedankengang. Ich beiße mir auf die Lippe (nicht nur, weil ich tatsächlich den Ausblick genieße, auch, weil Nikita mich dabei ertappt hat.)
„Ein Glück nur, dass du wohl leider die Tür aufschließen musst, dann kann ich mich revanchieren", meint er und tritt zur Seite, als wir das oberste Stockwerk erreicht haben.
Als wir in der Wohnung sind und unsere Schuhe ausgezogen haben, schaut sich Nikita interessiert um.
„Schlicht, aber gemütlich", kommentiert er das sparsame Mobiliar. Beiläufig legt er einen Arm um mich und grinst mich schief an.
„Versuch gar nicht erst, mich von meinem Plan abzubringen", warne ich lachend. Seine Versuche sind zwar etwas plump, aber andererseits muss man ja auch nicht um den heißen Brei herumreden, bis er kalt ist.
„Ach, niemals würde ich das machen", meint er und macht eine wegwerfende Geste mit der freien Hand. "Ich schaue sowieso gerne heißen Jungs beim Arbeiten zu", kichert er und drückt mir einen Kuss auf die Wange.
„Jetzt verteil' deinen Schleim nicht auch noch in meiner Wohnung", bemerke ich augenrollend und gehe in die Küche. "Möchtest du etwas trinken?", frage ich noch, während ich mir selbst ein Glas Wasser einschenke.
„Oh, höflich noch dazu, das ist ja mal eine Combo. Sehr gerne", witzelt Nikita und lehnt sich an die Anrichte.
„Ich hatte erwartet, dass du frech genug bist, dich einfach auf den Tisch zu setzen", kichere ich und beobachte gespannt seine Reaktion. Nikita trinkt einen Schluck und meint dann lässig: „Sag doch einfach, dass das dein Wunsch ist."
Elegant schwingt er sich auf die Granitplatte und legt den Kopf schief.
„Verdammt", fluche ich, stelle mein Glas ab und lege meine Lippen auf seine.
„Wie einfach es doch ist, andere von der Arbeit abzuhalten", flüstert Nikita gegen meinen Mund und zwinkert verschmitzt.
„Ich hasse dich", antworte ich.-----
„Hast mal wieder am Salz gespart", bemerkt Lennards Vater und stochert ein wenig lustlos im Kartoffelbrei herum.
„Entschuldigung", murmelt Lennard und schiebt sofort den Stuhl zurück.
„Wer hat dir erlaubt aufzustehen?", will sein Vater mit bebender Stimme wissen.
„Ich wollte für dich den Salzstreuer aus der Küche holen", verteidigt sich Lennard, in einer halb stehenden Position verweilend, weil er sich nicht sicher ist, ob er nun aufstehen soll oder nicht.
„In Gottes Namen, aber wieso ist der nicht schon hier?", seufzt sein Vater gütig. Augenblicklich geht Lennard schnellen Schrittes aus dem Raum. Wenig später kommt er mit dem kleinen Keramikgefäß zurück. Wortlos greift Herr Mayenburg danach, sobald es Lennard auf den Tisch gestellt hat.Mutig schaut unterdessen Tom zu Lennard auf und bedeutet ihm mit einem aufmunternden Blick, dass ihm das Essen durchaus sehr gut schmeckt. Lennard lächelt etwas gequält, bevor er selbst weiter isst. Es nimmt ihn nicht mehr so sehr gefangen wie früher, doch in solchen Situationen hat er immer mehr Angst als es auf Dauer gesund für einen Teenager wäre.
Etwas in Gedanken verloren stößt Lennard nach dem Essen mit der Schulter an den Türrahmen. Gerade noch kann er den heruntergleitenden Teller auffangen, doch ein schmerzhaftes Stöhnen ist nicht mehr aufzuhalten.
„Alles gut?", fragen sofort Tom und Manuel, die gerade noch im Wohnzimmer gespielt haben.
„Jaja, wird nur ein kleiner blauer Fleck", beschwichtigt Lennard, den Mund immer noch verzerrt. Dass der blaue Fleck direkt auf einem grünen von vor ein paar Tagen entstehen wird, verschweigt er lieber. Soweit es möglich ist, versucht Lennard seine Brüder von der Gewalt fernzuhalten. Erschrocken sieht er die 13:47 Uhr vermeldende Anzeige am Backofen und greift nach dem Teller, den er gerade fast fallen gelassen hätte. Zum Glück nur fast, alles andere hätte böse Konsequenzen.Nachdem Lennard, durch sein kleines Malheure nun doch mit der Hilfe seiner Brüder, den Abwasch des Mittagessens hinter sich gebracht hat, verschwindet er schnell in seinem Zimmer, um sich umzuziehen. Für seinen ersten Eindruck bei dem neuen Job holt er nun doch die passende Hose aus dem Schrank. Außerdem entscheidet er sich nach kurzer Zeit für ein etwas dunkleres Shirt, auch hauptsächlich der Größe wegen. Schließlich möchte er besonders als Repräsentant des Cafés nicht allzu heruntergekommen wirken.
Kurz darauf findet er seine Brüder, die sich schon wieder im Garten jagen. Diesmal versuchen sie sich gegenseitig mit dem abgeschnittenen Gras vom Morgen zu dekorieren. Fast wie ein alter Mann schüttelt Lennard lächelnd den Kopf, als er auf sie zugeht.
„Ich bin mal weg, übertreibt's bitte nicht. Und, ich würde mich freuen, wenn ihr nachher wenigstens die Blumentöpfe schon mal gießen könntet, ich weiß nicht, wann ich zurück bin."
„Machen wir", verkündet Tom und umklammert Lennard zum Abschied. Manuel tut es ihm gleich.Nach einem Blick auf sein Telefon entscheidet sich Lennard, bis zum Café zu laufen. Das würde er geradeso schaffen. So muss er nicht das Risiko eingehen, im Bus beim Schwarzfahren erwischt zu werden.
DU LIEST GERADE
Es ist dein Leben - kämpfe dafür!
RomanceTonys Leben ist genau wie er es sich wünschen würde. Tolle Freunde, Wunschausbildung, Partys am Wochenende. Seine Freiheiten als Single nutzt und reizt er dabei gekonnt aus, bis ihm eines Tages ein Junge über den Weg läuft, der gegenteiliger nicht s...