Heute sitze ich etwas nachdenklich auf meinem Sofa. In meiner Hand liegt der Controller, doch ich nutze ihn kaum, denn mir wollen Amelies Worte nicht so recht aus dem Kopf gehen. Wie gesagt bin ich kein Freund von Schwarzmalerei, aber wenn Amelie so etwas sagt, ist da in der Regel wenigstens ein bisschen Wahrheit dahinter.
Nicht umsonst erzähle ich ihr so viel, denn sie hat einfach eine Menschenkenntnis, die mir völlig unerklärlich ist. Vielleicht ist sie ja eine Außerirdische?
Aber auf der anderen Seite ist es doch völlig absurd, sowas an fehlendem Blickkontakt in ein paar Minuten festmachen zu wollen!
Und warum denke ich überhaupt so sehr darüber nach?
Ärgerlich schüttele ich den Kopf und fokussiere mich für ein paar Minuten auf den Bildschirm vor mir. So weit kommt's noch, dass ich mich in einen jüngeren Gamer vergucke...Ich spiele miserabel, sodass ich mich irgendwann entnervt hinlege. Abwägend schaue ich auf den kleinen Zettel mit der Telefonnummer, den ich vorhin auf dem Schrank gefunden habe. Nikita muss ihn hiergelassen haben. Ein wenig Ablenkung würde mir jetzt wirklich guttun...
Ich zucke die Schulter und gebe die Nummer in mein Handy ein.
Doch gerade als ich anrufen will, klingelt das Gerät in meiner Hand selbstständig los. Erschrocken fahre ich zusammen, bevor ich auf den grünen Hörer tippe. Ich bin schon stolz auf mich, dass das Handy nicht wie eine betrunkene Hornisse durch den ganzen Raum geflogen ist.
„Hey Viktor", plärrt Tonys Stimme aus dem Lautsprecher, „hast du Lust gleich nochmal rumzukommen? Ist so leer hier ohne dich."
Verwirrt ziehe ich die Stirn in Falten.
„Seit wann vermisst du Gesellschaft?", hake ich nach, stehe aber dabei schon auf. Auch 'ne Form von Ablenkung.
„Ey, tu mal nicht so, als wär ich asozial", beschwert sich Tony.
„Nicht nötig", kichere ich und ergänze: „Bin quasi auf dem Weg."Wenig später schließe ich Tonys Tür auf. Den Schlüssel hat er mir irgendwann aus Faulheit gegeben, immer die Tür öffnen zu müssen.
„Hi, ich bin's", rufe ich kreativ.
„Hi, ich auch", antwortet Tony ebenso spannend.
Also alles völlig normal. Etwas sagen, um mich als Nicht-Einbrecher zu identifizieren, obwohl es in diesem Zustand noch nichts zu sagen gibt. Am liebsten würde ich einfach nichts sagen, aber in Tobys Haus möchte ich wirklich kein Einbrecher sein. Nicht dass ich noch eine Bratpfanne als Gesichtsdekoration trage, oder an Halloween zur Abwechslung ein echtes Messer im Rücken habe.Müde lasse ich mich auf die Couch fallen. Tony beginnt eine leichte Konversation, die wir über das Gebrummel des Fernsehers hinweg führen. Ich hasse sowas, habe aber heute keine Lust mich darüber zu echauffieren.
„So und jetzt verrätst du mir, was passiert ist", fordert Tony.
„Hä? Nix, was soll denn passieren?", weiche ich aus und greife nach einem Kartoffelchip.
„Du weißt, dass du ein schlechter Lügner bist", stellt mein bester Freund fest, woraufhin ich zustimmend nicke.
„Ist echt nix los", beschwichtige ich trotzdem.
„Genau, das ist auch der Grund, warum du zu Uhrzeiten kaum redest, zu denen du sonst quasselst wie Barbara Schöneberger.
„Korrekt", meine ich und kichere. Ich weiß schon, wieso ich mit dem Typen befreundet bin.
Tony jedoch sagt nichts mehr sondern starrt mich einfach unentwegt an.Nach einiger Zeit gebe ich tatsächlich nach, und erzähle: „Wir haben einfach im ‚Sakura' einen neuen Helfer und Amelie meint, dass mit ihm etwas nicht stimmt."
Tony scheint eher verwirrter als vorher.
„Und das nimmt dich so mit? Hast du gesoffen?"
Ich schüttele den Kopf.
„Gestern Abend das letzte Mal, vielleicht ist ja das das Problem. Ich check's auch nicht", gebe ich zu und zucke die Schultern.
„Wie sieht er denn aus?", fragt Tony mit schmalzigem Grinsen, weshalb ich ihn genervt anschaue.
„Komm gar nicht auf falsche Ideen, ich verliebe mich nicht mehr, das weißt du."
Tony kichert leise.„Er ist größer als ich, aber wirkt viel zerbrechlicher. Helle Haut, kurze blonde Haare, wirklich s- sehr viele Sommersprossen", rette ich mich, doch Tony hat es leider gemerkt.
„Ahja, nicht verliebt. Deshalb steigst du auch weiterhin mit jedem Typen in die Kiste, nehme ich an?", ärgert mich Tony. Ich weiß, er will mich nur provozieren und aus der Reserve locken, aber Recht hat er ja doch irgendwo.
„Stell mich nicht als Callboy da", beschwere ich mich, „aber ja, mache ich."
Tony lacht laut. Als er damit fertig ist schaut er mich prüfend an.
„Beweis es."
„Hä?"
„Du hast mich schon verstanden", sagt er und zwinkert. Seit Jahren pocht er auf seine verdammte Heteroader, und jetzt plötzlich will er es doch, oder was? Jahrelang warte ich darauf, ihn endlich ins Bett zerren zu dürfen, und ausgerechnet jetzt erlaubt er es?
„Haha, ich wusste doch, dass du verliebt bist", freut er sich.
„Man verliebt sich doch nicht in ein paar Stunden", verteidige ich mich schmollend.
„Nein, aber du bist auf dem allerbesten Weg", ärgert Tony mich weiter.Blitzschnell sitze ich auf seinem Schoß und drücke meine Lippen auf seine. Leidenschaftlich küsse ich meinen besten Freund, der völlig überrumpelt dasitzt.
„Das ist doch der Beweis den du wolltest", flüstere ich ärgerlich, bevor ich mich wieder auf ihn stürze. Ein schwerer Fehler.Denn völlig entgegen meiner Erwartung erwidert er den Kuss tatsächlich. Gierig drückt er mich an seinen Körper und küsst leider gar nicht mal schlecht.
Ich hoffe ja, dass er doch irgendwann aufgeben würde, doch stattdessen wandern seine Hände langsam unter den Stoff meines Shirts und streicheln meinen Rücken.
Da trenne ich mich niedergeschlagen von ihm.
„Ich sag's doch", kommentiert Tony triumphierend. Gereizt sage ich: „Bloß weil ich keinen Bock hab es mit dir zu treiben heißt das nicht, dass ich verknallt bin."
„Jetzt sieh es doch ein und rede dich nicht raus. Wir wissen beide, dass du eigentlich jede Möglichkeit nutzen würdest, mich ins Bett zu kriegen."
Verdammt.
„Hast ja Recht", gebe ich zu und lehne mich an seine Schulter. Wenn er mich schon küsst, erlaube ich mir das auch einfach.-----
Der Wecker klingelt.
Stöhnend versucht Lennard, noch einmal eine halbwegs schmerzfreie Position im Bett zu erreichen. Seine Mutter hat ihm gestern Abend geholfen, dorthin zu gelangen. Weinend ist sie zu ihm gestürzt, nachdem Herr Mayenburg das Zimmer verlassen hatte. Die Treppe zu erklimmen war für beide unglaublich anstrengend.
Lennard krümmt sich, als er sich später aus dem Bett hievt. Ungefähr alles tut ihm weh.
Nach einiger Zeit verschwindet der Schmerz ein wenig, vermutlich aber nur, weil sich Lennard an ihn gewöhnt. Beim Anziehen, beim Wecken seiner Brüder, im Bad. Ständig berührt er mit irgendetwas irgendeine Stelle seiner Haut, die sich wie Flammenwerfer verhält.
„Biiiiiitte komm zu uns", betteln Tom und Manuel flüsternd, als Lennard sie aus dem Bett scheucht. Mit einem gezwungenen Lächeln (denn heute können nicht einmal die niedlichen Kinderaugen wirkliches Glück in Lennard finden), schüttelt er bedauernd den Kopf.
"Sorry, keine Zeit", sagt er leise und wendet sich zum Gehen.
„Aber... aber wir wollen dir doch helfen!", erwidert Tom niedergeschlagen. Passend dazu zieht Manuel einen Schmollmund und lässt die Schultern hängen.
„Wieso denn helfen?", fragt Lennard unschuldig. Noch immer hofft er, dass die Zwillinge von der Brutalität ihres Vaters kaum etwas merken. Bisher hat er seine Wut nur an Lennard ausgelassen und die Kleinen verschont.
„Komm zu uns!", fordert Manuel nun zuversichtlich und klopft auf die Matratze.
Lennard verdreht die Augen. Breitgeschlagen schlurft er nun doch zurück zum Bett. Verdammt, nun würde es auch noch knapp werden heute früh.
Vorsichtig lässt er sich nieder und legt sich langsam auf den Rücken. Dabei mahlen seine Zähne aufeinander, um das äußere Lächeln für seine Brüder zu wahren. Diese lassen ihm alle Zeit, bevor sie sich behutsam an ihn kuscheln.„Lennard... wieso macht Papa das mit dir?", fragt Tom schließlich geradeheraus. Vor Schreck zuckt Lennard zusammen – und bereut diesen Reflex sofort.
„Was macht er denn?", versucht er es ein letztes Mal, doch natürlich scheitert das kläglich.
„Wir sind nicht doof! Wir sind schon zehn, also zusammen zwanzig!", beschwert sich Manuel. Das entlockt Lennard nun doch ein kleines Lächeln. Sanft streichelt er den Arm seines Bruders.
„Genau!", bekräftigt Tom, „Wir wissen, dass Papa... dir weh tut. Was machst du denn, dass er so böse ist?"
Eine Weile überlegt Lennard, dann zuckt er die Schultern.Unüberlegt. Au.
„Aber warum macht er es dann? Du bist so nett, wieso sollte er dir wehtun?", hakt Manuel kritisch nach.
„Gestern habe ich mich auf dem Klavier verspielt", erklärt sich Lennard schuldig.
„Aber... das ist doch nicht schlimm, oder? Und außerdem klingt es immer sooo schön, wenn du spielst!", versucht Tom den Schwarzhaarigen aufzumuntern.
„Danke, Kleiner!", meint Lennard.
„Wir sind nicht klein!", wirft Manuel ein und streckt sich im Bett so sehr er kann. Dabei trifft er versehentlich einen der neuen blauen Flecken an Lennards Arm, sodass dieser stöhnend zusammenzuckt.„Pass doch auf, Manu", meckert Tom und streichelt liebevoll die schmerzende Stelle. Das macht es zwar nicht wirklich besser, aber Lennard ist dennoch so gerührt von seinen Lieblingen, dass er eine kleine Träne wegzwinkern muss.
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Es ist dein Leben - kämpfe dafür!
RomanceTonys Leben ist genau wie er es sich wünschen würde. Tolle Freunde, Wunschausbildung, Partys am Wochenende. Seine Freiheiten als Single nutzt und reizt er dabei gekonnt aus, bis ihm eines Tages ein Junge über den Weg läuft, der gegenteiliger nicht s...