Fast sind wir im Stehen eingeschlafen, auf jeden Fall aber ein wenig weggedämmert. Deshalb zucken wir beide erschrocken zusammen, als laute Stimmen zu uns dringen.
„Krieg doch endlich mal dein Leben in den Griff", ruft der Mann aus dem ersten Stock erregt. Besorgt laufe ich zum Fenster und sehe hinunter. Auf dem Weg steht seine etwas jüngere Freundin und sieht reichlich mitgenommen aus.„Tauchst hier tagelang nicht auf, und kommst dann wieder mit Klamotten wie eine Hure, was denkst du dir eigentlich?" Tatsächlich ist die Menge an Stoff auf ihrer Haut ausgesprochen gering. Dazu sind die Haare zerzaust und selbst von hier oben erkenne ich die dick aufgetragene Schminke.
„Die haben's nicht leicht", erkläre ich Lennard, der besorgt neben mir steht, „sie ist Borderliner und er Autist. Diese Beziehung kann eigentlich nur scheitern, aber irgendwie raufen sie sich doch immer wieder zusammen."
Mittlerweile ist es soweit, dass er ihre Kleidung aus dem Fenster wirft. Es weht ein leichter Wind, sodass die knappen Shirts sich von den schweren Jeans trennen und weit über den Hof getragen werden.
„Was ist ein Borderliner?", fragt Lennard.
„Ein Mensch, der an der Krankheit Borderline leidet. Das ist eine psychische Störung."
„Ist das schlimm?"
„Wie man's nimmt... Ich war mal mit einem Borderliner zusammen... Sagen wir, es wird nicht langweilig. Man erlebt die besten Gefühle intensiv wie nie zuvor, aber in Sekunden kann einem alles um die Ohren fliegen. Es sind schwierige Menschen, die von ihren eigenen Gefühlen überrannt werden." Ich beiße mir auf die Lippe. Immer noch tut es weh, an ihn zu denken. Eigentlich wollte ich das alles ganz weit hinten vergraben.„Bitte René, gib mir noch eine Chance! Ich liebe dich!", ruft sie verzweifelt. Um sie herum fliegen immer noch Kleidungsstücke vom Himmel.
„Noch eine? Wie oft wolltest du noch eine Chance? Verschwinde endlich aus meinem Leben!"
„Bitte! Nur noch eine letzte Chance, ich werde alles ändern, René!"
„Lass mich in Ruhe, du machst nichts außer Schaden!"
„ICH HASSE DICH! Du bist so ein verdammtes Arschloch, ekliger Abschaum!", keift nun auch Marina, plötzlich aggressiv und nicht mehr flehend.Ich schließe das Fenster.
„Siehst du, so schnell kippt Borderline, und damit versu – verdammt, Lenny, was ist los?", breche ich geschockt ab.
Neben mir steht Lennard zitternd am Fenster, aus seinen Augen strömen Tränen.
„Lenny, antworte mir!", fordere ich hilflos und rüttele ihn an der Schulter, weil er nicht auf mich reagiert.
„L-Lennard hat Angst, Lennard will nicht gehauen werden", stammelt er und weicht vor mir zurück.
„W-was Lenny, ich würde dich nie schlagen!", rufe ich angsterfüllt. Wieso denkt er sowas? Was habe ich ihm getan?
„Lennard hat Angst, bitte tu' Lennard nicht weh!", fleht Lenny.
„Ich würde dir nie wehtun, denk doch sowas nicht!"Verzweifelt versuche ich seine Hand zu halten, doch er zieht sie weiter weg und presst sich ängstlich an die Wand. Mein Herz fühlt sich an, als würde eine vollständige Hundertschaft amerikanischer Polizisten auf ihm knien. Gleichzeitig.
Während ich versuche, die Tränen zu unterdrücken, fliehe ich aus dem Raum und lasse Lenny allein. Momentan scheint mir das noch das Beste zu sein.In der Küche wähle ich dann mit zittrigen Händen Amelies Nummer. Hektisch berichte ich ihr, was passiert ist. Zuerst ist sie wütend auf mich und meint, dass ich sicherlich zu viel wollte, aber als ich fertig bin ist sie genauso entsetzt wie ich.
„Und er hat einfach so angefangen so komisch zu reden? Es ist nichts passiert?", hakt sie nach.
„Wir haben nur geschaut, wie sich Marina und René streiten, das ist alles. Aber vorher hat er erzählt, dass~" In letzter Sekunde schlage ich mir die Hand vor den Mund. Niemand darf das wissen. Ich habe es Lenny versprochen, und das muss ich halten.
„Dass was? Viktor, das ist wichtig, oder?"
„Ja, aber ich kann das nicht weitersagen. Ich will sein Vertrauen nicht brechen", gestehe ich traurig.
„Und wie soll ich dir dann helfen?"
„Weiß ich nicht."
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Es ist dein Leben - kämpfe dafür!
RomanceTonys Leben ist genau wie er es sich wünschen würde. Tolle Freunde, Wunschausbildung, Partys am Wochenende. Seine Freiheiten als Single nutzt und reizt er dabei gekonnt aus, bis ihm eines Tages ein Junge über den Weg läuft, der gegenteiliger nicht s...