Kapitel 1

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I had this feeling like I'd left something behind
I checked both of my pockets, had my keys and my wallet
Had my necklace and my phone
How am I missin' something
That I didn't know existed like a week ago?
- Hold it together, JP Saxe

Genervt rückte ich wahrscheinlich schon zum zehnten Mal meine Brille zurecht, die mir beim Lesen meines Buches immer wieder auf die Nasenspitze rutschte.
Mein Blick wanderte von den Buchstaben des Buches zu den schwarzen Zeigern der Uhr, welche an der grauen Wand gegenüber von mir prangte.

17:46 Uhr

Ich seufzte fast schon erleichtert. Es war also fast Feierabend. Der Tag im Krimskrams-Laden meiner Mutter hatte sich wie Kaugummi gezogen.
Ich schlug das dicke Buch auf der Ladentheke vor mir zu und begann, den Boden zu kehren und zu wischen.

"Ein sauberes Geschäft ist der Schlüssel zum Erfolg.", hörte ich meine Mutter dabei in meinem Kopf sagen. Ich schüttelte den Kopf, dass sie mich mit meinen vierundzwanzig Jahren immer noch dazu zwang, einen Tag in der Woche in diesem Laden zu arbeiten, nervte mich. Aber ich war ihr einziges Kind und somit immer die gewesen, die einmal in ihre Fußstapfen treten sollte. Doch war das wirklich was ich wollte? Diesen Laden übernehmen und die Kunden, die größtenteils bereits an der Rente waren, zu bedienen, bis an mein Lebensende? Ich bückte mich, um den Dreck, den ich zusammengefegt hatte, in eine kleine Schaufel hineinzukehren.

Das Klingeln der Ladentüre ertönte und ich rollte innerlich mit den Augen. 
"Wir haben schon geschlossen.", brummte ich, als ich mich wieder erhob und einen erneuten Blick auf die Uhr warf.

17:59 Uhr

In einer Minute war der Laden also tatsächlich geschlossen. Die Kunden verstanden wirklich nichts von Anstand.
"Sorry, ich brauche 'n Geschenk für meine Freundin. Es ist echt dringend.", mein Blick wanderte zu dem großgewachsenen Mann, der mit diesen Worten zu mir sprach. Er erschien mir riesig, auf seinem Kopf hatte eine schwarze Cap ihren Platz eingenommen, er trug ein ebenso schwarzes Shirt und eine graue Jogginghose. Um seinen Hals prangte eine dicke Goldkette und auf seinen Armen befanden sich verschiedene Tattoos. Dieser Mann war weit entfernt von der üblichen Kundengruppe, ich zog fragend eine Augenbraue in die Höhe.

"Äh.. was schwebt Ihnen denn da vor?", brachte ich mühsam hervor und strich mir eine blonde Strähne, die sich aus meinem chaotischen Dutt gelöst hatte, hinter mein rechtes Ohr. Mein Gegenüber ließ seinen Blick über meinen Körper wandern, automatisch trat ich einen Schritt hinter die Ladentheke, meine Kätzchen Socken musste er nun wirklich nicht sehen.

"Sie steht auf so Dekozeug. Habt ihr vielleicht irgendwelche Kerzen und Vasen oder sowas?", sein Blick wandte sich von mir ab, zu den Artikeln, die im Laden verteilt waren. Meine Anspannung fiel von mir ab, ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich mich so verkrampft hatte. Ich biss mir auf die Lippe, konnte dieser Typ nicht einfach wieder gehen?

"Hier, also das sind Duftkerzen und dort hinten in dem Regal stehen einige Vasen.", ich zeigte mit dem Finger in die Richtung, die ich meinte. "Die Kerze riecht meiner Meinung nach am Besten.", ich drückte ihm eine rosafarbene Duftkerze in die Hand, hob dann meinen Blick von seiner Hand in sein Gesicht. Blonde Locken lugten unter der Cap hervor und der Mann sah müde aus. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem leichten Lächeln.

"Dann nehm' ich die.", sagte er und seine tiefe Stimme jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Er griff noch nach einer schwarzen Vase, die mir ebenso gefiel aber diesmal sagte ich nichts dazu, sondern begab mich auf den Weg zur Kasse. Er trat kurze Zeit später vor diese und sah mich erwartungsvoll an, als ich die Artikel eingescannt hatte.

"24,99 € macht das dann.", ich rückte meine Brille bei diesen Worten wieder zurecht. Ich musste wirklich zum Optiker mit diesem Ding, das war ja kaum auszuhalten. 
Ein grüner Schein schob sich in mein Blickfeld.

"Mach vierzig. Das passt schon.", er suchte meinen Blick und ich nahm ihm den Schein dabei ab. "Nein, das kann ich nicht annehmen.", ich suchte ihm das passende Rückgeld heraus und schob es ihm zu. "Nimm es.", brummte mein Gegenüber und ich biss mir auf die Lippe. Wollte er mit dieser Geste Eindruck bei mir schinden? Ich schüttelte energisch mit dem Kopf.

"Nein, danke." 
Der Blonde seufzte, steckte das Rückgeld dann zurück in sein schwarzes Portemonnaie. Er griff nach seinen gekauften Artikeln und sah mir noch einmal ins Gesicht. Seine strahlend blauen Augen passten so gar nicht zu der Müdigkeit, die er sonst ausstrahlte. 
"Schönen Abend dir.", er tippte sich an die Cap und verschwand aus dem Laden.

Ich atmete aus, was war das denn gewesen? Schnell schloss ich die Tür des Ladens hinter ihm ab, nur um sicher zu gehen, dass kein "ungebetener" Gast mehr eintreten würde. 
Nachdem ich das Geld in der Kasse gezählt hatte und noch ein wenig geputzt hatte, verließ auch ich das Geschäft meiner Mutter. Es war bereits dunkel, wie so oft in dieser Jahreszeit. Der Herbst war bisher ziemlich trostlos gewesen und ich vermisste die bunten Farben, die er sonst mit sich brachte. Viele Leute wanderten noch auf den Straßen Hamburgs herum, ich fühlte mich abends immer ein wenig unwohl, wenn ich alleine nach Hause ging. Man wusste nie, wie viele kranke Leute herumliefen.

In Gedanken verloren lief ich nun also an der Elbe entlang, meine Hände tief in den Taschen meiner schwarzen Herbstjacke vergraben. Ich wollte nach meiner Tasche greifen, in der sich mein Smartphone und mein Lieblingsbuch befand, doch griff ins Leere.
Genervt blieb ich stehen. Ich hatte die Tasche wirklich im Laden stehen lassen. Somit drehte ich mich um und lief in die entgegengesetzte Richtung.
Was man nicht im Kopf hatte, hatte man eben in den Beinen.

Nachdem ich meine Tasche erfolgreich aus dem Laden geholt hatte, diesen dann wieder abgeschlossen hatte und zum zweiten Mal an diesem Abend auf dem Nachhauseweg war, fror ich bereits ziemlich.
Es hatte angefangen zu regnen und natürlich hatte ich keinen Schirm dabei. Ich zog meine Jacke noch fester um mich.

Völlig durchnässt und genervt, stand ich zehn Minuten später vor meiner Wohnung. Ich steckte den Schüssel ins Schloss und betrat meine eigenen vier Wände.
Schnell schälte ich mich aus meinen nassen Sachen und ließ mir ein Bad ein. Auch mein Lieblingsbuch durfte in der Badewanne nicht fehlen. Ich schlug es an der Stelle auf, an der sich mein Lesezeichen zwischen den Seiten befand.
Doch dort befand sich nicht nur mein Lesezeichen, sondern auch ein blauer Geldschein. Ich sah den Schein verdutzt an. Wie kam der denn dorthin?
Gehörte dieser dem blonden Riesen von vorhin?

Zuhause bist Du | Bonez MCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt