Kapitel 5

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Mindestens eine Stunde lang habe ich in meinem Bett gelegen und geweint, aus Angst. Bin ich wirklich verrückt? Frage ich mich. Ich hoffe nicht! Ich muss raus, raus aus dem Haus. In Windeseile mache ich mich im Bad fertig und ziehe mir meinen dicken schwarzen Parker an und die Neongrüne Mütze die mir meine Tante zu Weihnachten geschenkt hat an. Fehlen nur noch meine Stiefel denke ich mir und gehe in den Flur. Meine Mutter sitzt immer noch am Esstisch und hat ihr Gesicht tief in ihre Hände vergraben. Wie es aussieht hatte sie auch geweint. Auch aus Angst? Frage ich mich. Vielleicht. Vielleicht aber auch nur weil sie unbeholfen ist, nicht weiß wie sie mit der Situation umgehen soll. Darum kann ich mich aber auch später noch kümmern denke ich mir. Der Nachmittag bricht herein und ich will noch eine Runde spazieren bevor es dunkel wird. Meine Gedanken sortieren. Still ziehe ich meine Stiefel an und gehe aus der Tür. Meine Mutter scheint nicht einmal zu bemerken, dass ich verschwinde. Wie immer gehe ich meinen altbekannten Weg: an unserem Haus vorbei durch die Hecke auf den Feldweg. Von hier sind es nur noch Etwa hundert Meter vielleicht auch 200 bis ein kleiner Wanderweg auf den Hügel am Rande der Stadt führt. Ich genieße, wie der Wind um meine Nase weht. Es ist kühl aber nicht so kalt, als dass ich frieren würde. Bin ich verrückt? Schießt es mir immer wieder durch den Kopf. Nein! Es kam mir nicht vor wie eine Einbildung viel zu real das Ganze. Aber war das überhaupt möglich?. Wesen die durch Türen verschwinden als wären sie gar nicht da? Endlich erreiche ich die Bank auf der Spitze des Hügels. Im Sommer wimmelt es hier nur so von Radfahrern und Wanderern und gegen Abend machen Jugendliche den Ort unsicher. Aber jetzt im Winter ist es hier oben ruhig und man kann in aller Seelenruhe die Ganze Stadt überblicken. Manchmal komme ich sogar zum Lesen hier hoch. Direkt vom Fuße des Hügels bis Weit in den Westen erstrecken sich Wohnsiedlungen, direkt daneben, im Herz der Stadt, hohe Bürogebäude mit schier endlosen Glasfronten, dann eine Bahnlinie die die Stadt wie ein Messer in 2 Hälften zerteilt und jenseits von ihr, das Graue Industriegebiet übersät mit einfarbigen Fabrikhallen. Trostlos denke ich mir und bin froh ganz am Rande des Geschehens zu leben. Gerade als ich es geschafft habe meine Gedanken weg von der frage ob ich verrückt bin zu lenken, vibriert mein Handy. Meine Mutter, vermute ich. Wahrscheinlich hat sie gemerkt das ich weg bin und möchte wissen wohin, also lasse ich das Handy einfach in der Tasche stecken und genieße noch einen Augenblick die atemberaubende Aussicht auf die Stadt. Doch da spüre ich es erneut in meiner Hosentasche vibrieren. Das ist nicht meine Mutter. Nie schreibt sie mehr als nur eine Nachricht. Also ziehe ich es doch aus meiner Hosentasche und Werfe einen Blick darauf. Eine unterdrückte Nummer. Wer könnte das sein? Frage ich mich während ich die Mitteilung öffne und einen Blick darauf werfe. „DU HAST ETWAS DAS MIR GEHÖRT! HS“ Alles in großen Buchstaben. Bestimmt einfach an die falsche Nummer geschickt denke ich mir und öffne die andere. „BRING ES ZURÜCK ODER WIR MÜSSEN KOMMEN UND ES HOLEN! HS“ wieder von einer anonymen Nummer. Eigentlich kann das keineswegs ein Zufall sein denke ich mir. Man merkt doch nach einer Nachricht, ob man sie an die richtige Nummer geschickt hat. Und was zur Hölle soll dieses HS bedeuten? Hat das alles mit meinen Begegnungen mit dieser komischen schwarzen Gestalt zu tun? Ich beschließe die Nachrichten zunächst nicht zu löschen eventuell könnten sie noch wichtig werden. Langsam setzt die Dämmerung ein und Taucht den jetzt bewölkten Himmel in ein zartes Rosa. Einer der je nach Standpunkt Vor- oder Nachteile des Winters. Aus meiner Sicht heraus Gerade wohl eher ein Nachteil. Ich bekomme ein komisches Gefühl. Als würde mich jemand beobachten. Angst. Ich muss nachhause, sonst macht sich meine Mutter tierische Sorgen und ich halte es sowieso nicht mehr lange hier draußen aus, sonst erfriere ich. Immer noch habe ich das Gefühl, dass mich Jemand beobachtet, mich jemand verfolgt. Fast schon panisch blicke ich mich um. Links das Feld, dass mittlerweile im Schatten der Stadt liegt. Die Sonne ist schon hinter den hohen Gebäuden verschwunden. Immer wieder werfe ich einen Blick nach hinten um sicher zu gehen, das niemand hinter mir ist. Das Gefühl, von auf mich gehefteten Blicken wächst. Meine Brust zieht sich zusammen. Ich habe Angst. Schreckliche Angst. Immer schneller und schneller gehe ich den bekannten weg nachhause. Renne fast schon. Plötzlich, wie aus dem nichts, liegt ein Ast auf dem Weg doch ich sehe ihn zu spät. Der Länge nach falle ich nach vorne. Aua. Bei dem versuch den Sturz mit den Händen abzufangen schürfe ich mir die Handflächen auf. Auch mein Knie scheint nicht verschont geblieben zu sein. Jedenfalls brennt es und tut höllisch weh. Ja ein Loch in meiner Hose und der Stoff darum herum saugt sich mit Blut voll. Ich bin mir nicht sicher ob es nur Schatten der Bäume und Sträucher sind, oder ob ich überall Gestalten sehe. Bin ich verrückt? Ich stehe wieder auf und fange trotz der schmerzen an zu laufen. Zu laufen so schnell ich kann. Die Strecke zu meinem Haus kommt mir plötzlich ewig vor und ich bin außer Atem als ich endlich das Haus erreiche. Endlich im warmen. Endlich im hellen. Keine Gestalten mehr um mich herum, niemand der mich verfolgt. Es riecht Nacht Kerzen. 

Das MedaillonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt