Kapitel 10

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Luna

Ich hatte mich den gesamten restlichen Weg noch nach Hause geschleppt, mir eine Tasse Tee gemacht und bin damit in mein Zimmer gegangen. Jetzt saß ich in meinem kuscheligen Bett, in einer dicken Decke eingewickelt und mit dem Tee in der Hand. Auch wenn es erst Nachmittag war, fühlte es sich an als wäre es zwei Uhr nachts. Ich war so müde. Meine Muskeln taten weh. Naja, eigentlich tat mir alles weh. Deshalb stellte ich meinen Tee neben dem Bett auf meinen Nachttisch, kuschelte mich noch etwas weiter in meine Decke. Wie sollte ich die 2 Jahre hier nur überleben. Ich war gerade Mal 1 Woche hier und konnte schon nicht mehr. Wollte einfach nicht mehr.
Mit diesem Gedanken schlief letztendlich ein.

Als ich die Augen wieder öffnete und mich aufsetzte, stöhnte ich unter den Schmerzen. Meine Muskeln fühlten sich an, als hätte man sie einmal in den Mixer gesteckt und ihn auf die höchste Stufe gestellt. Ich griff nach meinem Handy. 16:30 Uhr. Ich hatte nur eine Stunde geschlafen? Warum konnte ich nicht einfach noch die nächsten paar Wochen verschlafen?
Ich entschloss mich schließlich dazu, noch etwas an die frische Luft zu gehen, damit sich meine Muskeln lockern konnten. Von früher wusste ich, dass die Schmerzen am schnellsten weggehen wenn man sich bewegt, damit die Muskeln sich entspannen und lockern können. Vom rumliegen wird es schließlich auch nicht besser. Wenigstens war ich nicht mehr so müde.

Ich stand auf und schnappte mir noch das Buch über die Umgebung von Kingscroft, was ich mir aus der Schulbibliothek ausgeliehen hatte.
Ich lief die Treppen hinunter. Als ich am Wohnzimmer vorbeikam und meine Mom mich erblickte erklärte ich "Ich geh nochmal an die frische Luft." und wollte schon zur Haustür gehen, da rief sie noch hinterher. "In zwei Stunden gibt es Essen, also sei bitte pünktlich wieder hier. Und Pass auf dich auf." Was hatten alle immer mit ihrem "sei vorsichtig" oder "Pass auf dich auf" Ich war schließlich keine 5 mehr. "Ja, mach ich." rief ich noch, bevor ich zur Tür hinaus trat und sie hinter mir ins Schloss fiel. Man war das kalt heute. Ich kuschelte mich enger in meinen Mantel, bevor direkt in den Wald hinter unserem Haus lief. Ich öffnete das Buch über den Cape - Breton-Highlands Nationalpark, der rund um Kingscroft lag und stiefelte los. Theoretisch sollte ca. eine halbe Stunde von hier entfernt ein großer See sein. Das lag in der Nähe und ich würde zum Abendessen wieder zurück sein.

Während ich durch den Wald lief, genoss ich den frischen Wind, die Ruhe, den Geruch nach Wald und die Schatten, die die Bäume auf den Waldboden warfen, weil die Sonne ihn nicht erreichen konnte. All diese Dinge, die ich in der Großstadt so vermisst hatte. Dinge, die es dort einfach nicht gab. Für meinen inneren Wolf war das wie Balsam, den man auf eine Wunde streichte. Es beruhigte ihn.

Als ich bereits eine Viertelstunde gewandert war blieb ich kurz stehen und schaute auf die Karte, die in dem Buch enthalten war, ob ich noch richtig war. Den großen Weg bin ich gefolgt, dann einmal nach links abgebogen, weiter dem Weg folgen und . . . Ein Ast knackte. Ich schreckte unerwartet hoch und ließ das Buch dabei fallen.

Ich schaute mich um. Dann sah ich ihn. Oh nein. Nein nein nein! Bitte nicht schon wieder!
Nicht weit von mir stand dieser blonde Typ vom Sportunterricht, der so streitlustig war und sich mit mir angelegt hatte. Diesmal wenigstens ohne seinen Kumpel.
Er lehnte entspannt an einem Baum und grinste mich an als er bemerkte, wie ich mich versteift hatte und ich es mit der Panik bekam. "Naa, wen haben wir denn da? Miss Wichtigtuerin, die sich zu fein ist, sich einem Rudel anzuschließen." Ich ließ seine Provokation einfach an mir abprallen. Ich hatte gerade andere Sorgen.

Ich konnte seine richtige Augenfarbe erkennen. Er gehörte also auch zu ihnen. War ja zu erwarten, so angriffslustig wie er war.
Ich war sowas von im Arsch.
Ich blickte mich unuffällig um, ob ich irgendwie flüchten konnte. Nope, überall nur Wald. Würde ich flüchten, hätte er mich schon nach 2 Sekunden eingeholt. "Falls du gerade überlegst zu flüchten, vergiss es! Außer uns beiden und dem Wald ist hier keine Menschenseele." sagte er kalt.

Dann sah ich etwas, wodurch sich die Panik in mir noch verzehnfachte. Er verwandelte sich in einen Wolf. Dunkelgraues Fell zierte ihn.
Diese Erkenntnis sickerte wie zäher Schleim in mein Bewusstsein. Oh fuck. Ich war mehr als nur im Arsch. Ich stand wie festgefroren da und konnte ihn nur anstarren. Im Moment machte er keine Anstalten, sich auf mich zu stürzen. Im Gegenteil. Er genoss es scheinbar, wie er eine solche Panik in mir auslöste.
Mal sehen, wie lange ich brauche, bis ich dich dazu bringe, dich zu verwandeln. lachte er höhnisch in meinem Geist.

Wölfe konnten schließlich nicht reden, stattdessen kommunizierten sie direkt über den Geist.

"Darauf kannst du lange warten. Ich werde mich niemals verwandeln!" fauchte ich ihn an. Innerlich brach bei mir das reinste Chaos aus.
Oh fuck. Fuck! Fuck! Fuck! Warum war ich so leichtsinnig rausgegangen, in der Annahme, dass mir hier nichts passieren konnte. Ich hätte auf meine Mom hören sollen. Ich hätte wenigstens ein Messer mitnehmen sollen. Als Sicherheitsmaßnahme. Nun stand ich hier unbewaffnet und musste mich mit einem Wolf anlegen. Also fair war das nicht.

Dann lass den Spaß beginnen!
Er sprang mit einem einzigen Satz auf mich zu und überwand somit alle restlichen Meter, die uns trennten. Ich duckte mich zwar, war aber nicht schnell genug, sodass seine Krallen meinen rechten Arm streiften. Ein höllischen Schmerz durchfuhr mich. Ich betrachtete kurz meine Kratzspuren aus der durchgehend Blut floss.
Na los, verwandle dich, kleiner Omega.
"Ich bin kein Omega!" zischte ich ihn an und schnappte mir den nächstbesten Stock, der neben mir lag mit der linken Hand, da ich durch die Verletzung links mehr Kraft hatte. Hoffentlich würde der Stock etwas mehr aushalten, was ich aber bezweifelte. Aber was besseres gab es hier leider nicht.

Als er mich erneut Angriff, wollte ich mit dem großen Stock auf ihn einprügeln, erwischte ihn jedoch kein einziges Mal, so schnell war er. Mit einer gezielten Bewegung, schnappte er nach meinem Stock und zog ihn mit so einer Wucht von mir, dass er mir damit fast meinen Arm auskugelte, ich stolperte und keuchend zu Boden fiel. Es brachte mich innerlich zur Weißglut, dass er so einfaches Spiel mit mir hatte. Meine Wunden an meinem rechten Arm fingen an noch mehr zu brennen, als sich Erde mit meinem Blut mischte.

Und, hast du es dir überlegt?
"Vergiss es!" zischte ich. Er genoss es sichtlich, mich Leiden zu sehen. Er wartete nur darauf, dass ich wieder aufstand und er mich wieder attackieren konnte. Aber ich würde nicht aufgeben. Das war erst gar keine Option! Wenigstens mein Überlebensinstikt funktionierte noch fabelhaft. Mit neuer Kraft rappelte ich mich mühsam wieder hoch. "Wenn du denkst, dass du deinen fehlenden Ruhm dadurch bekommst, mich hier Leiden zu lassen, dann würde ich mir an deiner Stelle keine Hoffnungen machen." spuckte ich ihm wütend entgegen.

Doch das hätte ich wohl lieber nicht sagen sollen, damit machte ich es nur noch schlimmer. Er knurrte aus tiefster Seele und fletschte die Zähne, dann sprang er mich an, und grub seine Zähne mit voller Kraft in die Gegend seitlich meines Bauches, während ich zum zweiten Mal mit dem Boden Bekanntschaft machte. Ich schrie auf. Ein unbändiger Schmerz schoss durch meinen Körper. Ich spürte wie etwas warmes meinen Bauch hinunterfloss. Dann presste er mich mit seinen Vorderbeinen zu Boden, sodass sich seine Krallen zusätzlich in meine Brust bohrten und ich durch sein Gewicht auch noch Probleme mit der Atmung bekam. Na komm, verwandle dich oder es wird nur noch schlimmer. säuselte seine Stimme durch meinen Kopf. Er war doch krank!
"Ich... werde...mich...nie...mals... verwandeln...Lieber... sterbe ich." brachte ich mühsam hervor und sah dabei in die bernsteinfarbenen Augen des Wolfes, die mich nur mordlustig anstarrten.

Dann erregte etwas hinter ihm meine Aufmerksamkeit. Noch ein paar bernsteinfarbene Augen erkannte ich für den Bruchteil einer Sekunde. Sie stammten von einem peschschwarzen Wolf. Dann schloss ich meine Augen endgültig. Nun hatte ich erst recht keine Chance mehr. Ich war tot, sowas von tot. Indem ich mich nicht verwandeln wollte, hatte ich mein Todesurteil gesprochen.

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Hii🥰
Ich weiß, es ist diesmal etwas brutal, aber der Teil gehört eben auch zu der Geschichte.
Wer der unbekannte wohl ist?
~Vanessa

Wolfsnacht - Das Ende der DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt