Kapitel 32

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Etwas verstört von meiner eigenen Reaktion begab ich mich zielstrebig auf den Weg nach Hause. Tyson schloss sich mir wie erwartet an. Zuverlässig war er ja. Trotzdem hätte ich am liebsten im Moment meine Ruhe.
"Willst du darüber reden?" fragte er mich etwas besorgt. Er hatte gemerkt, dass etwas mit mir nicht stimmte, aber ich hatte mir auch nicht wirklich Mühe gegeben, meine Sorgen und Schuldgefühle zu verstecken. Dafür fehlte mir im Moment einfach die Kraft.

"Nein." beantwortete ich also seine Frage. Kurz herrschte Stille.
"Was ich damit sagen will, Luna, du bist nicht allein, auch wenn du das vielleicht denkst. Ich bin für dich da. Wenn dir etwas auf dem Herzen liegt, kannst du immer mit mir darüber reden." Ein kleines Lächeln huschte zum ersten Mal an diesem Tag über mein Gesicht. "Danke."

Dann herrschte ein angenehmes Schweigen. Wir beide hingen unseren Gedanken hinterher. "Ich habe heute Nachmittag noch einen Termin außerhalb der Stadt. Meine Mom fährt mich, du musst also nicht mitkommen, um auf mich aufzupassen."

"Luna." Er seufzte. "Ich weiß, dass es dir nicht gefällt, wenn ich dir so auf den Fersen hänge, aber ich habe den Alphas versprochen, auf dich aufzupassen. Immer und jederzeit. Sie haben vollstes Vertrauen in mich, dass du sicher bist und geschützt wirst. Sollte dir heute etwas passieren, wenn ich nicht dabei bin, zieht das nicht für dich Folgen nach sich, sondern auch für mich. Es tut mir leid."

Es war nicht schwer herauszuhören, dass es ihm aufrichtig leidtat. Nur...Mir bekam es einfach nicht gut, dass er so gravierende Einblicke in meine Privatsphäre, in mein chaotisches Leben bekam. Ich wollte nicht, dass er von all den Problemen mitbekam, die mich und meine Familie belasteten. Bisher war das immer innerhalb unserer Familie geblieben, aber jetzt? Die aktuellen Umstände machten dies unmöglich.

Vorallem seit ich so dumm gewesen war, ein so gravierendes Ereignis Jason anzuvertrauen. Ich hatte mich damit selbst noch weiter Richtung Abgrund getrieben. Das hatte ich mir selbst zuzuschreiben. Und wenn mir noch weitere Fehler unterliefen, und ich an der Kante zum Abgrund stand, dann würde niemand geringeres als ich selbst diejenige sein, die mich ins Verderben stürzte.

"Ich weiß" Die Worte sprach ich so leise aus, dass ein normaler Mensch vermutlich Mühe hatte, sie überhaupt zu verstehen. Nicht doch aber ein Lykaner. "Ich verstehe dich ja auch. Es ist nur gerade alles so... kompliziert." Tyson nickte bedächtig. "Fährt dich jemand?"
"Theoretisch meine Mom, weshalb fragst du?"

"Es macht keinen Sinn, euch mit dem Auto hinterherzufahren, da ich ja sowieso erstmal mein Auto holen müsste. Wenn das okay für dich ist, würde ich deine Mutter einfach darum bitten, dass ich dich fahre. Das würde unnötige Fahrerei ersparen und deine Mutter müsste das nicht auf sich nehmen."

Ich dachte kurz darüber nach. Ob ich lieber mit meiner Mom und Tyson im Schlepptau fahren wollte oder allein mit Tyson. Meine Mom würde vermutlich eh nicht still sitzen können und sich die ganze Zeit viel zu viele Sorgen machen, so wie ich sie kannte. Und Tyson, der Beta der white Wolves, würde so oder so mit kommen. Ich glaube, da wäre es für mich deutlich leichter zu ertragen, wenn meine Mom einfach zu Hause blieb. "Okay."

Gesagt getan, informierte Tyson meine Mom kurze Zeit später darüber. Wie meine Mutter eben war, hatte sie sich anfangs nicht gerade begeistert gezeigt hier zu bleiben, anstatt mit nach Sherbrooke zu fahren, schließlich war das "der erste und sehr wichtige" Termin bei dem Therapeuten, bei dem sie nicht wollte, dass ich ihn ohne ihre Hilfe durchstand.

Aber nach ein paar charmanten Worten und Überredungskünsten von Tyson ausgehend, blieb meiner Mutter keine andere Wahl, als sich damit einverstanden zu erklären. Sie überließ Tyson ihre Autoschlüssel und er beteuerte mehrmals, mich wohlbehalten wieder zurückzubringen, was meine Mutter mit einem freundlichen Lächeln abtat.

Wolfsnacht - Das Ende der DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt