Das Geständnis

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Jedenfalls, als ich dann aufwachte waren im Dorf schon alle wach und in Aufruhr. Es war kein Drachenangriff, oder sonst hat Hiccup nichts in Brand … HICCUP! Sofort war ich wach und stürmte aus meinem Zimmer. Meine Eltern waren schon wieder nicht da, aber auf dem Tisch lag ein Holzteller mit einem gebratenen Fisch, der wohl für mich war. Mir war aber nicht wirklich nach essen, denn ich merkte, dass ich das nicht lange in mir behalten würde. Also griff ich zu meiner Axt und ging nach draußen. Die Axt in meiner rechten Hand umklammert machte ich mich auf das schlimmste gefasst. Als ich mich an das Tageslicht gewöhnt hatte fand ich einen fast leeren Platz vor. Das Stammesoberhaupt Stoik, also Hiccups Vater, stand in der Mitte der Treppe zur Großen Halle und redete mit einigen anderen Wikingern. Er hatte wohl das ganze Dorf aufgefordert nach Hiccup zu suchen. Plötzlich wurde die Axt in meiner Hand ganz schwer und jeder Schritt den ich machte fühlte sich so an, als würde ich zu meiner eigenen Hinrichtung gehen. Aber ich durfte nicht schwach wirken, ich nahm meine Axt wieder fest in den Griff und ging zur Treppe. Mit jeder Stufe, die ich betrat wurde es immer schwerer mein vorhaben durch zu setzen. Mir war bewusst, dass ich ihm nicht die volle Wahrheit sagen konnte, dennoch konnte ich es ihm nicht verschweigen, dass er weg und die Suche nach ihm unnötig war. Ich würde ihm mit Sicherheit das Herz brechen, aber sollte ich seinen Vater immer weiter suchen lassen? Ich glaubte, dass wäre noch schlimmer als zu wissen, dass er nicht mehr zurück kommen würde. Ich war jetzt fast bei ihm und meine Gefühle und mein Kopf überschlugen sich. Die Axt in meiner Hand wurde schwer und dieses Mal nahm ich meine linke Hand zur Hilfe, damit sie nicht runterfiel. ‚Reiß dich zusammen‘ ermahnte ich mich und ging aufrecht auf den Stammesoberhaupt zu.

„Chief?“ fragte ich zaghaft. Ich hoffte nur, dass mein Gesichtsausdruck nicht zu viel verriet. Er drehte sich zu mir um und schaute mich an. Seine Augen waren voller Sorge und es sah so aus, als hätte er kaum geschlafen.

„Was gibt es denn, Astrid?“ Seine Stimme war beherrscht, was mich nicht sehr wunderte. Er war Oberhaupt, er musste für seine Leute stark sein. Selbst in Zeiten wie diese.

„Auf ein Wort bitte.“ Brachte ich kläglich aus mir heraus. Ich atmete tief durch und hoffte, das schnell hinter mich zu bringen. In meinem Kopf kamen ständig andere Gedanken, wie ich es ihm am leichtesten sagen konnte. Er nahm mich beiseite und ging mit mir zu seinem Haus, vor dem er sich auf eine Bank saß und mir mit einer Geste den Platz neben ihm anbot. Doch mir war nicht nach sitzen, sonst wären alle Barrieren, die ich aufgestellt hatte, gefallen. Ich schüttelte den Kopf, drückte die Axt an meinen Körper und wich noch dazu seinen Blicken aus. Er wartete. Er wartete darauf, dass ich anfing zu erzählen. Ich nahm noch ein paar tiefe Atemzüge, dann schaute ich ihn schweren Herzens an.

„I … ich weiß … was mit Hiccup … passiert ist.“ Sagte ich stotternd und immer wieder pausierend. Noch ein tiefer Atemzug, „Ich … hab gesehen, was passiert ist.“ Stoik sagte nichts. Er hörte mir zu und ich sah, dass er versuchte zu verstehen, was ich ihm sagen wollte. Eine Träne trat in mein Auge und ich machte wieder den Mund auf. „Ich habe gestern, wie … wie e … wie ein Drache mit ihm … davonflog.“ Das war‘s, dachte ich. Ich traute mich noch nicht einmal ihn an zu sehen. Stille legte sich über uns.

„Was sagst du da?“ fragte er leise und betonte jedes einzelne Wort. „Was versuchst du mir da zu sagen?“ Mein Atem stockte.

„Gestern, als ich noch spät am Abend im Wald trainieren gegangen bin, habe ich einen Drachen gesehen, wie er mit Hiccup wegflog.“ Wiederholte ich mich. Ich fing an zu zittern und mein Herz hämmerte gegen meine Brust, als wollte es ausbrechen und davon laufen.

„Und wieso hast du nicht das Dorf benachrichtigt?“ fragte er mich leise, aber drohend. Ich bin erledigt. Angst breitete sich weiter in mir aus. ‚Verteidige dich, verteidige dich‘!

„Ich war zu weit vom Dorf entfernt, ich hätte es niemals rechtseitig erreichen können …“

„Und warum benachrichtigst du mich erst JETZT?“ er wurde immer lauter. Ich wollte nur noch weg. In dem Moment war ich nicht die furchtlose Astrid Hofferson, die vor nichts Angst hat. In dem Moment war ich jemand, die nun gerne die Flucht angetreten hätte. Ich fühlte mich so klein. Ein Glück, dass noch niemand das Gespräch mitbekommen hatte.

„Wir müssen sofort in See stechen.“ Sagte er und wollte aufstehen.

„Das wäre sinnlos.“ Flüsterte ich, „Er ist fort. Und wird nie mehr wieder kommen.“ Er schaute mich ungläubig an. – Ich muss ehrlich dazu sagen, dass ich es auch nicht geglaubt hatte, aber ich spürte, dass das die Wahrheit war. Er setzte sich hin und rieb sich sein Gesicht. Seine eiserne Mimik war gefallen.

„Erst Valka, dann noch mein Sohn …“ sagte er vollkommen aufgelöst. Tränen liefen an meiner Backe hinunter. Ich hatte es völlig vergessen, dass er auch wegen eines Drachen seine Frau verloren hatte. Das machte es noch schlimmer.

Verloren und GefundenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt