Dec, 21st: Ugly Truth

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Taehyung
21.12; 18:20 Uhr

Ich wusste allmählich nicht mehr, was ich tun sollte. Jeongguk ging es schlechter, auch wenn er versuchte es vor mir zu verstecken. Ich war nicht blind. Ich sah, dass er kaum aß und dass sein Schlafrhythmus nicht vorhanden war. Irgendwann am Nachmittag war er eingeschlafen, als wir grade eigentlich einen Film hatten schauen wollen. Eine Weile war ich bei ihm liegen geblieben und hatte auf seinen leisen Atem gelauscht, doch dann war ich aufgestanden, um mich zu beschäftigen und ihm seine Ruhe zu gönnen. 

Mein Weg hatte mich ins Musikzimmer verschlagen, wo ich das Klavier besetzte und eine Weile vor mich hin spielte. Ich ließ meine Finger einfach über die Tasten schweben und spielte, was mir grade Sinn kam. Oft konnte ich so Stunden rumbekommen, ich bemerkte gar nicht, wie die Zeit verging. Ich versank erneut in meiner kleinen, eigenen Welt, bis ich es plötzlich wieder spürte: intensives Starren. Ich hielt inne und wandte mich um. Jeongguk stand in der Tür und sah mich an. Ich lächelte aufmunternd und er kam zu mir rüber und setzte sich zu mir.  

"Du bist wach?", fragte ich und legte die Finger wieder an die Tasten. Er nickte nur und hörte zu, wie ich eine kleine, ruhige Melodie anspielte. "Ja", sagte er. Er klang nicht besonders erholt. Ohne einen weiteren Kommentar setzte er sich rittlings auf die Bank und rutschte an mich ran, so, dass er seine Arme um mich legen und seinen Kopf auf meiner Schulter ablegen konnte.

"Dir geht es nicht so gut was?", fragte ich und er brummte nur unentschlossen. "Wenigstens scheint es dir gutzugehen", stellte er fest und ich nickte. "Ich bin okay", versicherte ich ihm, "mir geht es gut." Ich wandte meinen Kopf und musterte sein Gesicht. Wahrscheinlich würde das mit meiner Verfassung sich ganz schnell ändern, sollte Jeongguk was passieren, aber das Thema würde ich jetzt nicht anschneiden. Es war nicht seine Schuld, ich würde mich nicht beschweren und er wäre nicht mehr da, um es mitzubekommen. 

"Was ist mit dir?", fragte ich vorsichtig. "Ich sehe, dass es dir schlechter geht." Jeongguk antwortete nicht und das machte es nur noch schlimmer. Er konnte nicht ewig vor mir geheim halten, was Seokjeon gestern mit ihm besprochen haben mochte. Ich hatte ihm Zeit geben wollen um mit der Sprache rauszurücken, doch scheinbar brachte er es einfach nicht über das Herz. 

"Die Reinigung wird zu viel von dir Auslöschen, oder?", fragte ich also.

Zu meinem Erstaunen füllten sich Jeongguks Augen mit Tränen. Ich war spontan überfordert damit, denn Jeongguk hatte sonst immer alles im Griff vor allem seine Emotionen, um so mehr überraschte es mich, dass es jetzt zuließ. "Seokjeon hat gesagt", begann er doch er brach den Satz einfach ab und schüttelte den Kopf, während sich eine Träne aus seinem Augenwinkel löste. "Tae, ich kann uns Zeit verschaffen, ich muss nur wieder..." Auch diesen Satz sprach er nicht aus. 

Ich ließ endgültig vom Klavier ab und setzte um, sodass ich ihm gegenüber saß und rutschte an ihn ran, so nah ich konnte. Jeongguk schaltete und nahm ich auf seinen Schoß, damit ich meine Arme und beide um ihn schlingen konnte. Ich kuschelte mich an ihn und seufzte. 

"Jeongguk", flüsterte ich sanft und nahm ihn tröstend in den Arm. Sanft küsste ich ihn auf die Wange. "Das ist keine Option", sagte ich. Beruhigend strich ich ihm über den Rücken. "Jeongguk, nein ... es ist okay, wir ..." Ich stoppte mich und löste mich ein bisschen von ihm. "Finden uns schon wieder, okay? Versprochen." Ich versuchte möglichst fest zu klingen. "Aber das wichtigste ist jetzt das wir uns um deine Seele kümmern."

Wenn wir das nicht taten, dann würde das alles von vorne losgehen. Zumindest für Jeongguk. Er schüttelte den Kopf. Dann umfasste er mein Gesicht und zog mich ein Stück näher. Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer. "Ich will nicht, dass du stirbst", sagte er nachdrücklich, "du musst leben Tae, ich kann das tun. Ich kann dich nicht sterben lassen." Er atmete zittrig aus und ich versuchte in seinen nahezu schwarzen Augen ein wenig Licht zu finden, doch in diesem Moment war das schwer, was mir nur noch mehr zeigte, wie sehr ich recht hatte. "Sich um meine Seele kümmern heißt, dass wir sterben werden", sagte er und seine Stimme klang seltsam rau. Ich atmete tief durch. Wie bekam ich das aus seinem Kopf? Seine Seele wenigstens ein bisschen zu fixen war wichtiger. 

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