Prolog

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Taehyung
28.11; 15:54Uhr.

Ich schreckte aus dem Schlaf hoch und blinzelte angestrengt. Fahrig fuhr ich mir durch das blonde Haar und versuchte mich zu orientieren. Offensichtlich war ich über meinen Recherchen eingeschlafen. Ich stolperte über den Gedanken. 

Was bitte hatte ich überhaupt recherchieren wollen?

Was wollte ich überhaupt hier? Irgendwie konnte ich mich nicht dran erinnern hier hergekommen zu sein. Ich war einfach hier. Eigentlich sollte mich das beunruhigen, aber vergleichbares passierte mir derart oft, dass ich aufgegeben hatte dessen auszuflippen. Ich war es inzwischen erschreckend gewohnt. 

Amnesie. Das Gefühl von Leere. Unerklärliche Gefühle generell.

Ich fuhr mir mit den Händen über das Gesicht und stellte fest, dass meine Wangen tränennass waren. Offensichtlich hatte ich im Schlaf geweint. Mal wieder. Ich versuchte mich zu erinnern, wovon ich geträumt hatte, doch alles, was ich fassen konnte, war ein vages Gesicht und das Gefühl etwas verloren zu haben, dass ich nie gehabt hatte. Als würde mir etwas Fehlen. 

Die Empfindung, irgendwie unvollständig zu sein, verfolgte mich schon mein ganzes Leben, doch mittlerweile war mir, als würde dieses Gefühl jeden Tag schlimmer werden und wenn ich nicht endlich fand, was mir fehlte, dann würde die dünne Eisschicht, die meinen Boden darstellte, einfach zerbrechen und ich würde verschluckt werden und untergehen. Die Tatsache, dass ich allmählich richtige Psychosen entwickelte, schien dem recht zu geben. Was war nur los mit mir? War ich irgendwie kaputt? Manchmal fühlte ich mich so. Eigentlich immer. 

Ich warf einen Blick auf den PC-Bildschirm vor mir, um herauszufinden, was ich überhaupt gesucht hatte, wenn ich mich scheinbar schon per Autopilot in der örtlichen Bibliothek einfand, um irgendwas zu googlen. Es konnte nur etwas Gruseliges sein. Das war ein im Grunde immer, wenn so was hier passierte. 

Ergeben warf ich einen Blick auf den ersten Tab. Ein Zeitungsartikel über den gewaltsamen Tod eines Studenten. Er war von einem Mitstudenten erschossen worden.
Zweiter Tab. Der Selbstmord einer Anwältin. Sie sprang von einem Hochhaus.
Dritter Tab. Ein Mann mittleren Alters war tot in einer Gasse gefunden worden. Ob es sich um ein Verbrechen handelte, war noch unklar.
Vierter Tab. Ein junges Mädchen war verschwunden. Sie war feiern gewesen und seit dem nicht wieder aufgetaucht.
Fünfter Tab. Ein Mann der an lebenserhaltenden Geräten gehangen hatte, war einfach von seinen geldgierigen Erben nachts abgezogen worden, weil er gerade auf dem Weg war, zu genesen.
Sechster Tab. Ein Mann war an das Ufer des Hans gespült worden, nachdem er von einer der Brücken gesprungen sein musste.

Mir wurde einfach nur mit jedem Tab übler. So, als würde mich das alles irgendwie persönlich Verletzen, ein Stück von mir auslöschen. Dabei hatte das alles nichts mit mir tun, ja, die ganzen Sachen hatten ja noch nicht mal was miteinander zu tun. Eigentlich. Aber irgendwie war tief in mir eine Art Gewissheit, dass sehr wohl alle Taten auf eine schreckliche Art und Weise zusammenhingen. 

Das ergab alles keinen Sinn. Warum hatte ich danach gesucht? Warum hatte ich es gefunden

Schnell schloss ich die Tabs, bevor es mit der Übelkeit noch schlimmer wurde, was auch immer schon wieder mit mir los war, es wurde Zeit, dass ich hier rauskam. Ich nahm eilig meine Tasche auf und machte mich auf den Weg nach draußen, doch ich kam nicht weit, denn als ich mir für einen kurzen Moment die Nasenwurzel rieb und dann wieder aufsah, war ich plötzlich nicht mehr wo ich sein sollte. Oder besser wann ich sein sollte. 

Ich war noch immer in der Bibliothek, doch mit einem Mal war es dunkel. Der Raum war nur noch spärlich durch die Notbeleuchtung erhellt und keine Menschenseele war zu hören oder zu sehen. Es war viel zu ruhig. Es fehlten die normalen, nächtlichen Geräusche, die es vielleicht geben sollte. Ich fühlte mich regelrecht taub. Mir war, als ob ich die Stillen schreien hören konnte. 

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