Dornröschen

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Vorsichtig Strich er mit seinen rauen Händen über ihr zartes Gesicht. Im Sonnenschein wirkte es blass und krank, wie sie in ihrem Bett lag, sich keinen Millimeter bewegte und nur sehr flach atmete.
Alles meine Schuld, machte sich Jonathan selber Vorwürfe.
Schon wieder habe ich fast eine geliebte Person geopfert.

Die kalten und grauen Erinnerungen an vorgestern Abend ließen selbst ihn erschaudern.
"In was hab ich dich da nur mit rein gezogen...", murmelte er leise und senkte den Kopf schüttelnd.

„Mach dir nicht so viele Gedanken!", raunte Gwendolyn. Die zarte Fee saß auf Ronja's Schulter und fummelte an ihren Haaren herum.
„Deine Einsicht wird sie auch nicht wieder gesund machen! Außerdem nervst du mich mit deinem scheiss!"
Kurzer Hand packte Jonathan Gwendolyn ohne mit der Wimper zu zucken und stopfte sie in seine Sweatshirttaschen.
„Halt doch einfach die Klappe..", brummte er emotionslos und wischte sich heimlich eine kalte Träne aus dem Augenwinkel. „du nervst ebenfalls."

Plötzlich raschelte es und Ronja drehte ihren Kopf sachte bei Seite.
Ihre erste Bewegung seit 36 Stunden.
Angestrengt fixierte Jonathan das zerbrechliche Mädchen mit seinem Blick. Er musterte sie genau, noch genauer, als er es bereits die Tage getan hatte.
Seine Blicke wanderten über ihre schmalen Lippen, über ihre erröteten Wangen. Ihre blasse Haut spiegelte das Sonnenlicht wieder in ihre geschwungenen Wimpern lagen ruhig. Sie war wunderschön geworden.
Doch gleichzeitig hatte sich kaum etwas an ihr verändert. Zumindest seit vorgestern.

Sie lag schon seit ein paar Tagen in ihrem Schlaf. Es erinnerte Jonathan an das Märchen Dornröschen. Wie sie eine Ewigkeit königlich dalag, bis ein Prinz sie durch den Kuss erlöste.

„du.. Gwenny?", Drang es verträumt aus seinem Mund.
„Findest du nicht auch.." langsam hob er die Fee wieder aus der Tasche und setzte sie auf seine Beine.
„..dass sich Ronja schon ein wenig verwandelt hat?"

„wie meinst du?", entgegnete sie nur und musterte Ronja Genau.
„meinst du etwa..."

„jetzt denk nach!", maulte Jonathan, fing sich allerdings schnell wieder.
„Na seit.. Dem Bündnis."
Sein Blick huschte auf ihre mit blauen Flecken bestückten Hände. An ihnen glitzerte ein silberner Gegenstand auf, der Ring.
„du.. Sie hatte diese Karotten Haare.. Ud diese kurzen Wimpern und.. Diese unentdeckte..-..."

„ja! Ich weiß was du sagen willst!" Gwenny nickte nur ud sah Jonathan mitleidend an.
Seine Augen waren zur Hälfte geschlossen. Sie wirkten nun trauriger und dunkler als sonst.

Ich idiot..., schimpfte er erneut.

„Jonathan?"
Kurz zuckte er zusammen. Dann sah er die blau gekleidete Fee fragend an.
„wieso hast du Ronja nie die Wahrheit erzählt?"

Weil ich sie selber nicht ertragen kann!, dachte er doch zuckte lediglich mit den Achseln.
Der seelische Schmerz war ihm wörtlich ins Gesicht geschrieben.
Weshalb er immer diese abwertende Maske auf hatte, wenn Ronja ihn ansah, war ihm ebenfalls sehr klar.

„wieso Hast du ihr nichts von maka erzählt? Und von deinem früheren Leben? Ich weiß, dass sie das nicht wissen muss, um dich zu mögen, aber es würde dich viel glücklicher machen, wenn sie endlich-"
„Nein!", brüllte er plötzlich!

Kalte Tränen kratzten in seinem Hals und verhinderten die Luft beim eindringen. Er fing an zu zittern und ballte die Hände zu Fäusten zusammen. Er wollte sich nicht erinnern. Er hatte Angst vor der Wahrheit. Doch wollte er Ronja nicht weiter anlügen.

Plötzlich spürte er, wie Ronja ihre eiskalte Hand auf seine pochende Faust legte.
Wie weiche Seide umschloss sie seine Hand. So kalt und zugleich so liebevoll.
Jonathan zuckte erneut zusammen und hielt den Atem.

„ronja..", stotterte er sprachlos.
„äh.. Hallo.."

Doch statt irgendetwas Zusagen legte Ronja ihren Kopf schief, sah ihn liebevoll durch ihre braunen Augen an und formte sachte ein Lächeln. Es war ein wunderschöner Anblick, ein krankes Mädchen wieder lächeln zu sehen. Auch Jonathan rührte es sehr. Jetzt spürte er wieder diese kratzenden Tränen, welche er gewaltvoll versuchte runter zu schlucken.

„ich bin so froh!", hauchte er letztendlich. Eine Träne löste sich aus seinem Auge und tropfte auf ihre Hand. Woraufhin Ronja noch mehr zu strahlen anfing.
Ihr Ausdruck von Zufriedenheit und Glücksgefühl erwärmte die Umgebung und ließ ihr Gesicht weniger krank und krampfhaft wirken.

Ronja öffnete ihre Lippen leicht und formte seinen Namen. Dann schloss sie die Augen und ließ unzählige Tränen zwischen ihren aufeinander gelegten Wimpern dringen.
Sie zitterte leicht. Das ließ sie allerdings nicht beirren.

Eine lange Weile saß Jonathan noch da und betrachtete ihre erröteten Wangen, ihre schimmernden Wimpern und ihre immer weniger werdende Träne. Bis sich das Lächeln ganz entspannte und Ronja offensichtlich wieder einschlief.
Vorsichtig hob er ihre bleiche Hand an und hielt sie an sein Mund.
„ich liebe dich", hauchte er leise gegen die zarte Haut des Mädchens und legte seine Lippen zu einem leichten Kuss an. Anschließend platzierte er ihre Hand wieder auf ihren Bauch und deckte sie wieder liebevoll zu.

Ja. Es breitete sich ein warmes kribbeln im Bauch aus. Ein wunderbares Gefühl der Freiheit. Dennoch mit einem leichten Unterton von Zwang.
Jonathan könnte sich nicht vorstellen, wie er nur ohne Ronja leben solle.
Bei diesen Gedanken breitete sich eine entsetzliche Einsamkeit in seinem Herzen aus.
Es raubte ihm den Atem, wenn er an Ronja dachte. Und es raubte ihm sein Lebenssinn, sich ein Leben ohne sie vorzustellen. Doch manchmal musste man ein Opfer bringen.

Gefallener EngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt